Es sind lange Tage, die gläubige Muslime im Ramadan fastend durchstehen. Ungewöhnlich lang gerade für die Flüchtlinge aus dem orientalischen Raum, die einen früheren Sonnenuntergang gewohnt sind.
Eine Herausforderung, körperlich wie psychisch. Und logistisch: Denn für die Heime bedeutet der Ramadan zusätzlichen Aufwand. Gleich zwei zusätzliche Essenstermine mussten in Tempelhof für den Fastenmonat eingerichtet werden, einer am späten Abend und einer zur Frühstücksausgabe in der Nacht – zusätzlich zu den drei regulären Essensausgaben für die Bewohner, die nicht fasten.
Mehr Sozialarbeiter während des Ramadan
Etwa 600 der 1300 Bewohner hätten sich für das Fasten angemeldet, sagt Maria Kipp, Sprecherin des Betreibers Tamaja. Vorsorglich wurden die Sozialarbeiterstunden während des Ramadan aufgestockt, um mögliche Spannungen schnell zu beheben. Insgesamt sei die Stimmung aber eher ruhiger als sonst. "Uns sind keine Probleme bekannt."
Ein Eindruck, den der Berliner Pfarrer Gottfried Martens nicht teilen kann. Von Ruhe könne jedenfalls schon einmal nicht die Rede sein, erzählt Martens, der Berlins größter christlicher Flüchtlingsgemeinde im Ortsteil Steglitz vorsteht. Viele seiner Gemeindemitglieder beklagten sich darüber, dass sie die ganze Nacht nicht mehr schlafen könnten, weil sie vor allem in den Hallen, aber auch in den Heimen gezwungen seien, den Tag-Nacht-Rhythmus der großen Mehrzahl der Heimbewohner mitzumachen. "Ich merke das jetzt hier in der Gemeinde, dass die Leute, wenn sie zu uns kommen, völlig erschöpft sind und mitunter gleich einschlafen, wenn sie sich hier hinsetzen."
Auch von diversen kleinen Schikanen werde ihm berichtet. Nicht zuletzt sei es der muslimische Wachschutz, der versuche, auch christliche Bewohner zur Einhaltung des Ramadan zu zwingen: "Wenn sie wegen der Schule ein paar Minuten später zum Essen kommen, wurde das sonst für sie noch bereitgehalten. Jetzt während des Ramadan ist angeblich immer kein Essen mehr da", sagt Martens. In einem Heim seien sämtliche Kühlschränke nur noch für Muslime reserviert. "Christen dürfen darin während des Ramadan nichts unterbringen." Viele seiner Schützlinge seien inzwischen sehr resigniert.
Radikale Muslime setzen Andersgläubige in Heimen unter Druck
Und auch von der Politik ist Martens enttäuscht. Allzu oft werde lieber den Heimbetreibern als den Betroffenen geglaubt – zumal es im Nachhinein sehr schwer nachzuweisen sei, ob eine Auseinandersetzung religiöse Hintergründe hatte oder nicht. "Das Thema wird von den Verantwortlichen ausgesessen."
Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) fordert deshalb die Einrichtung einer staatlichen Notrufnummer für Opfer von Mobbing, Drohungen und Gewalt in Flüchtlingsunterkünften. Christen, Jesiden und andere Gruppen würden immer wieder von radikalen Muslimen unter Druck gesetzt, wenn sie deren Regeln nicht folgen. In den Heimen, wo sich solche Fundamentalisten entfalten können, gehe die Angst um.
"Gerade Menschen, die sich vom Islam abgewendet haben, fühlen sich extrem bedroht. Sie gelten praktisch als Verräter", sagt IGFM-Vorstandssprecher Martin Lessenthin. Der IGFM lägen bereits seit Jahren Informationen von Übergriffen auf Angehörige der Minderheiten in islamischen Ländern vor, um sie im Ramadan zum Mitfasten zu zwingen. Offenbar verhielten sich nun auch einige strenggläubige Muslimen in deutschen Flüchtlingsunterkünften so.
Strenggläubige teilen Toilettenbrillen nicht mit "Ungläubigen"
Erst am vorvergangenen Wochenende habe eine vierköpfige christliche Familie aus dem irakischen Mossul im hessischen Seligenstadt nach einem gefährlichen Angriff in Sicherheit gebracht werden müssen, berichtet die Organisation. Eine Gruppe von sechs muslimischen Heimbewohnern hatte sich demnach darüber beschwert, dass die Christen die Fastenregeln nicht befolgt hätten. Schließlich griffen die Muslime die Familienmitglieder demzufolge mit Besenstielen, einer Wasserpfeife und einer Pfanne an und verletzten sie so schwer, dass sie ins Krankenhaus eingeliefert werden mussten.
In München bedrängte nach Angaben der IGFM eine radikalislamische Gruppe schon vor dem Ramadan alle Bewohner der Einrichtung, zu den fünf Gebetszeiten mitzubeten. Ein 20-jähriger Informatikstudent aus Homs musste den Angaben zufolge von seiner Unterkunft im bayerischen Sonthofen an einen sicheren Ort gebracht werden, weil er das Mobbing nicht mehr aushielt. Und aus mehreren Heimen habe es Beschwerden gegeben, weil strenggläubige Muslime die Toilettenbrillen während des Ramadan nicht mit "Ungläubigen" hätten teilen wollen – und es deshalb zu "fäkalen Missständen" gekommen sei, wie Lessenthin es formuliert.
Die Menschenrechtsorganisation hatte in der Vergangenheit immer wieder vor Gruppenzwang und Mobbing in bestimmten Unterkünften gewarnt. Während des Ramadan gebe es jetzt gerade aus Flüchtlingsheimen, in denen nur sehr wenige Nichtmuslime leben, sehr viele Klagen, sagt Lessenthin.
Vorauseilender Gehorsam bei Betreibern
"Häufig müssen sie dann gemeinsam mit den strenggläubigen Muslimen bis zum spätabendlichen Fastenbrechen warten, um etwas zu essen zu bekommen, weil sich eine Extraessensausgabe für die wenigen Nichtmuslime angeblich nicht lohnt", berichtet der IGFM-Sprecher. Hier herrsche auch viel vorauseilender Gehorsam seitens der Betreiber vor. Die wüssten oft nicht einmal, wer unter den Muslimen die Regeln des Ramadan befolgen möchte.
Aus Lessenthins Sicht ein "Unding". "Die Menschen, die zu uns kommen, müssen lernen, dass wir ein säkularer Staat sind, in dem Religion Privatsache ist. Warum sollte ein Nichtmuslim oder ein moderater Muslim mithungern, nur um denen, die ihre Regeln praktizieren wollen, Genüge zu tun?"
Solchen Verhaltensweisen müsse sich die deutsche Gesellschaft von Anfang an entgegenstellen, fordert der IGFM-Sprecher. "Die Menschen müssen lernen, dass sie das Land gewechselt haben. Wenn jemand in einem deutschen Flüchtlingsheim hungern muss, ist das nicht in Ordnung." Eine mehrsprachige Notrufnummer könnte dazu beitragen, "Gefährder" unter den Wachleuten und aggressiv auftretende Flüchtlinge schneller zu erkennen und Übergriffe zu dokumentieren. "Daraus könnten dann auch die Sicherheitsbehörden Rückschlüsse ziehen."
Nachtruhe im Ramadan um eine Stunde verschoben
Eine Idee, die auch der ehrenamtliche Flüchtlingshelfer Holger Michel unterstützt – auch wenn es in der Einrichtung, für die er im ehemaligen Berliner Rathaus Wilmersdorf arbeitet, bislang kaum Probleme gab. Die Unterkunft achte strikt auf religiöse Toleranz, sagte der Sprecher der ehrenamtlichen Helfer. "Wer andere diskriminiert, bekommt eine Abmahnung. Und im Wiederholungsfall muss er gehen. Da fahren wir eine Nulltoleranzlinie."
Das Thema Ramadan hätten die Betreiber bereits vor Monaten mit dem gewählten Bewohnerrat diskutiert – schließlich bringe die zusätzliche Essenausgabe am späten Abend auch erhebliche Unruhe. "Wir haben die Nachtruhe von 22 auf 23 Uhr verschoben. Aber dann muss auch Schluss sein. Schließlich haben wir hier Kinder, die am nächsten Morgen in die Schule müssen", sagt Michel.
Für Kinder gelten die Fastenregeln des Ramadan nicht. Sie dürfen erst ab der Pubertät teilnehmen, um keinen gesundheitlichen Schaden zu nehmen. Doch offenbar gibt es auch immer mehr strenggläubige Familien, die sich über diese Vorsichtsmaßnahme hinwegsetzen.
Kinder manchmal zu erschöpft für den Unterricht
Das beklagt jedenfalls der Verband Bildung und Erziehung (VBE). Anfragen besorgter Lehrer zeigten, dass offenbar sogar vermehrt Grundschüler während des gesamten Schultags fasteten. Die Folge sei, dass diese Kinder besonders bei steigenden Temperaturen zu erschöpft sind, um noch am Unterricht, an Klassenarbeiten oder Sportfesten teilzunehmen.
Der VBE-Bundesvorsitzende Udo Beckmann sagt: In der Regel gingen muslimische Eltern verantwortungsbewusst mit religiösen Vorschriften um. "Es ist aber eine Grenze überschritten, wenn die Gesundheit der Kinder und der Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule leiden." Beckmanns Verband rät daher den Schulen, die Eltern von Kindern, die sich trotz erkennbarer Erschöpfung weigern, zu essen oder zu trinken, zu benachrichtigen, um die Kinder abzuholen.
Quelle : welt.de
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