US-Wahlkampf: Trump verschiebt wegen Anschlag seine Vize-Kür
Es schien alles klar. Amerikanische Medien hatten den gesamten Tag lang berichtet, Mike Pence sei von Donald Trump als Vizepräsidentschaftskandidat ausgewählt worden. Am Nachmittag stieg der Gouverneur von Indiana in Indianapolis in einen Privatjet mit dem Ziel New York, und wer wollte da noch zweifeln? Pence, da waren sich die meisten sicher, würde am Freitagvormittag von Trump in Manhattan als "running mate" vorgestellt.
Inzwischen gilt der Zeitplan nicht mehr, ja, manch einer in den USA hat sogar neue Zweifel, ob Pence am Ende wirklich als Trumps Nummer zwei ins Rennen ums Weiße Haus zieht. Trump hat wegen der schrecklichen Ereignisse im französischen Nizza die öffentliche Kür seines Vize verschoben. Und sein Lager gibt in dieser Frage plötzlich wieder widersprüchliche Signale. Am Abend äußerte sich der Milliardär beim Sender Fox News selbst: "Ich habe noch nicht meine finale, finale Entscheidung getroffen", sagte er.
Die Suche des designierten Präsidentschaftskandidaten nach einem "running mate" erhält damit erneut eine Wendung. In den vergangenen Tagen hatte Trump sich an einem quasi-öffentlichen Casting ausprobiert. Mal ließ er sich samt Familie vor dem Haus von Pence fotografieren. Mal filmten ihn Kameras, wie er sich in einem Hotel mit Newt Gingrich trifft, dem ehemaligen Top-Republikaner im Repräsentantenhaus. Dann wieder streute Trumps Team, dass er auch mit Chris Christie noch einmal gesprochen habe, dem Gouverneur von New Jersey. Drei Favoriten, ein Platz. Trump spielte mit der Öffentlichkeit, es war ein recht absurdes Spektakel.
Und nun?
Die Absage des seit Tagen geplanten Termins in Manhattan sorgt für Spekulationen. Könnte es sein, dass Trump seine Entscheidung angesichts des Anschlags in Nizza noch einmal überdenkt? Die Lastwagen-Attacke in Frankreich rückte auch in den USA die Terrorismusdebatte sofort wieder in den Vordergrund. Tendiert der Milliardär nun womöglich zu jemandem mit einem stärkeren sicherheitspolitischen Profil als Pence? Christie etwa?
Wer ist Mike Pence?
In Trumps Kampagne, das zeigen die letzten Monate, ist alles möglich. Dennoch wäre es eine Überraschung, viel spricht dafür, dass Trump Indianas Gouverneur Pence den Job bereits angeboten hat. CNN berichtet von einem Telefonat der beiden. Zudem gibt es Berichte, wonach Pence den lokalen Wahlbehörden bereits signalisiert hat, im Herbst nicht zur Wiederwahl anzutreten. Warum würde er einen Rückzieher machen, wenn er keine Jobalternative hätte?
Pence wäre insofern eine interessante Wahl, als dass ihn bis vor Kurzem kaum jemand auf dem Zettel hatte. Der Gouverneur ist keine nationale politische Größe. Das muss Trump nicht schaden, zusätzliche Bekanntheit braucht er nicht. Mit Pence würde er zeigen, dass er gewillt ist, einen Teil seines Wahlkampfs konventioneller zu gestalten. Gleichzeitig würde er sicherstellen, dass die Trump-Kampagne eine Trump-Kampagne bleibt, Pence würde ihn wohl kaum überstrahlen. Er wäre keine spektakuläre, im Vergleich mit Christie und Gingrich wohl aber die sicherere Lösung. Christie hat in seinem Heimatstaat mittlerweile einen verheerenden Ruf, mit Gingrich würde Trumps Kampagne zum Methusalem-Ticket.
Pence, 57, könnte immerhin etwas beisteuern, was Trump fehlt: In der republikanischen Orthodoxie gilt der Mann aus Indiana als verlässlich. Der gelernte Anwalt und Vater von drei Kindern ist nach deutschen Maßstäben ein beinharter Konservativer, er wird zur Strömung der sogenannten social conservatives gezählt. Bereits in seinen zwölf Jahren als Abgeordneter im Repräsentantenhaus in Washington (2001 bis 2013) war Pence ein strikter Kämpfer gegen die Ausweitung der Rechte von Schwulen und Lesben. Zugleich zählte er zu den obersten Abtreibungsgegnern im Kongress, er nannte den Klimawandel einen "Mythos". Und er stellte sich gegen Versuche der Regierung von Barack Obama, den Mindestlohn zu erhöhen oder die Gesundheitsversorgung von Kindern aus armen Familien zu verbessern.
In Indiana unpopulär
Als Gouverneur seines Heimatstaats setzte Pence seine konservative, marktliberale Politik fort. Für viel Aufsehen sorgte er vor gut zwei Jahren, als er ein Gesetz unterzeichnete, das es Geschäftsinhabern erlauben sollte, unter Verweis auf ihre religiösen Gefühle, Schwule und Lesben als Mitarbeiter oder sogar Kunden abzulehnen. Der "Religious Freedom Restoration Act" löste landesweit einen Sturm der Entrüstung aus, etliche Firmen drohten damit, den Bundesstaat zu verlassen.
Völlig ohne Risiko wäre die Ernennung von Pence entsprechend auch nicht. So sehr er bei der religiösen Rechten punkten könnte, so abschreckend könnte sein Hardliner-Kurs auf moderatere Konservative und Unabhängige wirken. In Indiana liegen seine Beliebtheitswerte inzwischen unter 40 Prozent.
Wohl auch deshalb versucht Pence seit geraumer Zeit, sein Image zumindest leicht zu korrigieren - er fiel dabei zwischenzeitlich auch durch Widerstand gegen Donald Trump auf. Als der Multimilliardär im vergangenen Jahr erstmals einen Einreisestopp für Muslime forderte, stellte sich Pence dagegen. Trumps Forderung sei "verletzend und verfassungswidrig" twitterte er. Zugleich machte sich Pence - im Gegensatz zu Trump - für weitere Freihandelsabkommen wie die "Trans Pacific Partnership" (TPP) stark. Denn, so der Gouverneur, "Handel bringt Jobs und Sicherheit".
Im Lager von Hillary Clinton hat man längst angefangen, Material über Pence zu sammeln. Bei den Republikanern sorgt das bei manchem für Sorgenfalten. Die Befürchtung ist, dass Pence - ein Politiker aus der zweiten Reihe - nicht die nötige Härte und Erfahrung mitbringt, um im Feuer eines Präsidentschaftswahlkampfs zu bestehen. Aber erst einmal muss er den Job überhaupt bekommen.
Quelle: spiegel.de