Und es stinkt, nach Kuhdung, sagen die einen, ranzig, meinen die anderen – aber jedenfalls so erbärmlich, "dass man praktisch eine Gasmaske braucht", wie Mark Perry schildert.
Perry ist der Direktor der Gesellschaft für Meereskunde in Stuart und hat in seinen mehr als 30 Jahren im Geschäft "so etwas noch nie erlebt". Algenblüten kämen in der Sommerwärme immer mal wieder vor, sagt er, "aber das hier ist wirklich sehr schlimm". Nicht nur in Stuart.
Das Algenproblem hat sich in den vergangenen Tagen im Süden Floridas so stark ausgebreitet, dass Gouverneur Rick Scott in vier Bezirken – Martin, St. Lucie und Palm Beach am Atlantik sowie im Lee County an der Golfküste – den Notstand ausgerufen hat.
Mehrere Strände sind gesperrt, an Flussmündungen stehen Schilder, die davor warnen, mit der giftigen Brühe in Berührung zu kommen – und das ausgerechnet zum amerikanischen Unabhängigkeitstag am 4. Juli mit einem verlängerten Wochenende. Da sind die Strände sonst proppenvoll.
Wenn Umweltschutz auf Agrarpolitik trifft
Stuart und die Umgebung trifft es besonders hart. Die Stadt lebt "100-prozentig vom Tourismus", wie Jordan Schwartz schildert. Er ist Besitzer eines Surfladens und sagte dem Sender CNN, dass er weinen könnte, wenn er den grünen Schleim sieht. "Du gehst an den Strand, es ist der Höhepunkt des Sommers, und alles ist leer – die Strände, die Restaurants, die Hotels."
Auch die Tiere leiden. Das Flussmündungsgebiet von Stuart weist eine selten große Vielfalt auf, mit Arten aus gemäßigten und tropischen Klimazonen, wie Biologe Vincent Incomio von der Gesellschaft für Meereskunde erläutert. Er befürchtet, dass viele Tiere sterben könnten: "Ich glaube, wir sind erst am Anfang."
Hinter der schlimmen Algenplage stecken Probleme, "die das moderne Florida definieren", wie es die "New York Times" formuliert. Die Zeitung spricht von einem Konflikt zwischen Umweltschutz, Besiedlung und agrarwirtschaftlichen Interessen, gepaart mit Versagen des Staates. Experte Perry hat eine andere Bezeichnung dafür: "Es ist ein von Menschen verschuldetes kriminelles Desaster."
Stuart liegt etwa 60 Kilometer vom Lake Okeechobee entfernt, Floridas größtem Binnensee. Der aber ist verschmutzt mit landwirtschaftlichen Abfallprodukten und verfügt über ein schon fast 80 Jahre altes Dammsystem. Gebaut wurde das nach einem Hurrikan mit schweren Überschwemmungen im Jahr 1928, damals starben 2500 Menschen.
Um nahe gelegene Städte vor neuen Überflutungen zu schützen, wird regelmäßig Wasser aus dem See abgeleitet, in Richtung Osten, also zum Atlantik, und Richtung Westen. Aber nicht gen Süden, hin zu den Everglades, wohin das Wasser naturgemäß fließen würde und wo der schädliche Schmutz darin – hauptsächlich Nitrate – abgebaut würde. Denn südlich des Sees liegen lukrative Zuckeranbaugebiete. Just in diesem Jahr gab es der "New York Times" zufolge eine Rekordernte.
"Es stinkt zum Himmel"
Nach einem früheren Beschluss sollte der Staat der Zuckerindustrie mehrere Hundert Quadratkilometer Land abkaufen, damit das Wasser dorthin abfließen kann, aber er tat es nicht. Dafür bereitgestelltes Geld gab er für andere Zwecke aus. Für Perry und viele andere Kritiker ist klar, dass neben insgesamt knappen Kassen politische Erwägungen eine Rolle spielen. Die Zuckerindustrie in Florida ist mächtig, spielt auch bei Wahlen eine gewichtige Rolle.
So gelangt denn das Wasser mit den Schadstoffen aus dem See in das Flusssystem der drei Bezirke an der Atlantikküste und begünstigt die Algenbildung. Besonders schlimm wird es dann, wenn es schon auf dem See Algenblüte gibt, die dann mitgeschwemmt wird – wie dieses Jahr. Perry nennt es ein "absolutes Verbrechen, dass das im Namen der Landwirtschaft erlaubt wird".
Marisa und Duncan Baskin haben sich vor zwei Jahren nahe dem St.-Lucie-Fluss ein Haus gekauft. Jetzt denken sie der "New York Times" zufolge daran wegzuziehen. Wo sie sonst Kinder spielen sehen, ist es leer – und stinkt zum Himmel.
Quelle : welt.de
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