Wenn der Vater arbeitslos ist, macht die Tochter Karriere

  13 Juli 2016    Gelesen: 582
Wenn der Vater arbeitslos ist, macht die Tochter Karriere
Mädchen aus bildungsfernen Haushalten profitieren in ihrer Karriere davon, wenn ihr Vater arbeitslos war. Forscher rätseln allerdings, warum Söhne so völlig anders auf diese Erfahrung reagieren.
Es ist ein Befund, der die Wissenschaftler selbst verstört haben dürfte: Mädchen aus bildungsfernen Familien profitieren davon, wenn ihr Vater in ihrer Jugend arbeitslos war. Sie strengen sich in der Schule stärker an, machen eher Abitur als Mädchen, deren Vater nie arbeitslos war und studieren häufiger. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung von Wissenschaftlern des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) und der Universität Erlangen-Nürnberg. Die Untersuchung liegt der "Welt" vor.

Die Forscher haben mithilfe der größten Datenbank dieser Art untersucht, wie sich die Arbeitslosigkeit des Vaters auf Bildung und Arbeitsmarktchancen von Kindern auswirkt. Dabei stellten sie zu ihrer eigenen Überraschung fest, dass die Arbeitslosigkeit des eigenen Vaters einen regelrecht anspornenden Effekt auf die betroffenen Töchter hatte.

Beispielswiese machte unter Mädchen mit arbeitslosem Vater rund ein Fünftel mehr Abitur als unter weiblichen Jugendlichen aus vergleichbaren familiären Umfeldern ohne Arbeitslosigkeit des Vaters. Töchter mit arbeitslosen Vätern studierten zudem weit häufiger: Der Anteil der Studentinnen war in dieser Gruppe 15 Prozent höher.

Ein Weckeffekt

"Die Bildungschancen von Mädchen aus bildungsfernen Familien steigen, wenn der Vater arbeitslos ist", fasst Untersuchungsleiter Steffen Müller die Ergebnisse zusammen. "Die Arbeitslosigkeit des Vaters scheint einen Weckeffekt auszulösen. Töchter werden aus ihrer gewohnten Bahn gerissen und bemühen sich stärker um die eigene Bildung." Auf die Söhne hatte die Arbeitslosigkeit der Väter hingegen keinen Einfluss.

Die Mädchen profitieren also regelrecht von der Misere des Vaters: Ökonomen gehen grundsätzlich davon aus, dass eine bessere Ausbildung die Chancen auf einen Arbeitsplatz erhöht. Zudem steigt mit der Qualität der Ausbildung in der Regel auch das Gehalt.

Um möglichst genau bestimmen zu können, ob die Arbeitslosigkeit des Vaters die Mädchen beeinflusst, haben die Wissenschaftler nur die Biografien von Mädchen untersucht, die ältere Schwestern haben und deren Vater während der Jugend der älteren Schwester noch nicht arbeitslos war.

Auf diese Weise sollte gewährleistet sein, dass sich das familiäre Umfeld der untersuchten Geschwister möglichst ähnlich ist – abgesehen von der Arbeitslosigkeit des Vaters. Berücksichtigt wurden nur Töchter, die mindestens einmal in ihrer Jugend mit der Arbeitslosigkeit ihres Vaters konfrontiert waren. Im Gros der Fälle waren die Väter kürzer als ein Jahr arbeitslos, Langzeitarbeitslosigkeit kam nur selten vor.

Unerwartete Ergebnisse

Die Studienergebnisse sind nicht nur überraschend, sondern regelrecht irritierend: Schließlich bedeutet der Befund der Ökonomen auch, dass es Mädchen aus bildungsfernen Haushalten in der eigenen Karriere hilft, wenn der eigene Vater arbeitslos wird.

"Uns ist bewusst, dass die Ergebnisse zur Bildung der Töchter unerwartet sind", sagt Müller. " Aber unsere Methoden sind nachvollziehbar und gut dokumentiert und wir verwenden etablierte Daten." So werden die Ergebnisse denn auch demnächst in der renommierten Fachzeitschrift "Oxford Economic Papers" veröffentlicht.

Müller und seine Kollegen versuchen auch zu erklären, warum die Arbeitslosigkeit des Vaters zwar die Töchter anspornt; den Bildungseifer der Söhne aber offenbar nicht anstachelt. Sind Mädchen risikoscheuer als Jungen und arbeiten, konfrontiert mit der Erfahrung Arbeitslosigkeit, intensiver gegen dieses Risiko für Wohlstand und Wohlergehen an? Diese Vermutung ließ sich nicht erhärten.

Hat die eigene berufstätige Mutter eine stärkere Vorbildwirkung, wenn der Vater ohne Job ist? Auch diese mögliche Erklärung konnten die Wissenschaftler nicht belegen.

Bessere Chancen auf dem Heiratsmarkt

Die Ökonomen entwickelten deshalb eine andere Erklärung: Dass die Töchter nach der Arbeitslosigkeit des Vaters verstärkt in die eigene Bildung investieren, sei vor allem in Familien mit niedrigem Bildungsniveau zu beobachten. Gerade in diesen Familien könne man erwarten, "dass die Töchter versuchen, mit Bildung ihre Chancen auf dem Heiratsmarkt zu verbessern – weil sie davon ausgehen, dass ihnen Bildung dabei hilft, einen Partner mit einem sicheren Arbeitsplatz zu finden", schreiben die Autoren.

Diese Erklärung sei zugegebenermaßen etwas altmodisch, sagt Studienleiter Müller. Es sei allerdings die einzige Erklärung, die er und seine Kollegen mit ökonomischen Methoden hätten abklären können. Es gebe sicherlich andere Erklärungen, die besser seien, aber die lägen außerhalb der Volkswirtschaft.

"Töchter sind in dem Alter möglicherweise weiter als Söhne und erkennen eher, dass sie durch ihr eigenes Handeln ihre eigene Zukunft beeinflussen", sagt Müller. "Ich persönliche gehe davon aus, dass die Töchter in dem Moment Verantwortung für ihr Leben übernehmen, die Söhne aber nicht. Das ist jedoch keine rein ökonomische Frage, und hier sind auch Kollegen anderer Disziplinen, zum Beispiel Psychologen oder Soziologen gefragt."

Quelle : welt.de

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