Wie eine junge Frau gegen den Tod kämpft

  18 Juli 2016    Gelesen: 661
Wie eine junge Frau gegen den Tod kämpft
Sophie Plog hat Brustkrebs, mit gerade einmal 28 Jahren. Sie ist damit eine von immer mehr jungen Frauen, die diese Krankheit bekommen – und wehrt sich mit aller Kraft dagegen. Eine Chronologie.
Eine Katastrophe kündigt sich nicht an. Sie ist einfach da, ganz plötzlich, ganz unerwartet, wie der Schmerz in der Brustwirbelsäule, den Sophie Plog eines Tages spürt. Ganz leicht ist er, nur manchmal blitzt er auf, bei einigen bestimmten Bewegungen.

"Ach", denkt sie, "das wird schon nichts sein." Doch der Schmerz wird stärker. Er breitet sich aus, über den ganzen Brustkorb hinweg. Sophie macht sich immer noch keine Sorgen. Sie arrangiert dennoch einen Termin bei ihrer Frauenärztin, nur zur Sicherheit, nur um etwas zu unternehmen.

Sie erklärt ihre Schmerzen, lässt sich untersuchen und eine Gewebeprobe entnehmen, sie denkt sich nichts dabei. Dann kommt die Gewebeprobe aus dem Labor zurück. Und mit ihr die Diagnose: Sie, Sophie Plog, 28 Jahre alt, hat nicht einfach Schmerzen, sondern einen dreieinhalb Zentimeter großen bösartigen Tumor in der Brust.

"Wie bitte?", sagt sie, als sie es erfährt; sie glaubt, sie habe sich verhört, "ich habe nur Schmerzen an der Brustwirbelsäule. Ich kann keinen Tumor haben." Doch der Befund ist eindeutig: Sophie hat Brustkrebs. Sie gehört damit zur wachsenden Anzahl von Frauen, die sehr jung daran erkranken, wie etwa die in dieser Woche gestorbene Moderatorin Miriam Pielhau.

Auch rund 100 Hamburgerinnen unter 35 Jahren sind jährlich betroffen, Tendenz steigend – und Sophie ist nun eine davon. "Das kann nicht sein", wiederholt sie, "ich kann keinen Krebs haben. Das geht nicht." Sie bricht ab, schüttelt den Kopf, sagt schließlich: "Das geht nicht, weil ich nicht schwer krank sein kann. Ich kann das nicht, ich will das nicht."

Doch sie hat keine Wahl.

15. Januar 2016

Sophie sitzt im Flur des Eimsbüttler Jerusalem-Krankenhauses, dorthin ist sie von der Ärztin überwiesen worden. Sie wirkt bleich, schmal, aber deutlich gefasster. "Ich bin gefasster", sagt sie, "ich habe für mich selber beschlossen, dass ich gefasst bin und mir von diesem Karl Arsch in meiner Brust keine Angst einjagen lasse."

Sie wird aufgerufen, geht in eines der Klinik-Sprechzimmer hinein und erfährt dort, wie es nun weitergehen wird für sie: Sie wird sechs Monate lang eine Chemotherapie bekommen, erst alle zwei Wochen mit dem sehr starken Medikament Epirubizin, dann wöchentlich mit den etwas schwächeren Mitteln Paclitaxel und Carboplatin. Sophie nickt. Sie wird durch die Chemo nicht nur die Krebs-, sondern auch gesunde Zellen verlieren. Sophie nickt. Sie wird durch die Chemo für mehrere Jahre unfruchtbar werden und danach beide Brüste amputiert bekommen, sicherheitshalber. Sophie schluckt – und nickt.

Sie verlässt das Sprechzimmer wieder, setzt sich im Flur noch einmal hin. Schaut lange Zeit vor sich auf den Boden. Räuspert sich irgendwann und sagt leise: "Ich muss da durch. Ich muss es einfach. Und wenn ich so eine Chemo und diese Amputation brauche, um gegen Karl Arsch anzukommen, dann mache ich so eine Chemo und diese Amputation."

29. Januar 2016

Damit die Chemotherapie durchgeführt werden kann, sind noch einige kleinere Vorbereitungen nötig. So muss sich Sophie vorher einer ersten Operation unterziehen. Bei der bekommt sie einen sogenannten Zugangs-Port in ihre Schulter eingesetzt. Der funktioniert wie eine Art Wasserhahn, den man auf- und wieder zudrehen kann, über ihn sollen Sophies Körper später die Chemo-Medikamente zugeführt werden.

Die Operation dauert nur etwa 20 Minuten und verläuft ganz nach Plan; der Zugangs-Port liegt nun in Sophies Schulter, direkt an einer Vene, wird oben nur von einem großen weißen Pflaster verdeckt. Als sie aus der Vollnarkose erwacht, tastet Sophie vorsichtig ihre Schulter ab, fühlt das Pflaster. "Da tut es weh", murmelt sie mit schwerer Zunge und noch halb geschlossenen Augen, "aber das geht bestimmt bald weg. Ganz bestimmt."

3. Februar 2016

Es ist soweit, heute steht Sophies erste Chemotherapie-Sitzung an. Sie hat gut geschlafen, sagt sie, bestens sogar, ganz ruhig und traumlos, und der Zugangs-Port tut auch nicht mehr allzu sehr weh. Nun sitzt sie also auf einem schwarzen Ledersessel im Behandlungsraum, neben ihr steht schon ein metallener Infusionsständer bereit, an dem ein kleiner grüner Plastikbeutel hängt. Darin befindet sich das sehr starke Krebs-Mittel Epirubizin; es ist hochempfindlich, die grüne Farbe soll es deswegen vor Sonneneinstrahlung schützen.

Der Medikamenten-Beutel wird mit einem Schlauch an Sophies Port befestigt; bald darauf läuft eine orangefarbene Flüssigkeit durch den durchsichtigen Schlauch hindurch, in Sophie hinein. Sie schaut zu, mit einer Mischung aus Interesse, Faszination und Ekel. Nachdem sie es eine Weile beobachtet hat, sagt sie: "Ich finde, wegen der orangenen Farbe sieht es so harmlos und nett aus, ein bisschen wie Campari Orange."

Nachdem die ganze orangefarbene Flüssigkeit durchgelaufen ist, nach etwas mehr als fünf Stunden, darf Sophie dann endlich gehen. Sie ist guter Dinge, denn sie fühlt sich fit, spürt nichts von dem starken Medikament, das sie da gerade in extrem hoher Dosis verabreicht bekommen hat. "Bisher war es eigentlich gar nicht so schlimm. Und ich glaube, das wird alles schon werden", sagt sie.

4. Februar 2016

Am Nachmittag nach der Chemo bekommt Sophie starke Kopf- und Magenschmerzen. Ihr wird übel, sie kriegt Schweißausbrüche und Herzrasen, fühlt sich immer schlechter.

Bald ist sie so schwach, dass sie sich in ihr Bett legen muss und nicht mehr aufstehen kann. "Das ist widerlich", sagt sie in ihr Kissen, "ich wusste nicht, dass es einem so widerlich gehen kann."

In den nächsten Tagen wird es noch schlimmer und Sophie immer noch schwächer. Sie kann zeitweise nichts mehr schmecken, nichts mehr riechen: "Es ist wie ein totaler Zusammenbruch von meinem Körper. Es tut echt alles weh. Ich hatte ja keine Ahnung, wie scheiße weh das alles tut."

17. Februar 2016

Sophie hat sich kaum von den Auswirkungen der ersten Chemo einigermaßen erholt, da muss sie schon zur zweiten antreten. Kriegt zum zweiten Mal das orangefarbene Medikament eingeflößt, liegt zum zweiten Mal tagelang mit Schmerzen im Bett.

Dann steht die dritte Chemo-Sitzung an. Wieder dasselbe Medikament, dessen grelle orangene Farbe sie mittlerweile hasst, wieder die schlimmen Schmerzen, wieder das tagelange Liegen im Bett. "Ich kann nichts machen", sagt sie leise, "mein Gehirn fühlt sich an wie im Nebel. Chemo-Brain."

Dann fügt sie, noch leiser, hinzu: "Bisher dachte ich echt, das ist zu schaffen. Aber jetzt gibt`s manchmal Momente, in denen bin ich mir da nicht mehr so sicher." Durch die vierte Chemo werden ihre Nägel schwarz, ihr Gaumen platzt an mehreren Stellen auf, Sophie nimmt Kortison ein, in hoher Dosis, gegen die Schmerzen.

5. März 2016

Sophie geht es mittlerweile so schlecht, dass sie niemanden mehr sehen, niemanden mehr sprechen möchte. Sie schreibt stattdessen nur eine SMS: "Ich dachte, ich gewöhne mich irgendwann daran. Aber ich gewöhne mich an gar nichts. Und meine Haare fallen aus."

6. März 2016

Noch eine SMS von Sophie; diesmal hat sie nichts geschrieben, nur ein Video angehängt. Darin ist sie selber zu sehen, wie sie im Badezimmer sitzt, unter sich ein Handtuch ausgebreitet, neben sich einen großen elektrischen Rasierer.

Die Video-Sophie nimmt diesen Rasierer in die Hand und schaltet ihn ein. Hebt ihn hoch und setzt ihn am Haaransatz an. Zögert. Und zieht ihn dann plötzlich mit einer schnellen ruckartigen Bewegung einmal von vorne nach hinten über ihren Kopf.

Sie setzt wieder an, zieht wieder von vorne nach hinten. Von vorne nach hinten. Von vorne nach .... sie bricht mitten in der Bewegung ab, lässt den Rasierer sinken und fängt an zu weinen. "Scheiße", schluchzt sie, "Scheiße, Scheiße, Scheiße. Wieso kriege ich das nicht hin? So eine Scheiße!".

Doch dann, irgendwie, reißt sie sich zusammen. Sie hebt den Rasierer erneut an und macht schluchzend weiter, bis alle Haare ab sind. Sie ist nun komplett kahl.

12. März 2016

Sophie sitzt zu Hause in ihrem Bett. Sie hat sich mehrere Kissen hinter den Rücken gestopft und eine graue Woll-Mütze mit kleinen silbernen Straßsteinchen über ihren kahlen Kopf gezogen. "Ich hab` zwar auch eine Perücke, aber die kratzt so doll", sagt sie. Die Mütze sei angenehmer: "Sonst ist ja grad nicht viel angenehm bei mir."

Denn, sagt sie, sie hat nur noch wenige Freunde und Bekannte, die sie in diesem Zustand sehen wollen. "Ich bin halt nicht nur krank, ich sehe auch so aus", sagt sie, "das wollen viele dann nicht angucken." Sogar ihre angeblich beste Freundin kommt nicht mehr vorbei, meidet sie.

Die Kollegen melden sich noch ab und zu, aber mit ihnen hat sie eigentlich eh nichts mehr zu tun; ihr ist gekündigt worden – "als ich mich krankgemeldet habe, hatte ich direkt danach die Kündigung im Briefkasten. Ich war noch in der Probezeit, daher war das rechtlich kein Problem."

28. März 2016

"Sorry wegen letztens", schreibt Sophie, wieder per SMS, "da habe ich zu viel gejammert. Ich wollte doch nie über den Scheiß-Krebs jammern, sondern gegen ihn kämpfen. Hat bisher irgendwie nicht so richtig gut geklappt."

13. Mai 2016

Sophie reißt sich merklich zusammen. Macht sich nun etwas zurecht: Schminkt sich die verbliebenen Wimpern mit Mascara. Malt sich die Wangen mit Rouge an. Zeichnet die schon längst ausgefallenen Augenbrauen mit etwas Puder nach. "Ich schminke mich normal nicht doll", sagt sie, "aber mit Make-up fühle ich mich nicht mehr so sehr wie ein Alien."

Auch ansonsten arrangiert sie sich mit dem Krebs, so gut man sich mit einer solchen Krankheit eben arrangieren kann: Sie trifft sich mit anderen jungen Betroffenen. Bestellt sich Bücher zum Thema. Schaut jede TV-Sendung über Krebs, die sie finden kann.

Und sie hat nun immer eine schmale Schnur dabei. Auf der sind, selbst gebastelt, mehrere kleine Holzperlen aufgefädelt, jede steht für eine noch verbleibende Chemo-Sitzung. "Das benutze ich als Abreiß-Kalender", erklärt sie, "so sehe ich besser, wie lange ich mit diesem ganzen Scheiß noch zu tun habe."

21. Juni 2016

Sophie nimmt die Kette mit den Holzperlen in die Hand, nur eine letzte Perle ist noch an der Schnur befestigt. Sie zieht mit einem Ruck daran, hält dann die Perle in der einen, die leere Schnur in der anderen Hand – und wirft beides mit einer heftigen Bewegung in einen Mülleimer. Ihre letzte Chemo-Sitzung ist vorbei.

1. Juli 2016

Zum Ende der Chemo muss Sophie wieder öfter in die Klinik – zum Gespräch. Darin erfährt sie, dass der Tumor in ihrer Brust durch die Chemo tatsächlich fast vollständig vernichtet worden ist.

Und dass sie nun bald die Operation hat, bei der ihr beide Brüste amputiert werden. Denn ihr Brustkrebs hat genetische Ursachen, er kann immer wiederkommen. Solange sie ihre Brüste hat.

Sophie schluckt, sagt dann: "Diese OP überstehe ich auch noch irgendwie. Ich habe die Chemo hinter mich gebracht, ich bringe auch die OP hinter mich."

11. Juli 2016

Am Operations-Tag ist Sophie schon um 6.15 Uhr in der Klinik. Sie wirkt nervös, bekommt ein OP-Hemd und dazu eine Beruhigungstablette. "Okay", sagt sie, "okay." Sie schluckt die Tablette. Legt sich aufs Klinik-Bett und döst ein.

In den folgenden vier Stunden werden ihr beide Brüste amputiert – und direkt wieder rekonstruiert. Dafür wird ein Silikonkissen unter den Brustmuskel geschoben, von Volumen und Gewicht her ihrem Körper angepasst.

13. Juli 2016

Sophie hat die Operation überstanden. Sie liegt in einem hellen Krankenhaus-Zimmer und hat einen dunklen Verband um ihren Oberkörper gewickelt – an der Stelle, an der bis vor Kurzem noch ihre Brüste waren.

Sie schaut an sich herunter: "Ich fühle da nichts mehr. Es ist, als ob man mir was vor den Oberkörper geschnallt hat." Sie berührt den Verband, tastet ihn ab, sagt schließlich: "Aber da gewöhnt man sich dran. Irgendwie. Hauptsache, die Dinger sind krebsfrei."

15. Juli 2016

Nach der Operation darf Sophie das Krankenhaus wieder verlassen. Sie ist aber noch sehr schwach – und wird ohnehin bald wieder in einer Klinik sein.

Denn während der Behandlung hat sich herausgestellt: Auch der Wächterlymphknoten ist befallen, muss baldmöglichst bestrahlt werden. Täglich, mindestens vier Wochen lang, vielleicht auch sechs.

"Scheiße", sagt Sophie, sie klingt sehr müde dabei, "verdammte Scheiße".

Quelle : welt.de

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