Bilanz der Europameisterschaft: Ein Turnier der Logik

  11 Juli 2016    Gelesen: 403
Bilanz der Europameisterschaft: Ein Turnier der Logik
Mit Portugal hat diese EM einen verdienten Sieger gefunden. Das Team hat den kopfgesteuerten Mannschaftsfußball am besten beherrscht. Das ging auf Kosten des Gefühls. Das Turnier hat am Ende niemanden erwärmt.
Es hatte so kommen müssen. Dieses Turnier hatte keinen anderen Sieger verdient. Am Ende wurde Portugal Europameister, weil diese Mannschaft am besten verkörpert, wie in Frankreich Fußball gespielt wurde. Es war ein Turnier, bei dem Fußball mit dem Kopf gespielt wurde, weniger mit dem Herzen. Ein Sieg der Ratio über die Emotion - daran ändert auch Cristiano Ronaldos Tränenmeer am Finalabend nichts.

Diese EM hatte am Ende auch keinen echten Star, trotz des quirligen französischen Stürmer-Filous Antoine Griezmann, der mit sechs Treffern Torschützenkönig wurde. Und es ist folgerichtig, dass es so war. Selten gab es ein Turnier, in der individuelle Klasse sich so wenig durchgesetzt hat gegenüber dem, was man Kollektiv nennen kann. Eine Mannschaftsleistung, bei der jeder weiß, was er zu tun hat, jeder eine Aufgabe erfüllt.

Jeder Spieler ist deswegen ersetzbar, die Mannschaften werden zu kleinen, perfekt ausgebildeten Armeen. Portugals Trainer Fernando Santos hatte das von allen am besten verstanden. Ausgerechnet der Trainer, der den Superstar des Turniers in seinen Reihen hatte. Dass Portugal das Endspiel gewonnen hat ohne den früh ausgewechselten verletzten Ronaldo - das passt perfekt ins Gesamtbild.

Es ist sehr viel über das schwache Niveau dieser EM geschimpft worden, über die Angst der Teams, einfach nach vorne zu spielen, zu stürmen ohne Schranken. Deutschlands Bundestrainer Joachim Löw hat im Zusammenhang mit dem Italienspiel diese Haltung "naiv" genannt, die Italiener "hätten sich gefreut, wenn wir einfach offensiv angegriffen hätten", sie hätten es nach Löws Lesart gnadenlos ausgenutzt. Vermutlich hat er recht.

Aber die Teams haben auch nicht einmal versucht, das Gegenteil zu beweisen. Für das anarchische Moment, das Spiel um des Spiels willen, war bei dieser EM kein Platz mehr. Fußball ist eine kalkulierte Angelegenheit geworden, cool, um es positiv auszudrücken, kalt, wenn man es negativ sehen möchte. Es ist ein bisschen einfach zu glauben, dass dies anders gewesen wäre, wenn weniger Teams teilgenommen hätten.

Zuspitzung des Trainerfußballs

Die Entwicklung kann man bedauern, ist aber nur die konsequente Zuspitzung des Trainerfußballs der vergangenen Jahre. Fußball wird immer weniger zu einem Duell zweier Mannschaften, sondern zweier Systeme, erdacht und ertüftelt vom jeweiligen Trainerstab, in der jede Kleinigkeit des Gegners bewertet, erkannt und analysiert wird. Fehlervermeidung ist das Gebot der Stunde. Fußball verwissenschaftlicht zunehmend. Die Teams versuchen, den Zufall zu minimieren. Ausschalten kann man ihn noch nicht - glücklicherweise.

Deswegen wurden die Nordiren und die Isländer so gefeiert. Auch die beiden Mannschaften haben sich defensiv orientiert, auch bei ihnen stand die Disziplin ganz oben an, aber durch ihr Gebaren auf und neben dem Platz, durch ihre Fans, die auf jede Stadionregie gepfiffen haben, haben sie die Sehnsucht nach dem guten alten Fußball geweckt. Wo man fröhlich gefeiert hat, auf dem Platz rustikal zu Werke ging und anschließend ging es an den Tresen. Das "Will Grigg`s on Fire" der Nordiren und das "Hu" der Isländer ist wahrscheinlich das, woran man sich von dieser EM noch am ehesten erinnern wird.

Für Deutschland wird das Turnier schnell verblassen

Deutschland wird dieses Turnier dagegen relativ schnell aus dem Gedächtnis streichen. Das Halbfinale wurde erreicht, wieder einmal. Von daher war diese EM kein Misserfolg für den DFB. Aber es war auch eine EM, bei der die Mannschaft wenig begeistert und nur sieben Tore geschossen hat. Die Mannschaft ist an ihrer Dominanz erstickt, weil es ihr nicht gelang, Überlegenheit in Ergebnisse umzuwandeln. Letztlich haben sie damit das Gegenteil des Portugal-Fußballs gespielt. Die Portugiesen waren selten die überlegene Mannschaft, haben nach den Unentschieden in der Vorrunde in der K.-o.-Phase immer ein Tor mehr geschossen als die Gegner.

Es war ein Turnier, bei dem im Vorfeld genauso viel über das Thema Terror geredet wurde wie über den Fußball. Das hat sich im Lauf der Wochen dieses durchwachsenen französischen Sommers geändert. Die Soldaten mit dem Gewehr im Anschlag blieben ein Anblick, an den man sich nicht gewöhnen wollte. Aber letztlich war es dann doch "kein komisches Turnier", wie Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff es nannte, sondern eine normale EM.

Das die Franzosen nicht perfekt, aber gut organisiert hatten. Was unter den Vorzeichen der Ereignisse des 13. Novembers nicht hoch genug anerkannt werden kann. Selbst, dass man über diese EM nach Herzenslust meckern konnte, über das Niveau, über die hohe Teilnehmerzahl, über verspätete Flüge und Bahnfahrten, über schlechte Beschilderungen rund um die Stadien - all das beweist nur die wohltuende Normalität.

Die nächsten großen Turniere sind in Russland in zwei Jahren, dann 2020 über ganz Europa verstreut, 2022 in Katar. Es ist nicht auszuschließen, dass man sich noch mit Sehnsucht an diese sportlich unansehnliche Europameisterschaft zurückerinnern wird.



Quelle : spiegel.de

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