Chinesen galt Großbritannien bisher als eines der zuverlässigsten Sprungbretter, um auf dem europäischen Märkten Fuß zu fassen. Eine Vielzahl chinesischer Unternehmen haben ihren EU-Hauptsitz bislang in London, um von dort den europäischen Binnenmarkt zu erschließen. In kein anderes EU-Land hat China so viel Geld investiert.
Auch Ökonomen aus China warnten vor großen Auswirkungen. Chinesische Investoren würden jetzt skeptisch nach Großbritannien schauen, sagte Zheng Chaoyu von der Volksuniversität in Peking. "Es wird ein Schlag für den britischen Investitionsmarkt."
"Alle Parteien stehen jetzt vor einer Phase erhöhter Unsicherheit", sagte der Vizepräsident der EU-Handelskammer in China, Patrick Horgan. Die EU und Großbritannien müssten möglichst schnell klären, wie der Austritt erfolge und wie sie künftig kooperierten. Es geht dabei vor allem um den Zugang zum EU-Binnenmarkt, den Großbritannien künftig mit allen EU-Mitgliedern neu aushandeln muss. Diese Ungewissheit sei das Problem. "Es wird weniger chinesisches Geld nach Großbritannien und mehr in den Rest Europas fließen", sagte Jan Gaspers vom China-Institut Merics in Berlin.
"Der unbegrenzte Zugang zum EU-Binnenmarkt und die Möglichkeit, Talente aus ganz Europa zu rekrutieren, waren bislang wesentliche Gründe für chinesische Investoren, in Großbritannien aktiv zu werden", erklärte Gaspers. Solange diese Fragen nicht geklärt seien, dürften chinesische Investoren "sehr zurückhaltend" agieren. Viele chinesische Firmen in Großbritannien dürften jetzt auch einen Umzug auf den europäischen Kontinent erwägen.
Diplomaten und Experten sahen in dem Votum übereinstimmend "schlechte Nachrichten für Peking". Denn London galt in Brüssel als Fürsprecher für chinesische Handels- und Wirtschaftsinteressen. Auch fürchtet China einen "Dominoeffekt" durch das Referendum, in dem noch weitere Mitgliedstaaten ausscheiden. "Ein weiterer Verfall der Europäischen Union wird in China in erster Linie mit einem schrumpfenden Binnenmarkt und der Einschränkung des Verkehrs chinesischer Waren in Europa gleichgesetzt", sagte Gaspers.
Eine schlechte Nachricht ist der Brexit aber auch für britische Unternehmen in China: Sie müssen künftig auf die Vertretung durch die einflussreiche EU-Handelskammer verzichten, die den geplanten Austritt Großbritanniens "tief bedauert".
Der Brexit steht nun unerwartet im Mittelpunkt des "Sommer-Davos" genannten Weltwirtschaftsforums in Tianjin nahe Peking. Auf dem dreitägigen Weltwirtschaftsforum, das am Sonntag beginnt, wird am Montag auch Chinas Premier Li Keqiang eine mit Spannung erwartete Rede zur Wirtschaftspolitik seines Landes halten.
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