So will Russland jetzt die Weltmärkte erobern

  06 Juli 2016    Gelesen: 924
So will Russland jetzt die Weltmärkte erobern
Der Verfall des Ölpreises hat Russland ins Mark getroffen. Auch der Rubel ging auf Talfahrt. Davon allerdings profitieren nun vor allem drei Branchen. Sie schwingen sich auf, die Welt zu erobern.
Das andere Russland beginnt in der Leningrad-Chaussee 39A, im Nordosten der Hauptstadt Moskau. Im Eingang von Gebäude Nummer zwei blickt den Besucher ein "Grüner Elefant" an. 2,65 Meter hoch ist die Skulptur von Salvador Dalí. Firmeneigner Jewgeni Kaspersky findet, dass das Grün ganz wunderbar zu seinem Unternehmensdesign passt. Und dann sei da noch der großartige Name. "Triumphierender Elefant" hatte der Künstler sein Werk ursprünglich genannt.

Was Kaspersky in der Leningrad-Chaussee hochgezogen hat, ist in der Tat ein triumphaler Erfolg. Der Hersteller von Antivirenprogrammen und Sicherheitssoftware fürs Internet ist neben Öl, Gas und Kalaschnikow die stärkste russische Marke weltweit.
Hat eine der großen russischen Marken gegründet: Jewgeni Kaspersky.

Vor 19 Jahren hat der Absolvent der Moskauer KGB-Hochschule gemeinsam mit seiner Frau das gleichnamige Privatunternehmen gestartet. Heute zählt es 3500 Mitarbeiter in 37 Niederlassungen weltweit. Nur knapp 15 Prozent des Umsatzes werden im Inland gemacht. Ein Drittel in Europa, ein Viertel in den USA.

Was für globalisierungsverwöhnte Westler unspektakulär klingt, ist für die russische Wirtschaft ein Sonderfall. Seit jeher ist diese vom Rohstoffexport (vorwiegend Öl und Gas) dominiert.
Zwar berichteten mehrere hochrangige Politiker in den vergangenen Wochen euphorisch von einer erfolgreichen Überwindung dieser einseitigen Abhängigkeit. Bei genauerem Hinsehen jedoch zeigt sich, dass dabei zum Teil Propaganda mit im Spiel war.

Aus innovativen Geistern wurden globale Spieler

Sowohl die Statistik der russischen Zollbehörde als auch das renommierte Moskauer Zentrum für makroökonomische Analysen und kurzfristige Prognosen (ZMAKP) legen offen, dass Rohstoffe derzeit 60,7 respektive 59 Prozent des gesamten Exports ausmachen. Ein fatales Faktum angesichts des Ölpreisverfalls, der im Sommer 2014 eingesetzt hat: Im Vorjahr brach der gesamte russische Export auf Dollar-Basis gegenüber 2014 um 31 Prozent auf 343,4 Mrd. Dollar (309 Mrd. Euro) ein.

Von einer Überwindung der Rohstoffabhängigkeit kann also keine Rede sein, von einer Reduktion aber sehr wohl. Noch im ersten Jahresdrittel 2015 hatte der Anteil der Rohstoffe am Gesamtexport je nach Statistik bei 66 bis 68 Prozent gelegen. Man könne zwar nicht sagen, dass wir nicht mehr "an der Ölnadel hängen", stellte dieser Tage der Stabschef im Kreml, Sergej Iwanow, fest: Aber man sei auf dem richtigen Weg.

Das verdankt das Land nicht nur einem Unternehmertalent wie Kaspersky, dessen Antivirenteam im Vorjahr 619 Mio. Dollar umsetzte. Auch andere innovative Geister haben sich im großen Schatten der Rohstoffkonzerne zu globalen Spielern gemausert.

Der schwache Rubel spielt IT-Produzenten in die Hände

Monokristall etwa, der weltweit größte Hersteller von synthetischen Saphiren: mit seinen 300 Kilogramm schweren Kristallen hat er in der Boomzeit bei Leuchtdioden vor ein paar Jahren so richtig abgehoben, leidet als Zulieferer von Apple allerdings nun darunter, dass der US-Konzern keine Saphire in seinem Modell iPhone 6 verwendet. Oder das IT-Unternehmen ABBYY, das zu den weltweit führenden Anbietern von Software zum maschinellen Sehen und zur Computerlinguistik gehört und in den Produkten von HP, Panasonic oder Samsung Electronics verwendet wird.

Nun mag der Export von IT-Technik für ihre Hersteller eine Goldgrube sein, wie etwa der Fixplatz von Jewgeni Kaspersky in der "Forbes"-Liste der russischen Milliardäre zeigt. Dem Land werden sie keine vergleichbare Geldschwemme wie die Rohstoffe bringen. Nach Schätzungen des Ministeriums für Kommunikationstechnologie wurden im Vorjahr IT-Produkte im Wert von sieben Milliarden Dollar exportiert.

Und dennoch sind die Zeiten für sie so günstig wie noch nie. Das liegt am Rubel, der im Zuge des Ölpreisverfalls im Vorjahr auf historische Tiefststände abgestürzt ist und auf relativ niedrigem Niveau verharrt. Jahrelang waren die rohstofffernen Wirtschaftssektoren durch die ölpreisbedingte Stärke des Rubels in ihren Exporten behindert. Nun spielt den Unternehmen die Schwäche der Währung in die Hände.

Gute Zeiten für ausländische Investoren

Auf Dollar-Basis allerdings gingen die Umsätze zunächst sogar zurück. Bei Kaspersky war es eine Schrumpfung um neun Prozent. Bei Monokristall ein Minus von 18 Prozent. "Eine Ausweitung des Marktanteils in entwickelten Staaten passiere eben trotz günstigem Rubel nur langsam und sukzessive", sagte ein Kaspersky-Sprecher der "Welt".

Hilft der günstige Rubel schon nicht unmittelbar bei Marktanteilen, so verleiht er doch mehr Spielraum, da die Einnahmen in Dollar oder Euro erwirtschaftet, die meisten Ausgaben zu Hause aber in Rubel getätigt werden. Das lässt auch das Staatsbudget besser aussehen, als es in Wirklichkeit ist. Allein Personalkosten haben sich um bis zu 50 Prozent verringert. Kaspersky plant, in diesem Jahr an die 300 neue Computerspezialisten einzustellen.

Die Vorteile des günstigen Rubels sind in aller Munde. Abwertungen dieses Ausmaßes finden nicht häufig statt. Das ist sogar für ausländische Investoren, die sich von Russland im Laufe der vergangenen zwei Jahre ferngehalten haben, ein Mitgrund, sich wieder im Land zu engagieren. Denn von dort können sie sogar günstig exportieren. So liefert Continental die in Russland hergestellten Autoreifen bereits nach Westeuropa oder China. VW exportiert Motoren aus seinem Werk in Kaluga bei Moskau. Und selbst das schwedische Möbelhaus Ikea überlegt, Waren aus russischer Produktion ins Ausland zu liefern.

Der zweitgrößte Waffenexporteur

Ein Marken- und Imageproblem haben diese "westlichen" Produkte, die nun als "made in Russia" daherkommen, nicht. Anders ergeht es vielen genuin russischen Erzeugnissen, für die in der Welt erst eine entsprechende Marke geschaffen werden muss.

Es wäre nicht Russland, wenn nicht sofort Hilfe bei der Regierung gesucht würde: "Der Staat muss das Branding ,made in Russia` unterstützen", fordert Pjotr Fradkow. Er ist Sohn des Chefs des russischen Auslandsnachrichtendienstes SWR und selbst Chef des Russischen Exportzentrums (REZ), das die Regierung erst im vergangenen Jahr schuf. Man hätte auch fordern können, dass der Staat die Unternehmen einfach weniger behindert und so Betriebsressourcen freilegt.

In diversen Sektoren hat der Staat immer schon nachgeholfen. So in der staatlich monopolisierten Rüstungs- und Waffenindustrie, die in Russland sehr unverblümt "Kriegsindustrie" genannt wird. Nicht zufällig stellt sie schon längst den wichtigsten Exportsektor neben der Rohstoffbranche dar.

Was die Zuverlässigkeit der Zahlen angeht, ist Vorsicht geboten. Die Zählmethoden unterscheiden sich erheblich. Zwar bleibt Russland auch in der maßgeblichen Statistik des Stockholm International Peace Research Institute (Sipri) unangefochten zweitgrößter Waffenexporteur hinter den USA. Aber die russischen Exportvolumina gingen laut Sipri gerade 2014 und 2015 zurück. Das könne damit zu tun haben, dass Russland in einem gewissen Moment China und Indien nicht belieferte, weil es Probleme mit dem Schutz von Urheberrechten gab, so der russische Militärexperte Alexander Goltz.

Ein Geheimcode für Exporte

Russland dominiert etwa ein Viertel des globalen Waffenmarktes. Zwei Drittel der russischen Waffenlieferungen gehen nach Südostasien. Peking etwa hat als erster ausländischer Kunde das russische Flugabwehrsystem S-400 gekauft und 24 Su-35-Kampfjets bestellt. Laut US-Kongress verdient Russland am Waffenexport gut zehn Mrd. Dollar jährlich. Das russische Zentrum zur Analyse des globalen Waffenhandels gibt für 2015 knapp 14 Mrd. Dollar an. Die Rüstungsindustrie profitiere jedenfalls vom günstigen Rubel, schreibt das führende russische Wirtschaftsmagazin "RBK".

Und sie profitiert von staatlich verordneter Geheimhaltung. Denn wie das russische Zollamt ausweist, machten die unter dem staatlichen Geheimcode SSSS exportierten Waren im Vorjahr 56,2 Mrd. Dollar aus. Jeder siebte Dollar der Exporterlöse wird unter dem Code SSSS erwirtschaftet – so viel wie seit 2012 nicht mehr.
Das müssen nicht nur Waffen oder Dual-Use-Güter (für zivilen und militärischen Gebrauch) sein. Darunter fallen auch gewisse Lieferungen der Flugzeugindustrie oder sogar von Gas. Nicht zufällig liegt Deutschland mit 9,45 Mrd. Dollar auf Platz eins der Empfängerländer für russische Waren des Codes SSSS.

Immerhin braucht die Landwirtschaft keine Geheimhaltung. Im Gegenteil: Als nahezu einziger Sektor erlebt sie im Moment in Russland einen Schub, sodass jeder davon spricht. Dafür hat vor allem das Importembargo für westliche Agrarprodukte gesorgt, das die eigene Produktion ankurbelt. Der schwache Rubel kommt nun auch dem Export zugute, sodass der Verkauf landwirtschaftlicher Erzeugnisse ins Ausland inzwischen mehr einbringt als der Waffenexport, wie die Nachrichtenagentur Bloomberg kürzlich vorrechnete. 2015 hat Russland die bisher größten Weizenexporteure USA und Kanada überrundet.

Quelle: n24.de


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