Frustrierter Obama wagt Gratwanderung

  13 Juli 2016    Gelesen: 801
Frustrierter Obama wagt Gratwanderung
Bei der Trauerfeier für die Polizisten, die in der vergangenen Woche im texanischen Dallas ermordet wurden, beschwört Präsident Obama die Einheit der USA. Doch noch während er spricht, ist der Riss zu erkennen, der durch das Land geht.
Wie heikel die Rede von US-Präsident Barack Obama bei der Trauerfeier für die fünf ermordeten Polizisten in Dallas war, konnte man sogar sehen, wenn man die Veranstaltung nur per Livestream verfolgte. Wie in den USA bei öffentlichen Auftritten von Politikern üblich, war ein Teil des Publikums hinter dem Redner platziert, mit dem Blick zur Kamera. Zwei Polizisten und eine Polizistin, die unmittelbar hinter Obama saßen, klatschten an einigen Stellen nicht, an denen der Präsident über das Verhältnis von Schwarzen und Sicherheitskräften sprach. Alle drei waren Weiße.

Es ist nicht so, als hätten die drei dem Präsidenten den Beifall völlig verweigert - sie applaudierten durchaus. Nur eben deutlich weniger häufig als es möglich gewesen wäre.

Ihr ausbleibender Applaus machte deutlich, wie sehr Obamas Rede eine Gratwanderung war. Der Präsident hatte die Aufgabe, einer schockierten Stadt Trost zuzusprechen, er hatte die Aufgabe, sich stellvertretend für alle Amerikaner an die Seite der Polizei zu stellen. Aber er sah es offensichtlich auch als seine Pflicht an, die Probleme anzusprechen, die es im Verhältnis von Sicherheitskräften und ethnischen Minderheiten in den USA gibt.

Sein Amtsvorgänger George W. Bush löste diese Aufgabe aus Sicht der drei Weißen hinter dem Rednerpult vermutlich besser. Bush, der nach dem Ende seiner Präsidentschaft nach Dallas gezogen war, sprach über die Notwendigkeit, Gegensätze zu überwinden, um Einigkeit herzustellen. Dieses Thema steht derzeit nicht nur wegen der Morde an den fünf Polizisten und durch die Polizeigewalt gegen Schwarze im Vordergrund, sondern auch wegen des aktuellen Wahlkampfs. Die linksliberale Hälfte der US-Öffentlichkeit und einige Konservative werfen dem designierten Präsidentschaftskandidaten der Republikaner, Donald Trump, vor, die Gesellschaft zu spalten und Hass gegen Minderheiten zu schüren.

Für Obama war es die elfte Rede nach einer Schießerei

Über Trump sprach Bush in Dallas natürlich nicht, aber es ist bekannt, dass er nicht viel von dem Immobilienmogul hält. Im Vorwahlkampf hatte der Ex-Präsident seinen Bruder Jeb Bush unterstützt, am republikanischen Parteitag in der kommenden Woche, auf dem Trump offiziell zum Präsidentschaftskandidaten gekürt werden soll, werden beide nicht teilnehmen. Dass ein ehemaliger Präsident eine solche Veranstaltung seiner eigenen Partei schwänzt, ist in höchstem Maße ungewöhnlich.

In Dallas sagte Bush, es gebe Zeiten, "da scheint es, als wären die Kräfte, die uns spalten, stärker als jene, die uns verbinden". Doch Amerikaner hätten einen großen Vorteil "Um unsere Einigkeit zu erneuern, müssen wir uns nur an unsere Werte erinnern."

Obama beließ es nicht bei abstrakten Formulierungen. Laut "New York Times" hatte er den größten Teil des Montags mit seinen Redenschreibern zusammengesessen, um die richtigen Worte zu finden. Die Frustration war ihm anzumerken: Es war bereits das elfte Mal in seiner Amtszeit, dass Obama nach einer tödlichen Schießerei eine Rede hielt. "Ich bin nicht naiv", sagte er. "Ich habe im Laufe dieser Präsidentschaft bei zu vielen Gedenkfeiern gesprochen."

Der Präsident beschwor die Amerikaner geradezu, als Gesellschaft nicht auseinanderzubrechen. "Ich bin hier, um darauf zu beharren, dass wir nicht so gespalten sind, wie es den Anschein hat", sagte er. Die Morde an den Polizisten nannte er eine Tat, die nicht nur aus "verrückter Gewalt" entstanden sei, sondern aus Rassenhass.

"Keine Institution ist vollständig immun gegen Rassismus"

Ein 25-Jähriger hatte am vergangenen Donnerstag während einer Demonstration gegen Polizeigewalt in Dallas aus dem Hinterhalt das Feuer eröffnet und fünf Polizisten erschossen. Nachdem die Polizei ihn umzingelt hatte, wurde er mit einem mit Sprengstoff beladenen Roboter getötet. Bevor er starb, sagte der Mann, er habe Weiße, vor allem weiße Polizisten töten wollen.

Wenige Tage vor seiner Tat hatten Polizisten zwei Schwarze in den Bundesstaaten Minnesota und Louisiana erschossen. Ein Mann wurde am Mittwoch in einem Vorort der Doppelstadt Minneapolis and St. Paul getötet, nachdem er im Auto von Sicherheitskräften angehalten worden war. Der andere war tags zuvor bei einer Kontrolle in Baton Rouge erschossen worden. Diese Vorfälle, von denen Videos im Internet kursierten, lösten Proteste gegen Polizeigewalt überall in den USA aus.

Obama rief beide Seiten, Polizisten und Schwarze, dazu auf, die Welt mit den Augen des anderen zu sehen. Der Polizist solle im Teenager seinen eigenen Sohn erkennen, der vielleicht Mist baut, aber nicht gefährlich ist. Und der Teenager solle verstehen, dass der Polizist dieselben Werte vertrete wie seine Eltern.

In seiner rund 40-minütigen Rede nannte Obama die ermordeten Polizisten "fünf Helden". Er versuchte aber auch darzustellen, dass es auch mehr als fünfzig Jahre nach der Bürgerrechtsbewegung noch immer Vorurteile gebe. "Auch wenn die meisten von uns ihr Bestes geben, sich davor zu schützen und unsere Kinder besser zu erziehen, ist keiner von uns völlig unschuldig. Keine Institution ist vollständig immun (gegen Rassismus). Und das schließt unsere Polizeibehörden ein. Wir wissen das." Und er kritisierte, dass es in manchen Gegenden in den USA für einen Jugendlichen leichter sei, eine Glock-Pistole zu kaufen als ein Buch oder einen Computer in die Finger zu bekommen.

Solche Bemerkungen gefielen nicht allen Trauergästen. "Die Tragödie ist noch sehr frisch in unseren Gedanken - zu frisch für einige Leute", zitiert die "Washington Post" einen Beamten, der bei der Veranstaltung anwesend war. "Die klatschten, als wir gelobt wurden, aber als es um die Rassenbeziehungen ging, herrschte dort, wo ich saß, eher ein versteinertes Schweigen." Die konservative Nachrichtenseite Breitbart sammelte Tweets von Leuten, die sich darüber aufregten, dass Obama eine Trauerfeier zu einer Kundgebung für Waffenkontrolle gemacht habe.

Er glaube, dass die fünf Polizisten nicht umsonst gestorben seien, sagte Obama am Ende seiner Rede. Wirklich überzeugt klang er dabei nicht.

Quelle: n-tv.de

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