„Wegen Allah werdet ihr euch fürchten, noch vor die Tür zu gehen“, sagt ein bärtiger Uniformierter auf Albanisch. „Ihr werdet euch fürchten, zur Arbeit ins Büro zu gehen und sogar niedergeschlagen und voller Angst zu Hause zu sitzen", droht der Mann mit dem Kampfnamen Abu Muqatil al-Kosovi Ungläubigen, sogenannten Kuffar. Der Terror werde sie "bis in ihre Träume verfolgen".
Anfang Juni hatte das Hayat Media Centre, die Propagandamaschinerei der Jihadistenmiliz Islamischer Staat, das Video veröffentlicht. Eine Gruppe Bärtiger in grün-braunen Tarngewändern und Maschinengewehren droht darin mit einer Terrorwelle in Serbien, dem Kosovo, Albanien und Mazedonien. Der abschließende Appell: Die Muslime auf dem Balkan sollten dem "Ruf der Khilafah" folgen, also ein islamisches System errichten.
Wie die meisten Videos des IS zeichnet der Clip ein idyllisches Leben der Jihadisten in Syrien und im Irak. Seite an Seite, wie Brüder, kämpfen Bosnier, Kosovaken und Albanier für ihre Sache. Zuvor hat die Terrormiliz etwa auch für Frankreich oder Libyen solche hochqualitativen Rekrutierungsvideos erstellt.
Hoher Pro-Kopf-Anteil an ausländischen Kämpfern
Zwar folgen auch aus Mazedonien und Albanien immer wieder Menschen dem Ruf des IS nach Syrien oder in den Irak, doch die größte Gruppe ausgewanderter Kämpfer kommt laut einem Bericht der Soufan-Gruppe aus Bosnien und dem Kosovo. Sie zählte bis vergangenen Oktober 330 Foreign Fighters aus Bosnien, aus dem Kosovo waren es 232 Kämpfer. Insgesamt haben sich laut Soufan 875 Menschen vom Balkan der Terrormiliz angeschlossen, wobei die Terror-Auswanderungswelle in den vergangenen Monaten abgeflaut ist.
Die beiden Länder liegen EU-weit in einem außerordentlich hohen Schnitt: Auf eine Million Einwohner kämen im Kosovo 125, in Bosnien 85 IS-Kämpfer, sagt das "Kosovar Center for Security Studies". Zum Vergleich: In Belgien, das ebenso mit der Radikalisierung seiner Bürger zu kämpfen hat, sind es 41 Kämpfer pro eine Million Einwohner.
In einer Region, in der die Wunden des Kriegs Anfang der 90er Jahre noch immer nicht verheilt sind, ist es eine explosive Mischung aus wirtschaftlichen, politischen und sozialen Faktoren, die vor allem junge Menschen in die Hände der Extremisten treiben. Eine große Herausforderung ist die Jugendarbeitslosigkeit, sagte Balkan-Experte Vedran Dzihic vom "Österreichischen Institut für Internationale Politik" dem ORF. Sie beträgt auf dem Balkan 50 Prozent. Bosnien weise mit fast 63 Prozent eine der höchsten Jugendarbeitslosigkeiten weltweit auf.
Brutstätten der Radikalisierung
„Die meisten jungen Männer (in Bosnien, Anm.) leben bei den Eltern, es gibt keine Perspektive auf den EU-Beitritt oder die Verbesserung ihrer Lebensumstände. Und der Zugang zum Arbeitsmarkt wird immer noch vom Parteienapparat organisiert“, sagte Dzihic. Im Kosovo ist es ähnlich. Auch hier schließen sich vorwiegend ungebildete, arbeitslose, vorbestrafte Männer aus zerrütteten Familien dem IS an. Sie fliehen vor häuslicher Gewalt, Eheproblemen, Schulden, Drogen, Alkohol und Vorstrafen oder sind auf der Suche nach einem Partner, nach Abenteuern oder Zugehörigkeit.
Die Rekrutierung funktioniert am Balkan nur zum Teil über das Internet - die Online-Werbung diene hier nur als ein Multiplikator, sagt die NGO Atlantic Initiative. Sowohl in Bosnien als auch im Kosovo hat sich Saudiarabien durch großzügige Spenden in den Aufbau der Infrastruktur und Wohltätigkeitsorganisationen nach dem Krieg in den 90er Jahren einen wesentlichen Einfluss gesichert. Damit gewann auch der saudische Wahhabismus, eine strenge Auslegung des Islam, über die Jahre subtil an Einfluss.
Zum Problem werden zunehmend auch salafistische Prediger, die in Untergrundgemeinden ihre ultraorthodoxen Ansichten verbreiten. Diese "Brutstätten der Radikalisierung", wie sie Atlantic Initiative nennt, füllen die Lücken im Sozial-, Gesundheits- und Bildungssystem, die die Regierungen der wirtschaftlich schwachen Länder nicht im Stande waren, zu schließen.
EU erhöht Druck auf Balkanländer
Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Bosnien versucht nun etwa mit eigenen Gebetsgruppen, sogenannten Dschemati, entgegen zu steuern. Die Regierung in Sofia verabschiedete Ende Juni ein Gesetz, das die Haftstrafen für radikalislamische Prediger auf drei Jahre erhöht. Eine Woche zuvor hatten die Parlamentarier bereits einen "Burka-Bann", wie ihn Medien titulierten, beschlossen: Die komplette Gesichtsverschleierung von Frauen soll landesweit verboten werden. Das neue Regelwerk ziele auf die "aggressive Einschränkung persönlicher Freiheiten und menschlicher Würde von Frauen" in Gemeinschaften, in denen "radikaler Islam existiere" ab, hieß es.
Auch vonseiten der EU erhöht sich der Druck auf Bosnien. Um Terroristen den Geldhahn abzudrehen, will Brüssel unter anderem eine schwarze Liste mit Ländern erstellen, die Terrorfinanzierung erleichtern. Berichten zufolge ist Bosnien der einzige europäische Staat auf dem Papier, neben üblichen Verdächtigen wie Afghanistan, Iran, Irak, Jemen, Nordkorea, Syrien sowie Guyana, Laos, Uganda und Vanuatu.
Quelle: diepresse.com
Tags: