Dringend erforderlich ist somit ein praxisorientiertes Management der in Italien neu ausbrechenden Finanzkrise:
– Die Banken müssen in die Lage versetzt werden, die Realwirtschaft zu finanzieren.
– Extreme Spekulationen sind durch gesetzliche Bestimmungen zu unterbinden, um die Finanzierungen effektiv in die Realwirtschaft zu lenken.
– Ein entsprechender Druck muss die Restrukturierung des Bankwesens erzwingen.
Spektakuläre Aktionen wie die Vorgabe nicht erfüllbarer Kapitalvorschriften oder die Inszenierung einer gigantischen Geldschwemme, die in der Wirtschaft nicht ankommt, sind verzichtbar.
Die Forderung nach einer Kapitalspritze durch die EU-Staaten
In Italien ist die Stunde der Wahrheit angebrochen: Die Staatsschulden entsprechen 130 Prozent des BIP und betragen etwa 2.200 Milliarden Euro. Die italienischen Banken haben 360 Milliarden Euro gefährdeter Kredite. Das Thema berührt aber keineswegs Italien alleine. Die meisten großen europäischen Banken haben enge Geschäftsverbindungen mit Italien und somit Forderungen gegen Banken, gegen den Staat und gegen Unternehmen. Die Versicherungen haben europaweit beträchtliche Bestände an italienischen Anleihen in ihren Portefeuilles. Die Europäische Zentralbank hat Milliarden an italienischen Staatspapieren übernommen. Es ist also allen klar: Ein Bankrott des italienischen Staats oder der italienischen Banken darf im europäischen Interesse nicht stattfinden.
Die Folge: Europaweit wird von Banken und Versicherungen nun eine Rettungsaktion für die italienischen Banken gefordert, die auch die größten Geldgeber des Staates sind. Der italienische Staat kann bei einer Staatsverschuldung von 130 Prozent nur schwer die mindestens benötigte Kapitalspritze von 150 Milliarden Euro finanzieren, zumal der tatsächliche Bedarf vermutlich weit höher ist. Also wird eine EU-Aktion verlangt. Die im Aufbau befindliche Bankenunion der EU geht aber von dem Grundsatz aus, dass der Steuerzahler nicht mehr die Rettung von Banken finanzieren soll.
Die Einleger und Käufer von Anleihen sollen zur Kasse gebeten werden
Dieser Grundsatz ist ein Teil der EU-Regeln, die im Gefolge der Krise 2008 geschaffen wurden, um künftige Finanzkrisen zu vermeiden. Beschlossen wurde im Rahmen dieses Pakets, dass zuerst die Einleger und Käufer von Anleihen zur Kasse gebeten werden müssen, bevor der Staat helfen darf. Die Umsetzung dieser Regel würde die europäischen Banken und Versicherungen sowie andere Großanleger treffen und eine Welle von Verlusten auslösen. Zudem wären Millionen italienischer Kleinanleger die Opfer einer derartigen Maßnahme, wodurch europaweit das Vertrauen des Publikums in das Finanzwesen zusammenbrechen dürfte. Dieser sogenannte „Bail-In“ kann einen Flächenbrand auslösen. Auch wird die „Schonung der Steuerzahler“ zur Farce, wenn die Bürger, die naturgemäß alle Steuerzahler sind, Ersparnisse verlieren und die Banken und Versicherungen Verluste notgedrungen an die Kunden weitergeben. Der Bail-In ist also keine Maßnahme zur Bekämpfung einer Krise, sondern verschärft das Problem.
Die Aufbringung von Kapital ist in der Krise kaum möglich
Die EU-Bestimmungen sehen außerdem vor, dass eine Bank, die in Schwierigkeiten ist, ihr Kapital aufzustocken hat. Dies ist in der Praxis leider schwer möglich: Einer Bank, die Probleme hat, geben die Anleger kein Geld. Dies haben die italienischen Institute in den vergangenen Wochen leidvoll zur Kenntnis nehmen müssen. Als die Krisenerscheinungen deutlich erkennbar wurden, kam es im Gegenteil sogar zu einer Flucht aus Bankaktien, wodurch die Kurse um 30 Prozent gefallen sind. Die illusorische Vorschrift der EU ist zudem mit einer Auflage verbunden, die die Anleger zusätzlich vertreiben muss: Die Banken dürfen keine oder nur eingeschränkte Dividenden zahlen, solange das Eigenkapital nicht die vorgeschriebene Höhe erreicht. Die Kapitalvorschriften der EU sind nicht erfüllbar. Somit ist auch dieses Element kein wirksames Instrument der Krisenvorsorge. Die Folge ist die bereits geschilderte Forderung nach Kapitalspritzen durch die EU-Staaten in der Höhe von 150 und mehr Milliarden.
Zuckerbrot und Peitsche sind die besten Rezepte für eine Bankenrettung
Der entscheidende Ansatz zur Bekämpfung einer Bankenkrise ist die Betonung der Rettung aus eigener Kraft: Die Banken müssen durch ihre Geschäftstätigkeit ausreichende Gewinne machen, die für eine tragfähige Basis sorgen. In einem erfolgreichen Umfeld sind neue, solide Strukturen zu schaffen.
Hier sei beispielhaft an die Bankenkrise in den USA Ende der achtziger Jahre erinnert: Eine Reihe dominierender Institute hatte sich übernommen. Die US-Nationalbank Federal Reserve Board gab folgende Strategie vor: Die Fed werde den Banken eine besonders günstige Refinanzierung zur Verfügung stellen. Die Spanne zwischen dem billigen Notenbank-Geld auf der einen und den Kreditzinsen und sonstigen Erlösen aus Veranlagungen auf der anderen Seite sollte für Gewinne sorgen, die den Aufbau von Eigenkapital ermöglichen.
Allerdings wurde diese Hilfe nur unter der Voraussetzung gewährt, dass die Institute für eine Neustrukturierung und Rationalisierung sorgen. Die betroffenen Institute mussten in einem mehrere Jahre dauernden Prozess neue Bedingungen schaffen. Nach dramatischen Einschnitten, die über Fusionen und Übernahmen eine vollständig neue Bankenlandschaft entstehen ließen, war der Sektor 1991 mit dieser Lösung saniert.
Diese Methode würde sich auch jetzt für Italien anbieten, zumal die Europäische Zentralbank ohnehin den Markt mit Geld zu Nullzinsen überschwemmt.
Die Umsetzung dieser Lösung ist aber nicht möglich, weil die Vorschriften von Basel III die Vergabe von Krediten extrem erschweren. Dies gilt für alle europäischen Banken und trifft die italienischen Institute angesichts der aktuellen Probleme besonders hart. Die dringendste Maßnahme wäre also, das Regelwerk Basel III zu korrigieren.
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die Bank von England vor wenigen Tagen im Gefolge von Brexit autonom diesen Weg beschritten hat: Die Basel-III-Kapitalregeln wurden außer Kraft gesetzt und man hofft jetzt, dass zusätzliche Kredite in der Größenordnung von 150 Milliarden Pfund für einen Wachstumsschub sorgen. Allerdings wurden nicht gleichzeitig Maßnahmen beschlossen, die dafür sorgen, dass die Banken die Mittel in die Realwirtschaft lenken müssen und nicht für Spekulationen verwenden dürfen
Eine Sanierung findet nur unter spürbarem, hartem Druck statt
Ein aktives Kreditgeschäft, die Erschließung neuer Geschäftsfelder, kurzum, der Einsatz auf dem Markt bilden die entscheidenden Voraussetzungen für jede Bankensanierung. Dies darf aber nicht als Allheilmittel missverstanden werden.
Notwendig sind immer und besonders in dem überreichlich mit Banken und Bankfilialen gesegneten Italien Strukturmaßnahmen: Fusionen, Schließungen, Gruppierungen, Rationalisierungen. Diese kommen allerdings nur zustande, wenn der Staat nicht eingreift. Finden Verstaatlichungen statt und werden aus öffentlichen Geldern Kapitalspritzen gegeben, erlahmt der Reformeifer sehr rasch. Kommen noch Maßnahmen der Aufsichtsbehörden hinzu, die bestimmte Reorganisationen erzwingen, dann geht in den betroffenen Banken die Motivation verloren und man überlässt die Initiative der Obrigkeit.
Das bewährte Mittel ist die Begrenzung der Hilfe auf die unbedingt notwendige Sicherung der Liquidität durch die Zentralbank. Ist den Akteuren klar, dass jederzeit das „Aus“ droht, wird eifrig und effektiv an den erforderlichen Maßnahmen gearbeitet. Unter diesen Umständen sind die Erfolgschancen am größten.
Erschwert wird auch diese Vorgehensweise durch die EU-Bestimmungen in mehrfacher Hinsicht. In erster Linie wirkt die Vorgabe, das Kapital zu erhöhen. Dies ist, wie erwähnt, kaum möglich, und auch im Falle des Gelingens nicht hilfreich, weil eine Scheinlösung und keine grundlegende Sanierung zustande kommt. Für das Überleben einer Bank sind ein gesundes, lebendiges Aktivgeschäft und eine tragfähige Struktur wichtiger als eine hohe Kapitalquote.
Wird den Banken aber bei einer den Vorschriften nicht entsprechenden Kapitalausstattung die Geschäftstätigkeit untersagt, ist eine Sanierung nicht mehr möglich.
Zu korrigieren sind nicht nur die laufenden Kapitalerfordernisse, sondern auch die mit dem EU-Bankenabwicklungsmechanismus eingeführte Vorschrift, dass jederzeit die Möglichkeit bestehen muss, eine Bank rasch abzuwickeln. Notwendig wäre im Gegenteil ein Bekenntnis zum „laufenden Betrieb“ zum „going concern“.
360 Milliarden Euro Problemkredite lösen sich nicht in Luft auf
Die Eröffnung von Geschäfts- und somit von Gewinnmöglichkeiten, die Reduktion der Kapitalauflagen, die Vermeidung von Spekulationen, das Bekenntnis zum laufenden Betrieb werden die italienischen Banken nach einer entsprechenden Restrukturierung auf eine gesunde Basis stellen. Aber auch diese, derzeit von den Rahmenbedingungen behinderte Perspektive, bereinigt nicht das Problem der rund 360 Milliarden gefährdeter Kredite.
Die europäischen Bankenaufseher schlagen eine eigenartige Lösung vor: Die Banken mögen die Kredite an Investoren verkaufen. Diese Vorgangsweise wurde bekanntlich im Vorfeld der Bankenkrise 2008 praktiziert und hat dazu geführt, dass die schlechten Kredite die Käufer in Schwierigkeiten getrieben haben. Dies hat entscheidend zum Entstehen der Krise beigetragen. Das Abladen des Risikos auf Investoren erscheint nicht empfehlenswert.
Die Banken werden folglich sich selbst um das Management dieser Kredite bemühen müssen. Auch hier wirkt Basel III als Bremse, da die Institute kaum Sanierungen, Stundungen und Umschuldungen durchführen können, die erfahrungsgemäß das Verlustpotenzial erheblich verringern. Schuldner, die Probleme haben, die Kredite zu bedienen, verfügen in der Regel nicht über hohe Kapitalreserven, die aber unter dem Basel-III-Regime notwendig sind, damit die Bank eine Sanierung begleiten darf. Sinnvoll wäre hingegen, möglichst viele Schuldner zu retten und zudem den Instituten die Möglichkeit zu eröffnen, die nicht vermeidbaren Pleiten über einen längeren Zeitraum zu verkraften.
Erforderlich ist somit auch eine Korrektur dieser Bestimmung, da sonst die 360 Milliarden Euro gefährdeter Kredite sehr rasch schlagend werden und einen Bankenkollaps auslösen. Der für den Herbst angekündigte Stresstest der italienischen Banken durch die bei der EZB angesiedelte Aufsicht der großen Banken droht die Krise zu verschärfen.
Die Banken bilden nicht das einzige Problem: Der Staat ist überschuldet, die Konjunktur lahmt
Die Banken können nicht vom Staat getrennt betrachtet werden. Der italienische Staat weist Schulden in der Höhe von 2.200 Milliarden Euro aus. Die Regierung unter Matteo Renzi hat zwar stolz verkündet, dass sie das Defizit 2015 unter 2,5 Prozent des BIP gedrückt hat, doch bedeutet dieser Wert auch eine jährliche Netto-Neuverschuldung von 40 Milliarden Euro. Zudem wurde in Rom schon erklärt, dass man die 2,5 Prozent in Zukunft nicht werde halten können.
Entscheidend ist somit, dass die italienische Wirtschaft stärker wächst und sich in der Folge die Relation der vorhandenen und weiter steigenden Staatsschulden zum BIP verbessert. Die italienische Wirtschaft ist aber in den acht Jahren seit der Krise 2008 in sechs Jahren geschrumpft und nur in zwei Jahren schwach gewachsen. Heuer rechnet man mit einer Steigerung des BIP um weniger als 1 Prozent. In diesem Umfeld lassen sich weder die Staatsfinanzen noch marode Kreditportefeuilles leicht sanieren.
Die Regierung Renzi hat durch die Reform des erstarrten Arbeitsmarktes und durch Eingriffe in die überbordende Verwaltung positive Signale gesetzt. Die Staatsausgaben zehren jedoch immer noch mehr als 50 Prozent des BIP von 1800 Milliarden Euro auf und erweisen sich als enorme Behinderung. Die Bankenkrise bremst den Aufschwung zusätzlich. Ein lebendiges Kreditgeschäft würde helfen. Mit Basel III, der bisherigen Bankenaufsichtspraxis und dem Bankenabwicklungsmechanismus ist das Problem nicht zu lösen. Eine Kapitalspritze der Staaten wäre nur schädlich. Somit ist die Umsetzung eines Pakets flexibler Lösungen zur Entschärfung der Bankenkrise eine Überlebensfrage für das Land.
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