Piefkes vor Wien: Als Bismarck Österreich aus Deutschland warf

  01 Juli 2016    Gelesen: 716
Piefkes vor Wien: Als Bismarck Österreich aus Deutschland warf
So etwas hatte es noch nicht gegeben: Eine Nation will die Einheit, und erreicht dies, indem sie einen großen Teil ihres Gebietes und ihrer Bevölkerung gewaltsam hinausdrängt. So geschah es am 3. Juli 1866, als Preußen in der Schlacht bei Königgrätz Österreich demütigte.

Realpolitik – das Wort machte Mitte des 19. Jahrhunderts Karriere, Politik, die sich wenig kümmert um alte Bündnisse, Erbfeindschaften, dynastische Verbindungen. Mit den düsteren Elementargeistern des Nationalismus, die man beim Wiener Kongress 1815 gezähmt zu haben glaubte, können Realpolitiker wenig anfangen. Der Realpolitiker gibt dem Nationalismus nur dann nach, wenn es seinen machtpolitischen Ambitionen in den Kram passt. Preußens Ministerpräsident Otto von Bismarck brachte die Realpolitik im 19. Jahrhundert zur Meisterschaft.

Wie eine deutsche Nation aussehen konnte, war damals sehr unbestimmt, man hatte das Gefühl, die Deutschen wussten selbst nicht, worauf sie hinauswollten. Preußen und Österreich waren beide, um Bismarck zu zitieren, nicht „vom nationalen Hund gebissen“, aber sie standen im Wettbewerb um die Machtposition in Deutschland, und da war weit und breit kein friedlich-freundlicher Dualismus zu sehen. Preußen fühlte sich zurückgesetzt in Deutschland, Kaiser Franz Joseph sah sich selbstverständlich als deutscher Fürst, entschlossen, Preußen nicht die Vorherrschaft in Deutschland zu überlassen. In diesem Wettbewerb suchten beide Verbündete in einem Deutschland, das es so noch gar nicht gab, in einer hypothetischen deutschen Nation. Dass die Auseinandersetzung mit Österreich 1866 de facto einen „deutschen Bruderkrieg“ nach sich zog, war Bismarck egal.

Der Krieg von 1866 war Bismarcks Krieg. „Mit einer solchen Schamlosigkeit und Frivolität ist vielleicht noch nie ein Krieg angezettelt worden wie der, den Bismarck gegen Österreich zu erheben sucht“, schrieb man in Wien am 1. Mai 1866. Da war der Nervenkrieg, den der Hohenzollernstaat rund um den „Deutschen Bund“, das wenig geliebte Kind des Wiener Kongresses, führte, schon etliche Jahre alt. 47 Millionen Menschen lebten hier, regiert von 34 souveränen und gleichberechtigten Fürsten und vier freien Städten, ein Koloss auf dem Papier, der den deutschen Klein- und Mittelpotentaten ihre Souveränitätsillusion bewahrte. Eine gemeinsame Lenkung des Bundes durch die beiden deutschen Großmächte Preußen und Österreich wurde bald immer unmöglicher. Mit der militärischen und ökonomischen Potenz wuchs auch Preußens Anspruch auf eine dominierende Rolle in Norddeutschland. Österreich geriet ins Hintertreffen. Zumal die Preußen den behäbigen Vielvölkerstaat aus dem deutschen Zollverein ausgesperrt hatten. Ein dynamischer Wirtschaftsmarkt wuchs zusammen. Ohne Habsburg.

Bismarck schrieb in antiösterreichischer Besessenheit darüber, dass Preußen in Deutschland keine Luft zum Atmen mehr habe und „einer weichen oder vom anderen gewichen werden“ müsse. Sein Propagandakrieg führte dazu, dass der Habsburgerstaat mit einem katholischen Kaiser an der Spitze von Tschechen und Kroaten nördlich des Mains immer weniger als deutscher Staat wahrgenommen wurde. Österreich hatte 1858 seinen letzten bedeutenden Feldherrn, Radetzky, zu Grabe getragen. Ein Jahr danach bewies der junge Kaiser Franz Joseph seine Unfähigkeit als Feldherr auf dem Schlachtfeld von Solferino. Die Niederlage wirkte nach: „Österreich hatte sich materiell verausgabt. Dann kam der erste Protoparlamentarismus auf und erzwang zusätzlich Ausgabenkürzungen beim Militär“, sagt der Militärhistoriker Christian Ortner. Die Umstellung auf Hinterladergewehre in der Infanterie wurde verschleppt, 30 bis 60 Prozent der Truppe wurden dauerhaft beurlaubt.

Gut geöltes Räderwerk. In Preußen wurden ähnliche parlamentarische Widerstände durch die Aushebelung des Landtags recht grob beseitigt. Schon zu Napoleons Zeiten hatten die Hohenzollern mit dem Aufbau einer Streitmacht begonnen, die 150 Jahre lang Maßstäbe setzte. Doch im Ausland traute man dieser Armee wenig zu, sie hatte ein halbes Jahrhundert, seit Waterloo, keinen ernsthaften Krieg zu führen gehabt, in den Kämpfen um Schleswig-Holstein 1864 machten die verbündeten Österreicher die bessere Figur. Auch der Angriffsgeist des preußischen „Bürgersoldaten“– Österreich hatte ein Berufsheer – wurde allgemein unterschätzt. Selbst in Berlin. König Wilhelm packte zu Beginn der Kämpfe 1866 sicherheitshalber seine Familienpapiere zusammen.

Am 18. Juni 1866 also zwingen Preußen und Italien Österreich in einen Zweifrontenkrieg. Österreich fehlt Russland, sein alter Verbündeter aus der Heiligen Allianz, den es im Krimkrieg im Stich gelassen hatte. So bleiben Sachsen, Bayern und das Gros der deutschen Klein- und Mittelstaaten.

Wie in einem gut geölten Räderwerk greift bei den Preußen zu Kriegsbeginn eins ins andere, das ausgebaute Eisenbahnnetz sorgt in einer nicht abreißenden Folge von Zügen für den Transport der Soldaten ins böhmische Kriegsgebiet, die moderne Telegrafie verbindet die Kommandostellen. In den Einleitungskämpfen setzt es Niederlage um Niederlage für die Österreicher. Das berüchtigte Zündnadelgewehr der Preußen mag zwar in Reichweite, Präzision und Zuverlässigkeit unterlegen sein. Aber mit den Hinterladern lässt sich dreimal so schnell schießen. Auch aus der Deckung. Die mit Bajonetten anstürmenden Österreicher geben ein leichtes Ziel ab. Die offensive Stoßtaktik ist für die kaiserliche Armee verheerend. Ludwig von Benedek, Kommandant der Nordarmee, wird bald so tief fallen, wie kaum ein Soldat vor und nach ihm.

„Katastrophe unausweichlich“. Noch ist der Krieg aber nicht verloren, als der wankelmütige Benedek am 1. Juli 1866 nach Wien telegrafiert: „Bitte Eure Majestät dringend, um jeden Preis Frieden zu schließen. Katastrophe für Armee unausweichlich.“ Die Antwort des Kaisers wird Geschichte schreiben: „Hat eine Schlacht stattgefunden?“ Kurz nach acht Uhr früh hallt am 3. Juli 1866 Kanonendonner durch die Ortschaften nahe des böhmischen Königgrätz. Pulverdampf legt sich über die regennassen Felder. Österreichs Infanterie hat Benedek mit einem Angriffsverbot belegt – Lektion gelernt, die Artillerie aber treibt Preußen an den Rand der Niederlage. Der spätere Mythos von Preußens Genialität auf dem Schlachtfeld ist nicht zu halten, wie Historiker Ortner erklärt: „Schon zu Mittag verloren König und Bismarck die Nerven. Sie glaubten nicht mehr an den Sieg.“

Doch nun nimmt die Schlacht ihre nächste, entscheidende Wendung – an der nordöstlichen Flanke. Zwei Korps sichern sie gegen den erwarteten Einfall der preußischen Kronprinzenarmee, von der aber weit und breit nichts zu sehen ist. Also geben sie die Flanke auf, lassen sich auf ein Scharmützel im nahen Swiepwald ein. „Das ist die große Katastrophe“, sagt Ortner. Die verspätete Kronprinzenarmee dringt bald über die aufgelöste Flanke hinter das Zentrum der Österreicher. Tausende sterben im Kugelhagel der Zündnadelgewehre. Die mit mehr als 400.000 Soldaten größte Schlacht des 19. Jahrhunderts ist für Österreich verloren. Nur Tage später stehen die Piefkes vor den Toren Wiens bei Gänserndorf – Johann Gottfried Piefke und Bruder Rudolf, die zwei preußische Musikkorps anführen.

Preußens König Wilhelm will nun in die Kaiserstadt einmarschieren − und zerreißt damit Bismarcks Nervenkostüm. Der weitsichtige Realpolitiker weiß, dass eine solche Demütigung Europa aufschrecken würde. Auch Österreich wäre als Partner für immer verloren. Bismarck setzt sich durch. Und schon 1873 ist man mit den Österreichern wieder verbündet. Es klingt nun wie ein Treppenwitz der Geschichte, dass just Bismarck, „der zuallererst immer Preuße, nicht Deutscher war“ (Ortner) und den Nationalismus nur einspannte, wenn es dem preußischen Machtzuwachs diente, später als Symbol eben jenes deutschen Nationalismus überhöht und verteufelt wurde.

Für Österreich geht 1866 im Süden die Provinz Venetien verloren, Ungarn ringt den geschwächten Habsburgern den Ausgleich von 1867 ab. Kaiser Franz Joseph wird in Wiens Straßen verhöhnt, seine Abdankung verlangt. Vor allem aber stürzt die kleindeutsche Lösung die Österreicher in eine Identitätskrise. Heute besteht Einigkeit unter den Historikern: Der machtpolitische Zugriff Bismarcks sei historisch unvermeidlich gewesen, doch habe Königgrätz bei den eingeengten Deutsch-Österreichern ein gefährliches Trauma hinterlassen. Letztlich, so Werner Conze, sei „Hitlers Weg zur Politik ohne dieses Trauma nicht zu verstehen“ .

Quelle: diepresse.com

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