Das ist Wolfgang Schäubles Geheimplan für die Briten

  25 Juni 2016    Gelesen: 764
Das ist Wolfgang Schäubles Geheimplan für die Briten
In einem historischen Referendum kehren die Briten der EU den Rücken. Finanzminister Wolfgang Schäuble sah das kommen. Für die schwierigen "Scheidungsverhandlungen" hat er einen Plan ausgetüftelt.

In der Bundesregierung herrscht am Tag X eine Mischung aus Ohnmacht und Entsetzen. Viele Regierungsmitglieder hatten sich noch am Vortag des Referendums zuversichtlich gezeigt, dass die Briten in der EU bleiben – und lagen mit dieser Einschätzung genauso daneben wie Buchmacher, Meinungsforscher und die meisten Medien.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bezeichnete die Entscheidung als "Einschnitt für Europa". Für Montag hat sie EU-Ratspräsident Donald Tusk, Frankreichs Präsident François Hollande und Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi nach Berlin eingeladen. Am Dienstag wird sie bei einer Sondersitzung des Bundestages eine Regierungserklärung abgeben. Jetzt gehe es darum, "mit Ruhe und Besonnenheit zu analysieren", sagte Merkel.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hatte sich schon am frühen Morgen mit seinem engsten Stab beraten. Seine Beamten behielten vor allem die Finanzmärkte im Auge und prüften, ob die Vorsichtsmaßnahmen ausreichten. Es ruckelte zwar gehörig an den Aktienmärkten, aber Panik brach nicht aus. Danach telefonierte Schäuble mit Merkel, Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) und seinen europäischen Kollegen.

Schäuble will Briten zu "assoziiertem Partnerland" machen

Vielleicht hat Schäuble in den Gesprächen seine Kollegen auch schon auf ein Vorgehen eingestimmt. Denn im Bundesfinanzministerium hat man sich für die nun anstehenden Austrittsverhandlungen bereits eine Strategie zurechtgelegt.

Demnach will die Bundesregierung Großbritannien in Abstimmung mit der EU "konstruktive Austrittsverhandlungen anbieten", heißt es nach "Welt"-Informationen in einem vertraulichen Strategiepapier der "Task-Force Brexit" aus dem Finanzministerium. Am Ende der Verhandlungen soll Großbritannien ein "assoziiertes Partnerland" der EU sein, heißt es in dem Papier mit dem Titel "Deutsche Strategie bezüglich Brexit".

Es würden "schwierige Scheidungsverhandlungen", erwarten Schäubles Beamte. So gehe es um den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Investitionsbank (EIB), um das leidliche Thema EU-Haushalt und die Frage, ob London 2017 noch wie eigentlich geplant die EU-Präsidentschaft übernehmen könne. "Es wird schlimm", heißt es in Berlin mit Blick auf die anstehenden Verhandlungen. Die werden von deutscher Seite allerdings nicht vom Finanzministerium, sondern vom Auswärtigen Amt geführt.

Das Verfahren eines Austritts ist in Artikel 50 des EU-Vertrags festgelegt. Diesen Artikel gibt es erst seit 2009. Die Voraussetzung dafür wurde 2007 mit dem Vertrag von Lissabon geschaffen – übrigens ausgerechnet auf Betreiben der Briten. Der Artikel sieht zweijährige Austrittsverhandlungen vor, erst danach ist ein Land draußen.

"Das schafft Zeit und Basis für Verhandlungen", heißt es in dem Papier aus Schäubles Haus. Und im Bedarfsfall können die Verhandlungen auch verlängert werden. "Danach sollte ein Assoziierungsstatus für UK angestrebt werden", schlagen Schäubles Beamte vor.

Soll die EU ein Exempel statuieren?

Allerdings wollen sie Großbritannien auch keine zu großen Vorteile gewähren. Es dürfe keinen "Automatismus beim Zugang zum EU-Binnenmarkt" geben, heißt es in dem Papier. Sonst würden andere EU-Staaten denselben Weg einschlagen wie Großbritannien.

"Nachahmungstendenzen" fürchtet die Bundesregierung in Frankreich, Österreich, Finnland, den Niederlanden und Ungarn. "Ausmaß und Umfang der Nachahmungseffekte werden maßgeblich vom Umgang mit Großbritannien abhängen", heißt es. Der Minister selbst soll das Papier noch nicht abgezeichnet haben.

Das Finanzministerium versucht damit, einen Mittelweg zu gehen bei der Grundsatzfrage, ob die EU ein Exempel an Großbritannien statuieren soll – um andere Länder davon abzuhalten, auch auszutreten. Oder ob sie die Insel trotz allem eng an sich binden soll, um den wirtschaftlichen Schaden gering zu halten und die Briten vielleicht doch noch von der Idee eines geeinten Europas zu überzeugen.
Raus heißt raus – oder nicht?

Diese zwei Denkschulen gibt es auch innerhalb der großen Koalition. Die einen sagen: Raus heißt raus. Vor allem innerhalb der Unionsfraktion herrscht die Auffassung, die EU dürfe Großbritannien keine Sonderkonditionen gewähren. Stattdessen müsse das Königreich so behandelt werden wie jedes andere Land außerhalb der EU. Ansonsten würden andere EU-Länder mit Referendumsandrohungen ebenfalls Sonderkonditionen für sich heraushandeln. Und das wäre das Ende der EU.

Die andere, eher innerhalb der SPD vertretene Denkschule geht davon aus, dass beide Seiten wissen, wie viel vor allem auch ökonomisch auf dem Spiel steht: Die Europäische Union verliert knapp 20 Prozent ihrer Wirtschaftskraft, Großbritannien den Zugang zum europäischen Binnenmarkt. Bei einer harten Scheidung würden die Volkswirtschaften des Kontinents und der Insel unnötig stark leiden und sich beide Seiten möglicherweise politisch völlig überwerfen.

Deshalb dürfe die EU trotz des Votums nicht alle Brücken zu Großbritannien abreißen. Denkbar wäre etwa, die Insel wirtschaftlich ähnlich an die Gemeinschaft zu binden wie heute Norwegen. Das Land ist auch kein EU-Mitglied, weil die Wähler das so wollten. Es gehört aber dem Europäischen Wirtschaftsraum an, um einen "vertieften" Freihandel mit Europa zu genießen. Damit der Binnenhandel funktioniert, müssen die Norweger aber fast alle EU-Gesetze übernehmen – ohne dass sie ein Mitspracherecht in Brüssel hätten.

Das werden die Briten in dieser Form sicher nicht akzeptieren können. Harte Verhandlungen zwischen Brüssel und London wären programmiert, wenn diese Option in Erwägung gezogen würde. Diese quälenden Verhandlungen könnten zusammen mit Turbulenzen an den Finanzmärkten und schwächerem Wachstum in Großbritannien "allein so abschreckend auf andere Länder wirken, dass man gar nicht die harte Tour fahren muss", sagt ein hochrangiges Mitglied der Bundesregierung.

Steinmeier ruft EU-Gründungsstaaten zusammen

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) wird am Samstag mit den Außenministern der fünf anderen EU-Gründerstaaten – Frankreich, Italien, Belgien, Luxemburg und die Niederlande – über diese Fragen beraten. In der vertrauten Runde will Steinmeier mit seinen Kollegen auch besprechen, ob die EU oder Teile von ihr schneller zusammenwachsen sollen. In der SPD neigt man zu einer Vertiefung des Staatenverbundes, statt nun eine "Reflexionsphase" einzuläuten. Damit überließe man nur den Gegnern der EU das Feld, heißt es.

Innerhalb der Union heißt es dagegen, mit Forderungen nach einer weiteren Vertiefung Europas provoziere man nur weitere Referenden in anderen EU-Ländern und stärke rechtspopulistische, europafeindliche Parteien wie die AfD und den Front National in Frankreich. "Die Wähler würden doch denken, wir haben den Schuss nicht gehört, wenn wir jetzt Europa stärker integrieren wollen", sagt ein Regierungsmitglied der Union.

Auch Schäubles Beamte halten in ihrem Papier wenig von einer Vertiefung. Wenn, ginge das nur, wenn die EU mehr Hoheiten in der Finanzpolitik bekommt, etwa Haushalte von Mitgliedsstaaten ablehnen kann, die nicht die Maastricht-Kriterien einhalten.

Den gleichen Riss wie zwischen Union und SPD gibt es auch in der Runde der sechs Außenminister, die am Samstag in der Berliner Villa Borsig tagen werden: Auf der einen Seite gibt es die Anhänger einer schnellen Integration (Belgien und Luxemburg), auf der anderen die Skeptiker, die die entsprechenden Sorgen im eigenen Volk berücksichtigen (Niederlande). "Wir brauchen ein klares Signal: Es darf keine Renationalisierung geben", heißt es im Auswärtigen Amt. Ohnehin sei die EU dabei, sich zu vertiefen, etwa in der Migrationspolitik oder beim Grenzschutz.

Interessant wird auch, ob die Außenminister schon übers Geld reden werden. Denn mit Großbritannien ist der EU der drittgrößte Nettozahler abhandengekommen. Dadurch könne sich der deutsche Beitrag um drei Milliarden Euro jährlich erhöhen, rechnen Schäubles Beamte vor.

Quelle; n24.de

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