Kampagne in Großbritannien: Diese drei Argumente sprechen für den Exit vom Brexit

  02 Juli 2016    Gelesen: 670
Kampagne in Großbritannien: Diese drei Argumente sprechen für den Exit vom Brexit
Die Kampagne zum Stopp des Brexit gewinnt renommierte Befürworter. Bleibt Großbritannien doch in der EU? Das Szenario ist nicht unrealistisch.
Theresa May wollte keinen Zweifel aufkommen lassen. "Brexit bedeutet Brexit", sagte die britische Innenministerin am Donnerstag, als sie ihre Kandidatur für die Nachfolge von Premierminister David Cameron ankündigte. Das Volk habe sein Urteil gefällt. "Es darf keine Versuche geben, in der EU zu bleiben, keine Versuche, durch die Hintertür wieder beizutreten, und es darf auch kein zweites Referendum geben."

Dass sich die mögliche künftige Regierungschefin in einer so wichtigen Rede genötigt fühlt, das vermeintlich Selbstverständliche zu betonen, zeigt: Auch führende britische Politiker nehmen die "Exit vom Brexit"-Kampagne inzwischen ernst.

Die Umsetzung des Referendums ist anscheinend keineswegs mehr selbstverständlich, immer besser organisieren sich die Gegner des Austrittsvotums - und sie haben gewichtige Argumente auf ihrer Seite:

1. Das Täuschungsargument

Das Referendum war keine 24 Stunden vorbei, als das Brexit-Lager zentrale Positionen seiner Kampagne kassierte - etwa die auf Bussen durchs Land kutschierte Irreführung, es flössen wöchentlich 350 Millionen Pfund von Großbritannien nach Brüssel, oder das Versprechen, die Einwanderung aus anderen EU-Staaten massiv zu senken. Die Behauptung, ein Brexit würde der britischen Wirtschaft nicht schaden, wurde von der Realität entkräftet: Das Pfund fiel auf den niedrigsten Stand seit Jahrzehnten, Großunternehmen erwägen den Abbau Zehntausender Arbeitsplätze, und die EU denkt gar nicht daran, den Briten nach einem Austritt den Zugang zum Binnenmarkt zu schenken. Daraus folgt:

2. Das Demokratie-Argument

Schon das Ergebnis des Referendums war so knapp, dass es "nicht belastbar" sei, sagte etwa Politologe Bernhard Weßels im Interview mit SPIEGEL ONLINE. Und sollte sich nun in den kommenden Wochen außerdem herausstellen, dass Millionen von Pro-Brexit-Wählern ihre Entscheidung revidieren wollen - wäre es dann nicht undemokratisch, dies zu ignorieren? Die Liberaldemokraten haben die Chance als Erste erkannt: Parteichef Tim Farron kündigte an, mit dem Versprechen in den Wahlkampf zu ziehen, den Brexit zu stoppen - und begründet das vor allem mit der Verlogenheit der Austrittskampagne.

Außerdem sei es mitnichten undemokratisch, ein Referendum zu kippen, sagte Farron dem "Guardian". 1975 etwa haben die Briten per Volksabstimmung entschieden, in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu bleiben, dem Vorläufer der EU. Wären Referenden auf ewig unantastbar, so Farrons Argument, hätte es auch das aktuelle Brexit-Referendum nicht geben dürfen.

Ein erneutes Referendum fordern nun nicht nur der britische Tory-Veteran Michael Heseltine oder der Labour-Politiker Geraint Davies. Auch Nigel Farage, Chef der rechtspopulistischen Ukip und einer der Brexit-Antreiber, hatte für den Fall eines knappen Ergebnisses eine Wiederholung angeregt - allerdings zu einem Zeitpunkt, als er noch eine Niederlage seines Brexit-Lagers befürchtete.

Der deutsche Staats- und Völkerrechtler Frank Schorkopf hält davon zwar nichts: "Man kann nicht solche Entscheidungen einfach infrage stellen, weil einem das Ergebnis nicht passt." Wenn es nun aber zu Neuwahlen käme, in denen Parteien für oder - wie die Liberaldemokraten - gegen den Brexit anträten, könnte der Volkswille doch noch ein zweites Mal zur Geltung kommen. Die Parlamentswahl wäre dann im Ergebnis ein zweites Referendum.

3. Das juristische Argument

Rechtsexperten sehen noch andere Gründe, das Brexit-Votum zu überdenken. Das Referendum habe "unter dilettantischen und verzerrenden Bedingungen" stattgefunden, erklärt etwa der Regensburger Strafrechtsprofessor Tonio Walter in einem Schreiben an den SPD-Parteivorstand, das er auf seiner Facebook-Seite veröffentlichte.

Der Cambridge-Professor Philipp Allott kritisiert im "Guardian", dass schon der Grund für das Referendum zweifelhaft gewesen sei: Das Motiv von Premier Cameron sei "nicht das öffentliche Interesse" gewesen, sondern das Wohl seiner eigenen Partei. Dies könnte einen Machtmissbrauch darstellen. Allott hält es sogar für möglich, dass einzelne Bürger den britischen EU-Austritt auf dem Klageweg stoppen könnten. Ein Gericht könnte es als "unvernünftig und unverhältnismäßig" ansehen, den Austritt aus der EU auf das Votum von weniger als der Hälfte der wahlberechtigten Bevölkerung zu stützen.

Cameron hat zwar erklärt, sich an das Referendum halten zu wollen. Doch weder er noch sein Nachfolger sind daran gebunden. Denn das Referendum selbst hat völkerrechtlich keine Außenwirkung und ist innerstaatlich nicht rechtlich bindend. Es ist eine politische Entscheidung der Regierung, zu beschließen, ob Großbritannien sich aus der EU zurückzieht. Allein sie kann Artikel 50 des EU-Vertrages auslösen - also eine verbindliche völkerrechtliche Erklärung gegenüber dem Europäischen Rat abgeben, die den Austritt einleiten würde.

Allerdings könnte das britische Unterhaus die Regierung auffordern, das Referendum zu missachten. "Genauso wie das Parlament beschließen konnte, die Brexit-Abstimmung durchzuführen, könnte es beschließen, ihre praktischen Folgen zu ignorieren", kommentiert der "Guardian".

Laut einer "Library Note" des britischen Oberhauses kommt dem Parlament in Sachen Austrittserklärung eine wichtige Rolle zu. Andere Rechtsexperten gehen noch weiter und meinen, dass die Regierung die Erlaubnis des Parlaments einholen muss, bevor sie den Austritt aus der EU einleitet.

Der britische Verfassungsrechtler Alan Renwick vom University College London sieht das zwar anders: Das Parlament könne "formal nicht darüber bestimmen", ob Artikel 50 aktiviert werde oder nicht. Wenn das Unterhaus aber den künftigen Premierminister (oder die Premierministerin) auffordern würde, Artikel 50 nicht zu ziehen, "dürften wir nichtsdestotrotz erwarten, dass er (oder sie) dies respektiert".


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