Ägyptens Geschäft mit den Flüchtlingen

  30 Juni 2016    Gelesen: 770
Ägyptens Geschäft mit den Flüchtlingen
Während die Balkanroute blockiert ist, kommen weiter viele Flüchtlinge über das Mittelmeer. Ägypten versucht nicht, die Schlepper zu stoppen – sondern will profitieren.
Omar Ali hat es geschafft. Mit an Bord waren 250 Schicksalsgenossen. 13 Tage dauerte ihre Odyssee von Alexandria nach Italien. "In Ägypten haben wir lediglich die Menschenschmuggler zu Gesicht bekommen, die unser Geld wollten", erinnert sich der junge Mann. Tagelang wartete er in einem Verschlag, bis es eines nachts plötzlich losging. "Die Typen verschwanden, wir stiegen auf das Boot und niemand stoppte uns", berichtete er. 3.000 bis 5.000 Dollar verlangen die Schleuser derzeit für eine Überfahrt nach Lampedusa.

Das Ganze "ist eine sehr diskrete, sehr effektive und hoch korrupte Industrie, die von Ägypten ausgeht", erklärt Tuesday Reitano von der Globalen Initiative gegen transnationale organisierte Kriminalität. Nach Erkenntnissen ihrer Organisation bringen Helfershelfer die Flüchtlinge zunächst vom Strand auf ein sogenanntes Mutterschiff, das auf hoher See wartet. Dieser Frachter hat eine komplette Crew und zieht kleine Fischerboote hinter sich her, auf denen die Passagiere dann vor der italienischen Küste wieder ausgesetzt werden. Damit solle verschleiert werden, wo die Menschen herkommen und wer sie geschmuggelt hat, sagt Reitano, Mitautorin einer Studie über das Schlepperunwesen auf dem Mittelmeer.

Auch die EU-Migrationsexperten beobachten Ägypten schon länger, zumal die Zahl minderjähriger unbegleiteter Flüchtlinge dramatisch ansteigt. Bislang wurden über 1.200 ägyptische Kinder und Jugendliche registriert, im Vorjahr waren es nur 94. "Wir müssen dringend mit Ägypten reden, um zu verstehen, was dahintersteckt", heißt es in Brüssel. Örtliche Aktivisten gehen davon aus, dass die Jugendlichen die Zubringerboote steuern und dafür kostenlos einen Platz auf dem Mutterschiff bekommen. Mit etwas Glück bleiben sie in Italien unentdeckt, bekommen Flüchtlingsstatus und werden statt ins Gefängnis in die Schule geschickt.

Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sind 2016 bisher 222.000 Menschen nach Europa übergesetzt, zwei Drittel von der Türkei aus über die Ägäis, ein Drittel von Libyen und Ägypten aus nach Italien. Seit dem EU-Vertrag mit der Türkei im März sind die östliche Mittelmeerroute und der Balkan faktisch blockiert.
Dagegen blieben die Zahlen auf der wesentlich gefährlicheren mittleren Mittelmeerroute ähnlich hoch wie im Vorjahr. Seit Anfang 2016 haben 66.000 Menschen über diesen Seeweg Italien erreicht, im gleichen Zeitraum 2015 waren es 70.000. Die meisten kommen aus Eritrea, Sudan und Somalia sowie aus den westafrikanischen Staaten Nigera, Gambia, Elfenbeinküste, Guinea und Mali.

Aus Europas Angst lässt sich Geld schlagen

Fabrice Leggeri, Chef der EU-Grenzschutzagentur Frontex, und UN-Libyenvermittler Martin Kobler jedoch rechnen bis Ende des Jahres mit 300.000 Migranten, also doppelt so vielen wie im Vorjahr. Denn immer mehr Leute machen sich aus Westafrika auf den Weg nach Norden. Gleichzeitig mehren sich die Anzeichen, dass wieder mehr Flüchtlinge aus Syrien, Irak und Afghanistan von Ägypten aus die Überfahrt versuchen.

Die ägyptische Führung zeigt wenig Interesse, dem Treiben der Schleuser Einhalt zu gebieten, deren Boote in Küstenorten wie Borg Megheisil oder Rasheed im Nildelta ablegen. Die heimischen Hoheitsgewässer sind leergefischt, der Menschenschmuggel für die Seeleute eine willkommene Alternative. Die lokalen Werften erleben einen gewissen Boom. Die schlecht bezahlten Polizisten vor Ort schauen weg oder stecken mit den Banden unter einer Decke.

Bisweilen wird ein Zubringerkahn mit einem Dutzend Fluchtwilligen aufgebracht. Oder die Polizei verhaftet eine Handvoll Migranten, die auf ihr Schlauchboot warteten – wie Anfang Juni an einem Strand nahe Alexandria. Die Drahtzieher jedoch bleiben unbehelligt.

Italienische Ermittler wüssten oft bis ins Detail, wann die illegalen Schiffspassagen in See stechen, zitierte kürzlich die Tageszeitung Fatto Quotidiano aus Ermittlungsakten. Doch Amtshilfe von ägyptischer Seite gebe es nicht. Stattdessen wartet die Regierung in Kairo auf die Emissäre aus Brüssel. Denn seit dem Abkommen mit Ankara wissen die Mächtigen am Nil, dass sich aus Europas Migrantenangst eine Menge Geld herausschlagen lässt.


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