Die Politik ist in die Hände von Clowns gefallen
Europa bebt, Märkte schlingern, und die Sieger des Brexit-Votums wollen mit ihrem Triumph nichts zu tun haben: Wie ein dummer Junge, der über seinen gelungenen Streich erschreckt, ist Boris Johnson abgetaucht, weiche Bekenntnisse zu Europa murmelnd. Frivoler ist wohl niemals ein Volksentscheid von solcher Tragweite als Farce entlarvt und eine Wählermehrheit zum Narren gehalten worden. Es ist wie der Sketch von Monty Python, in dem einem Kunden ein toter Papagei angedreht wird: Tot? Unsinn, er ruht sich nur aus.
Johnson wollte Politik spielen, er wollte Spaß haben und den Job des Premiers als noblierter Verlierer ergattern, nicht ernsthaft Politik machen. Johnsons eitles Gauklertum ist nicht zufällig die britische Entsprechung der Reality-TV-Dreistigkeit des Donald Trump. Beide lügen und leugnen schamlos und mit sichtbarem Vergnügen. Beide betreiben Politik als Kinderspiel, das kein Gestern und kein Morgen kennt und deshalb das komplexe Heute als märchenhaft einfache Wahl zwischen Gut und Böse inszenieren kann.
Nicht die zynischen Volkstribune, die es besser wissen, sind indes die Katastrophe, sondern Massen, die ihnen folgen, weil sie nichts wissen wollen, nur fühlen. Das Feindbild dieser Massen, beim Brexit wie in Amerika meist alt, oft enttäuscht und abgehängt, sind die mühsamen Kompromissgeschäfte in Brüssel oder Washington. Johnson und Trump versprechen die Rückkehr in eine vertraute Zukunft. Dass diese Versprechen betrügerisch sind, stellt sich erst nach der Wahl heraus.
Alt gewordene Kinder wählen Kindsköpfe
Der Brexit ist nur die jüngste Spielart einer infantilisierten Politik, die von den Populisten in allen demokratiemüden Nationen immer erfolgreicher betrieben wird. Alt gewordene Kinder wählen alte Kindsköpfe, während die Jungen sie meist durchschauen und ihnen fern bleiben. Zur Infantilisierung der Politiker wie ihrer Wähler zählt die in den sozialen Medien geschulte binäre Kultur des gespendeten oder verweigerten "Like". Johnson und Trump bieten Unterhaltung wie auf dem Schulhof, durch Tabubrüche und Faustrechthaberei.
Es ist nicht Korruption oder Scheitern, an dem das Establishment in Brüssel und Washington krankt: Langeweile heißt die Todsünde. Dagegen geben Johnson und Trump alles, was Kinder charmant und unerträglich macht: Schamlosigkeit und Mitteilungsdrang, Zeigestolz und Prahlerei. Sie machen den kindlichen Wutanfall gesellschaftsfähig. Dazu Blödeln, Albern, Hänseln. Und sogenannte mündige Bürger, die den Mund desto voller nehmen, je ohnmächtiger sie sich fühlen, folgen ihnen begeistert. Intakte reife Persönlichkeiten, vulgo Erwachsene, haben gelernt, Grenzen zu respektieren. Johnson und Trump und ihren Anhängern ist das zu langweilig.
Beileibe nicht nur in Großbritannien und Amerika. Die Deutschen haben die Alternative für Deutschland (AfD) hervorgebracht, von Kardinal Karl Lehmann als "Partei in der Pubertät" erkannt, und das gewiss nicht nur, weil sie erst wenige Jahre alt ist. Man möge dem Kinde ersparen, Vernunft zu hören, riet Rousseau im Jahr 1762: "Das macht sie ihm nur langweilig." Das waren Zeiten, als die Feuerköpfigkeit der Jugend gegen die Gemessenheit des Alters stand. Die Moderne erfand die Kindheit, und die Postmoderne lockte die Alten, die ewig jung sein wollen, zurück in die Kinderwelt, in der alles einfach war.
Törichtes Machtkalkül Camerons
Die Wissenschaft ordnet dem Infantilismus Eigenschaften zu, mit denen Johnson und Trump sich schmücken: hemmungslos, emotional, undiszipliniert, trotzig, egozentrisch, zum Imponiergehabe neigend. Klare Kante, einfache Lösungen: Keine Einreise für Muslime mehr in die USA; raus aus der EU. Der mexikanische Gärtner ist dort der Feind wie hier der polnische Klempner, man hetzt gegen die "Weltklasselügnerin" (Trump über Hillary Clinton) und gegen den Aufstieg des "Deutschen Superstaats EU". Alles klar. Immer.
Im Brexit haben enttäuschte Alte Rache genommen an ihren Kindern und Enkeln. In dem schrecklichen Missverständnis, ihnen eine glorreiche Zukunft sichern zu wollen durch die Entfesselung des Vereinten Königreichs. Viele Junge konnten sich diese Rachsucht und Insularitätsseligkeit wohl nicht vorstellen; zu wenige gingen zur Wahl. Sie teilten diese verhängnisvolle Fehleinschätzung mit David Cameron. Der kann nicht einmal Jugend zu seiner Verteidigung geltend machen.
Der Premierminister hat sich aus törichtem Machtkalkül an der Zukunft seines Landes versündigt. Nun überlässt er seinem Nachfolger feige die Verhandlungen: Jenes quälende Gezerre, das nach Angela Merkels Diktum für die Briten kein "Rosinenpicken" werden soll. Das englische Gegenstück dazu ist die Volksweisheit, man könne den Kuchen nicht zugleich essen und aufheben. Beide Bilder erinnern an naschende Kinder.
Trump gehört zurück ins Reality-TV
Noch einmal: Es sind wahrlich nicht die Wähler Donald Trumps und Boris Johnsons allein, die zur regressiven Infantilität neigen. Das Internet mit seinem Jahrmarktsversprechen der nie endenden Zerstreuung, mit dem Glamour des globalen Laufstegs wie des Prangers hat in den Demokratien unterhaltungssüchtige Wähler herangezogen. Für sie ist alles Spiel, selbst über Krieg und Krisen kann man den Daumen heben und senken. Parteien, Kommunen, Kirchen haben ihre Bindungskraft verloren.
Die globale Peergroup der Zänkischen oder (seltener) Schwärmenden hat sie ersetzt. Trump ist ein Meister des hingeworfenen Tweets, der wirkt wie rohes Fleisch im Raubtierkäfig. In aller Regel leugnet er kurz darauf, etwas Anstößiges getan zu haben. Unübertroffen, selbst von Johnson, ist seine pubertäre Prahlerei: Dass er den Brexit bei der Einweihung eines Golfplatzes in Schottland erlebte, hielt er für exzellentes Timing. Was interessiert ihn, dass die Mehrheit der Schotten für "Remain" stimmte.
Soll man und darf man hoffen, dass der Vollzug des Brexit durch das Unterhaus oder durch ein Veto Schottlands verhindert wird? Aber würden dann nicht aufgebrachte Brexit-Befürworter die Straßen Londons fluten und das Parlament zu stürmen versuchen? Man muss fürchten, dass keine Regierung damit durchkäme, das Mehrheitsvotum zu ignorieren. Da würde der Spaß aufhören. Wahrscheinlich kommt die Einsicht zu spät, wie falsch es war, dem Volk die EU-Mitgliedschaft wie einen Schönheitswettbewerb anheimzustellen.
Wünschen mag man, dass die republikanischen Wähler in den USA zur Vernunft kommen. Dass sie am Wahltag im November den Halbstarken Donald Trump zurückjagen, wohin er gehört: ins Reality-TV.
Quelle: n24.de