Britischem Pfund droht Schicksal als Weichwährung

  03 Juli 2016    Gelesen: 830
Britischem Pfund droht Schicksal als Weichwährung
In den vergangenen Jahren schien der Sterling eine stabile Währung zu sein. Damit dürfte es nach dem Brexit-Votum endgültig vorbei sein. Die Gewinner der aktuellen Turbulenzen finden sich anderswo.

Im September 1956 beschloss der britische Premierminister Anthony Eden, die Krise am Suezkanal durch militärisches Eingreifen zu lösen. Unterstützt durch französische Truppen, sollten Streitkräfte des alten Empire den aufmüpfigen ägyptischen Präsidenten Nasser in die Schranken weisen. Doch die Operation wurde für London zum Debakel. Militärisch konnten die Briten Nasser zwar zurückdrängen, doch die neuen Supermächte USA und UdSSR zwangen Eden unter Drohungen, seine Truppen abzuziehen. Diplomatisch war es eine der größten Niederlagen in der britischen Geschichte. Denn fortan war klar: London konnte auf der Weltbühne nicht mehr eigenständig agieren, es musste das Plazet der Amerikaner einholen. Das Empire war nicht mehr.

Heute vergleichen manche David Camerons Brexit-Referendum mit Edens unglücklicher Entscheidung, ohne Rückendeckung der Amerikaner am Suezkanal in den Krieg zu ziehen. Das Kanal-Abenteuer kostete das britische Pfund seinen Rang als Weltwährung. Fortan war der Sterling nicht mehr das Geld, in dem Rohstoffe wie Erdöl oder Kupfer gehandelt wurden. Auch als Reservewährung verlor der Sterling rapide an Ansehen. Die Sklerose der britischen Industrie in den Sechziger- und Siebzigerjahren gaben der Währung der einstigen Weltmacht den Rest.

Nachdem nun eine Mehrheit der Briten dafür gestimmt hat, die Europäische Union zu verlassen, befindet sich das Pfund einmal mehr im Abwärtssog. Die Wirtschaft des Vereinigten Königreichs steht dank der Reformen von Margaret Thatcher bis Tony Blair heute zwar viel besser da als vor einer Generation. Doch das Brexit-Votum wirft ein großes Fragezeichen auf die weitere Entwicklung. Eine Hartwährung wie die D-Mark war der Sterling nie, doch selbst die relative Stabilität der letzten Jahre ist nun in Gefahr. Der Verlust der AAA-Bonität, den Britannien Anfang der Woche hinnehmen musste, ist ein Menetekel. Während der Sterling schweren Zeiten entgegengeht, werten andere Währungen auf. Investoren suchen sich ihre eigenen sicheren Häfen.

"Die Schockwellen des Brexit-Referendums könnten das Pfund auf Niveaus zurückwerfen, wie wir sie seit dem Plaza-Abkommen nicht mehr gesehen haben", sagt Erik Nielsen, Chefvolkswirt bei UniCredit in London. Der Ökonom spielt damit auf die extreme Schwäche an, die der Sterling kurzfristig im Chaos-Jahr 1985 erlitt. Damals waren die Devisenmärkte außer Rand und Band. Unter Präsident Ronald Reagan lief die US-Wirtschaft auf Hochtouren, während Europa und auch das Vereinigte Königreich konjunkturell und politisch wackelten. Kapital floss im großen Stil aus der Alten Welt ab nach Amerika. Kurzfristig wurde das Pfund in dieser Zeit für nur 1,09 Dollar gehandelt. Noch ein gutes Jahrzehnt zuvor waren 2,40 Dollar bezahlt worden, und vor dem Krieg hatte lange ein Kurs von 4,86 Dollar gegolten.

Das Vertrauen in die Stabilität des Pfund ist dahin

Von einer Pfund-Schmelze kann derzeit – noch nicht – geredet werden, doch die Tendenz geht klar Richtung Weichwährung. In der Woche nach dem Referendum wird das Pfund an den Devisenmärkten in einer Spanne von 1,31 bis 1,34 Dollar gehandelt. Das Vertrauen in die Stabilität des Sterling ist dahin. Großbritannien ist die fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt, mit großen Banken und starken Unternehmen und internationalem Finanzzentrum.

Doch zugleich ist das Land hoch verschuldet. Der Staat steht mit 90 Prozent der Wirtschaftsleistung in der Kreide und weist überdies ein beträchtliches Doppeldefizit im Handel und im Haushalt auf. Nun kommt noch die Unsicherheit dazu, wie es auf der Insel politisch weitergeht. Wird es London schaffen, eine schnelle Einigung mit der EU zu erzielen? Werden sich die politischen Parteien, die sich wegen der Brexit-Frage zerstritten haben, zusammenraufen? Gibt es eine Loslösung Schottlands von Großbritannien? Gibt es neue Konflikte in Nordirland?

"Der Sterling wird in den nächsten Wochen und Monaten enorm unter Druck stehen", sagt Nielsen. Ein Absturz auf 1,25 Dollar sei alles andere als unwahrscheinlich. "Und das ist eine konservative Schätzung, wenn man sich anschaut, welche Shortpositionen Spekulanten auf das Pfund aufbauen", sagt der Ökonom. Dazu komme die wahrscheinliche Lockerung der Geldpolitik durch die Bank of England, die sich genötigt sieht, den Finanzsektor zu stützen. Damit nicht genug: "Nach dem Brexit-Votum ist wohl mit einer Rezession zu rechnen, und die ausländischen Direktinvestitionen dürften zum Erliegen kommen."

Schon jetzt ist das britische Pfund (und nicht etwa der Euro) die große Währung, die gegenüber dem Dollar auf Zehnjahressicht am meisten verloren hat. Verglichen mit 2006, steht der Kurs heute gut ein Fünftel niedriger. Und das ist nur die Fortsetzung eines langfristigen Trends. Seit 1971, als das Bretton-Woods-System fester Wechselkurse sich auflöste, hat das britische Geld fast die Hälfte seines Außenwerts verloren, wohlgemerkt zum Greenback, der auch nicht gerade im Ruf steht, "hart wie der Goldstandard" zu sein.

Das komplette Kontrastprogramm bildet der Schweizer Franken. Mussten Anfang der Siebzigerjahre noch 4,30 Franken für einen Dollar gezahlt werden, so ist der Franken heute teurer als der Dollar. Ein Amerikaner, der 1971 1000 Dollar in eidgenössisches Geld wechselte, machte ein fantastisches Geschäft. Heute würde er beim Rücktausch 4401 Dollar bekommen. Allein in den vergangenen zehn Jahren hat der Franken zur Leitwährung 27 Prozent aufgewertet.

Experten erwarten einen weiter starken Yen

Diese Schutzfunktion des Franken gegenüber Wertverlust wirkt umso mehr gegenüber dem britischen Pfund. Und auch Bürger der Währungsunion fuhren gut damit, einen Teil ihres Vermögens auf Konten in Zürich oder Basel zu parken. Zum Euro hat sich der Franken in den vergangenen zehn Jahren um 44 Prozent verteuert. Briten, die Geld in der Eidgenossenschaft deponierten, konnten sich seit 2006 sogar über einen Wertgewinn von 73 Prozent freuen. Durch Interventionen versucht die Schweizerische Nationalbank (SNB), die Aufwertung nicht zu stark werden zu lassen. Aber der Franken ist die härteste "Papierwährung" der Welt.

Die einzige andere Devise, die mithalten kann, ist der japanische Yen. Japan ist zwar mit mehr als dem Doppelten seiner Wirtschaftskraft verschuldet, die Verbindlichkeiten liegen jedoch fast ausschließlich im Inland, in den Händen nahezu stoischer Gläubiger. Außerdem hat das asiatische Land im Gegensatz zu Großbritannien kein chronisches Handelsdefizit, Handelspartner und Anleger decken sich an den Devisenmärkten mit Yen ein. "Die japanische Währung verzeichnet aktuell Zuflüsse", sagt Christian Zima, Fondsmanager bei Raiffeisen Capital Management in Wien.

Viele Experten halten es für wahrscheinlich, dass der Yen weiter aufwerten wird und bald weniger als 100 Yen für den Dollar bezahlt werden müssen. So gefragt war die japanische Valuta seit drei Jahren nicht. Beobachter rechnen freilich damit, dass die Bank of Japan ähnlich wie die SNB den Kurs durch Interventionen zu drücken sucht. Langfristig haben solche Eingriffe eine Verteuerung allerdings immer nur gebremst, nie verhindert.

Ein überraschender Verlierer des Brexit könnte nach Überzeugung der Devisenmarkt-Profis die norwegische Krone sein. "Die Aussichten für das globale Wachstum verschlechtern sich, und das dämpft die Ölpreisnachfrage", sagt Zima. Auf Sicht von zehn Jahren ist der einstige sichere Hafen im Norden schon jetzt einer der großen Verlierer: Abgesehen vom Pfund hat keine andere große Währung so stark verloren wie die norwegische Krone. Wegen der soliden wirtschaftlichen Basis des skandinavischen Landes ist eine Schmelze allerdings anders als beim Sterling unwahrscheinlich.

Nicht alle Experten sind der Meinung, dass sich der Kursverfall des Pfundes zu einer echten Währungskrise auswachsen wird. "Der Ausblick für das britische Pfund hat sich klar verschlechtert", stellen die Experten der BNP Paribas klar. Doch nach dem anfänglichen Schock könne zumindest kurzfristig eine Gegenbewegung folgen. "In den nächsten Wochen dürfte der Sterling an den Devisenmärkten auf unter 1,30 Dollar sinken", sagen die Franzosen. Doch im Laufe des dritten Quartals trauen sie dem Pfund eine Erholung auf 1,35 Dollar zu, im vierten Quartal vielleicht sogar auf 1,38 Dollar. Klar sei jedoch auch: Das Pfund wird nicht mehr so stark sein wie vor dem Votum vom 23. Juni 2016.

Quelle: n24.de

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