Großbritannien ist raus, Johnson wieder drin

  14 Juli 2016    Gelesen: 522
Großbritannien ist raus, Johnson wieder drin
Die neue britische Premierministerin Theresa May macht Brexit-Befürworter Boris Johnson zum Außenminister. Das mag überraschen, ist politisch aber klug.
Es war am 30. Juni um kurz vor 12 Uhr britischer Zeit, als Boris Johnson überraschend verkündete, dass er sich doch nicht für die Nachfolge des scheidenden Premierministers David Cameron bewerben wolle. Spott, Häme und auch Wut ergossen sich daraufhin über den blonden Strubbelkopf, der wie kaum ein Zweiter für den Brexit gekämpft hatte. "Johnson hat sich als Dilettant aufgeführt und ist unfähig, zu den Konsequenzen zu stehen", ätzte die französische Zeitung "Liberation" gegen den früheren Londoner Bürgermeister.

Zwei Wochen später - es war inzwischen ruhig geworden um ihn - folgt die nächste Überraschung mit Johnson in der Hauptrolle. Die neue britische Premierministerin Theresa May macht den 52-Jährigen zum Außenminister. Dass Johnson nach seinem Rückzieher nicht sie, sondern ihre Rivalin Andrea Leadsom unterstützt hatte – geschenkt. May begründete ihre Personal-Kür nicht weiter. Doch aus vielerlei Gründen ist die Entscheidung klug und sinnvoll.

May war gegen den Brexit. Vor dem Referendum setzte sie sich für den Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union ein. Dennoch muss sie nun den schwierigen Ausstieg organisieren. Dafür benötigt sie profilierte Brexit-Befürworter wie Johnson. Er, der in New York geboren wurde und in Oxford studierte, wird künftig einer der wichtigsten britischen Politiker sein in den Verhandlungen mit der EU.

May erspart sich Cameron-Dilemma

Dabei ist Johnsons Einfluss begrenzt. Denn May schuf zwei neue Ministerien, eines für die Brexit-Verhandlungen und eines für Internationale Handelsbeziehungen. David Davis übernimmt das Brexit-Ministerium, Johnson das Außenamt: Damit nimmt May führende Politiker der Austritts-Kampagne in die Pflicht. Die britische Zeitung "Telegraph" schwärmt von der "exzellenten Idee", Johnson zum Minister zu machen. "Er glaubt an den Brexit, aber er ist pro-europäisch; er will zusätzliche Kontrolle über die Migration, aber er ist für Einwanderung. Seine Ernennung wird helfen, den Brexit als ein liberales und die Globalisierung befürwortendes Projekt zu zementieren."

Mays Schachzug beweist auch in anderer Hinsicht strategisches Geschick. Sie holt Egozentriker Johnson ins Boot und bindet ihn ein, auch um ihn besser unter Kontrolle zu haben. Das Amt zwingt ihn auf Linie und diszipliniert ihn. May wird sich auch deshalb entschieden haben, weil sie so nicht riskieren muss, dass Johnson, der nach wie vor einer der einflussreichsten und beliebtesten Politikern der Tories ist, sie von außen torpediert. Wie sich das anfühlt, musste ihr Vorgänger erleben. Auch unter dem parteiinternen Druck von Personen wie Johnson entschied Cameron, ein Referendum über den Verbleib in der EU durchzuführen.

Diplomatisches Feingefühl gesucht

Großbritannien müsse nun eine neue Rolle in der Welt suchen, hat May gesagt. Diese auszufüllen wird nun ganz wesentlich auch von Johnson abhängen. Sicher ist dabei: Die internationalen Beziehungen werden in der britischen Politik in den kommenden Jahren gewiss nicht an Bedeutung einbüßen. Dabei wird Johnson das nötige diplomatische Fingerspitzengefühl schnell lernen müssen.

Als Außenminister wird er schon bald mit Menschen in Kontakt treten, die er zuletzt wenig glimpflich behandelte. Sollte Hillary Clinton neue US-Präsidentin werden, könnte Johnson in die Verlegenheit kommen, erklären zu müssen, warum er sie als "sadistische Krankenschwester" bezeichnete. In Gesprächen mit EU-Politikern wird es kaum vergessen sein, dass Johnson die Union mit Hitler verglich.

Der als Großmaul verschriene Johnson muss sich nun beweisen. Taugt er für Politik auf der ganz großen Bühne oder nicht? Die nächsten Jahre werden es zeigen. Wegducken wird Johnson sich dabei nicht, die britische Politik steht vor ihrer vielleicht größten Bewährungsprobe der Nachkriegszeit.

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