Bisher deutet alles darauf hin, dass Lahouaiej Bouhlel allein gehandelt hat. Den 19-Tonner - sein späteres Mordwerkzeug - holt er zwei Tage vor der Tat mit dem Fahrrad ab. Nach dem Anschlag finden Ermittler Kalaschnikow- und M16-Sturmgewehr-Attrappen neben seiner Leiche im Führerhaus. Das alles klingt ein wenig nach einem Karnevalsscherz. Doch es gehört zu der Inszenierung eines Massakers, das nicht etwa eine politische Wende bewirken soll - sondern einen medialen Wirbelsturm. Lahouaiej Bouhlel war kein Terrorist. Er war ein Narzisst. Und in dieser Rolle fügt er sich ein in eine ganze Reihe von mordenden Vorgängern.
Auch Omar Mateen wollte im US-Schwulenclub "Pulse" möglichst viele Menschen töten - er bezog sich noch während der Tat auf den Islamischen Staat (IS). Dass sein Motiv aber ganz offensichtlich sehr viel persönlicherer Natur war, stellte sich erst später heraus. Bei Lahouaiej Bouhlel war es womöglich ähnlich. Paris, Brüssel, Istanbul - diese barbarischen Taten unter dem vermeintlichen Vorzeichen des Märtyrertums bergen für gescheiterte Existenzen eine Strahlkraft, der offenbar schwer zu widerstehen ist. Ein Effekt, den der Potsdamer Medienwissenschaftler und Autor Heiko Christians schon vor Jahren auch für Amokläufe beschrieb.
Das Töten als Spektakel
Als unkontrolliert und zugleich planvoll bezeichnete der Professor für Medienkulturgeschichte in einem Interview mit Deutschlandfunk die Mordexzesse einzelner junger Männer, die man damals noch unter der Chiffre Amok einsortierte. Christians ist davon überzeugt, dass die Medien nach solchen Taten eine weitere Ausbreitung des Phänomens fördern - allein dadurch, dass sie darüber berichten (müssen). Dies führe dazu, dass ein potentieller Täter die Berichte eben nicht nur als bloße Information sehe, "sondern als Vorlage, als Entwurf für eine Tat, die eins ganz sicher ist: Sie ist spektakulär."
Lahouaiej Bouhlel suchte das Spektakel. Das zeigt allein die brachiale Ausführung der Tat. Ihn als lupenreinen Islamisten einzustufen, ist aber womöglich vorschnell. Denn der gebürtige Tunesier galt - anders als etwa der Paris-Attentäter Abdelhamid Abaaoud - nicht als Gefährder, auch wenn er laut Frankreichs Ministerpräsident Manuel Valls vermutlich "in der einen oder anderen Form" Kontakt zum radikalen Islam hatte. Er wurde in keiner Geheimdienst-Datenbank geführt, war laut Zeugen nie in der örtlichen Moschee, trank Bier. Lahouaiej Bouhlel war kein radikaler Gläubiger, sondern ein Kleinkrimineller, der seine Frau schlug. Eine gescheiterte Existenz - mit gerade einmal 31 Jahren.
Unter dem Etikett des IS
Vieles von dem, was wir über ihn wissen, lässt eher auf einen Amoktäter schließen, der seine wahnsinnige Tat mit dem Etikett des Islamischen Staates "schmücken" will. Doch das eigentliche Motiv scheint - wie auch bei Omar Mateen - sehr viel banaler zu sein. Es ist blanker Hass. Hass auf eine Gesellschaft, in der man keinen Wert hat. Hass auf jeden, der dazugehört. Vielleicht ist das das einzige, was Lahouaiej Bouhlel mit den Attentätern von Paris verbindet.
Diesen wahllos mordenden jungen Männern, so Christians, reiche eine apokalyptische Tat, "um ihre vielleicht vermurkste Biografie noch einmal in einem Punkt so zu intensivieren, dass sie mit dem Ergebnis (ihres Lebens) doch noch zufrieden sind." Eine Denkweise, die zweifellos krankhaft ist - und auch durch ein Bekennerschreiben nicht (an-)greifbarer wird. Dass Frankreich nach den Morden in Nizza Verantwortliche sucht, ist nur natürlich. Schon am Morgen kündigte Präsident François Hollande an, den Kampf gegen den IS im Irak und in Syrien verstärken zu wollen. Doch den Gegner, den er im eigenen Land zur Strecke bringen will, findet er dort nicht.
Quelle: n-tv.de
Tags: