Dem Kampf schöne Augen machen

  06 Juli 2016    Gelesen: 611
Dem Kampf schöne Augen machen
Mit den „Rocky“- und „Rambo“-Filmen wurde er berühmt. Und wusste früh und konsequent aus der eigenen Gebrochenheit kinotaugliches Pathos zu schöpfen. Sylvester Stallone zum siebzigsten Geburtstag.
Seine Mama fand, er habe die Augen von Bette Davis. Tatsächlich scheint das sinnlich-schwerblütige Gesicht dieses hochattraktiven Menschen mehr von Romance als von Action zu wissen: Sein Blick kann Betrachterinnen und Betrachter mit einem einzigen trägen Blinzeln von der Basedowschen Krankheit heilen, die lockere Lippe darf den Fachausdruck kissability bebildern, und die Haare sitzen jederzeit wie frisch vom jüngsten Schicksalssturm frisiert.

Man glaubt diesem Antlitz gern, dass es die Welt ausgewogen mit einem lachenden und einem weinenden Auge betrachten kann, auch wenn das lachende in Sylvester Stallones Filmen oft ein blaues oder zugeschwollenes war, der vielen Haue wegen. Nach Gelegenheitsjobs als namenloser Eckensteher und Kleinkrimineller bei Woody Allen oder Alan J. Pakula erfand und verkörperte Stallone zunächst den Boxer „Rocky“ (1976), der sich aus sozialgerümpelrealistisch um ihn herum gruppiertem Unterschichtendekor trotz Sportniederlage zum Sieg über seine Selbstzweifel und die Geringschätzung der Umwelt durchbiss, was proletkultaffine Klassensolidaritätssentimentaliker wie marktliberale Individualkarrieregläubige gleichermaßen ansprach.

Als Vietnam-Heimkehrer John Rambo in Ted Kotcheffs „First Blood“ (1982) gelang Stallone eine solche popularitätserzwingende Verklammerung der Sehnsüchte weit auseinanderliegender Publikumssegmente sogar ein zweites Mal: An einem Kerl, der die Vereinigten Staaten von Amerika dafür bestraft, dass sie ihre besten, aber seelisch invaliden Söhne nach deren antikommunistischem Opfergang in Südostasien weder zu ehren noch zu trösten vermochten, konnten sowohl kriegstraumatisierte Hippies wie die hartherzigen Waffensammler der National Rifle Association Gefallen finden.

Mit beiden Beinen fest auf den eigenen Unsicherheiten
Wenn künstlerische Größe das öffentliche Aushalten von Widersprüchen ist, dann war Stallone nach diesen beiden Filmen ein Riese. Weil ihn aber der Gewaltkitschknallkopf George P. Cosmatos 1985 in „Rambo: First Blood Part II“ als mit Rapsöl eingeschmierte Fleischwurstballonpuppe für die vom Vietkong beigebrachte Schlappe Rache nehmen ließ, geriet leider auf Jahrzehnte in Vergessenheit, dass Stallones Schauspielerpersona eigentlich mehr mit italoamerikanischer Panthergeschmeidigkeit zu tun hat – das heißt: mit Al Pacino oder John Travolta – als mit dem bolzengeraden Grobianismus der Schwarzenegger-Lundgren-Seagal-Gladiatorenära.

Mehrere Rocky- und Rambo-Fortsetzungen sowie eine weitere von Cosmatos verantwortete Stinkbombe namens „Cobra“ (1986) bürdeten Stallone danach einen Ruf auf, den der Comiczeichner Dave Sim in seiner Heftserie „Cerebus“ auf das Bild des Klostergärtnereigehilfen Stallone zusammenschnurren ließ, der die Erde verprügelt, damit sie Blumen und Sträucher hervorbringt.

Zum Tod des großen iranischen Regisseurs und Lyrikers Abbas Kiarostami
Spätestens mit Peter Macdonalds „Rambo III“ (1988) war der Tiefpunkt erreicht: Die Figur, die einst dafür hatte stehen sollen, wie uneins die westliche Weltmacht mit sich selbst war, durfte als killkompetenter Demokratiebotschafter den Stolz der Stämme und ihren religiösen Eifer gegen die gottlosen Fremden aus der Sowjetunion anheizen, sah dabei allerdings dank Stallones melancholischer Mimik manchmal schon so verdrossen aus, als ahnte sie bereits, dass der ganze Islam-in-Waffen-Krempel seinen Sponsoren noch einmal böse um die Ohren fliegen würde.

Nach dem Testosteron-Boom der Ära Reagan samt ein paar Spätzündern in den Neunzigern hatte der Bizeps als wichtigstes All-American-Heldenattribut zunächst ausgedient; die eben noch leinwandbeherrschenden Männermonster sahen sich vor die Wahl gestellt, entweder als ausgestopfte Saurier in Themenrestaurants („Planet Hollywood“) entsorgt zu werden oder dieses Saurier-Imago in ihr eigenes mythisches Nachbild zu verwandeln, den vormals feuerspeienden Drachen, der schon bessere Zeiten gesehen hat, aber aus der eigenen Gebrochenheit kinotaugliches Pathos zu schöpfen weiß.

Diesen Weg hat Stallone früher und konsequenter beschritten als alle anderen; bestünde sein Spätwerk nur aus James Mangolds „Cop Land“ (1997), wo er als aus dem Leim gegangene Bruchexistenz die Scherben seines alten Spiegelbildes einsammelt, und „John Rambo“, bei dem er 2008 selbst Regie führte, um seinem ewigen Veteranen einen letzten welken Kranz zu flechten, hätte sich das Weitermachen schon gelohnt. Wie man hört, taucht er mit dem großen Zeh neuerdings vorsichtig ins Fernsehen – und wird auch hier wieder Charakter beweisen, sofern man unter Charakter versteht, was seinen Rocky Balboa unsterblich gemacht hat: die Fähigkeit, mit beiden Beinen fest auf den eigenen Unsicherheiten zu stehen, sich ihnen nicht zu ergeben und sie nie ganz zu verleugnen. An diesem Mittwoch wird Sylvester Stallone siebzig Jahre alt.


Tags:


Newsticker