“Erschießungen mit Effekten aus Hollywood“

  20 Juli 2016    Gelesen: 514
“Erschießungen mit Effekten aus Hollywood“
Mit Enthauptungsvideos hat es angefangen. Inzwischen ist in den Propagandakanälen des IS ein regelrechter Gewalt-Exzess ausgebrochen, die Islamisten richten ihrer Gegner immer bestialischer hin. Menschen werden in Säure ertränkt, bei lebendigem Leibe gekocht oder Sprengsätze werden an ihren Körpern befestigt. Welche Strategie dahintersteckt und wie sich die immer brutalere Propaganda auf mögliche Attentäter in Europa auswirkt, erklärt Gewaltforscher Nils Böckler im Interview mit n-tv.de.
Welche Rolle spielt Gewalt für eine Organisation wie den Islamischen Staat?

Gewalt spielt für den Terrorismus generell eine große Rolle. Wenn wir von Terrorismus sprechen, ist das immer eine Durchsetzung ideologischer, politischer, religiöser Motive mit Gewalt. In den Gewaltvideos des IS sieht man, dass es immer um die Herstellung von öffentlicher Aufmerksamkeit geht. Es sollen Angst und Schrecken in der Gesellschaft verbreitet werden. Außerdem sollen Sympathisanten gewonnen werden.

Was unterscheidet den Islamischen Staat dabei von anderen Terrororganisationen?

Der IS hat es verstanden, sich auf eine sehr perfide Art selber eine Öffentlichkeit zu schaffen, vor allem durch die Nutzung sozialer Medien. Der Anführer des direkten Vorgängers des IS, Al-Kaida im Irak, Abu Musab Al-Zarqawi, hat sich als einer der Ersten durch die mediale Inszenierung von Gewalt gewissermaßen zu einer Marke stilisiert und ist als `Al-Zarqawi, der Schlächter` in die Geschichte eingegangen. Was hat er gemacht? Er hat amerikanische Geiseln entführt und vor laufender Kamera enthauptet. Das hat auch im Westen für enorme Aufmerksamkeit gesorgt. Das war neu. Ein Propagandaerfolg, der sich mit `Jihadi John` wiederholt hat.

Der Islamische Staat begreift sich ja nicht als Terrororganisation wie etwa Al-Kaida, sondern als staatliches Gebilde. Welche Wirkung hat diese extreme Darstellung der Gewalt auf das Innenleben des IS?

Der sogenannte Islamische Staat will durch seine Brutalität zeigen, dass er zu allem bereit ist, um zu einem Kalifat zurückzukehren. Mit dem Ausruf des Staates hat er einen realen Bezugspunkt für Rekruten geschaffen. Es geht zum einen bei der Gewalt darum, klare Verhältnisse zu schaffen. Im Falle der Anschläge von Paris und Belgien will man Handlungsmacht präsentieren. Wenn der Islamische Staat Rückschläge zu verzeichnen hat, geht es darum, zu zeigen, `hier sind wir, wir sind stark`. Und natürlich, das wissen wir von Syrien-Rückkehrern, geht es nach innen darum, eine Schreckensherrschaft aufrechtzuerhalten.

Im Zuge der Propaganda geht es um die Legitimation der Taten. Sie werden in keinem Propagandavideo sehen: `Wir sind die Aggressoren`, sondern `wir sind immer nur die Opfer, die sich verteidigen`. Dabei spielt die Gewalt des Westens immer auch eine zentrale Rolle. In den Videos werden Kinderleichen nach Luftangriffen gezeigt, die zeigen sollen, dass sich der IS wehren muss.

Der IS hat früh begonnen, Hinrichtungen und andere Gewaltakte im Netz aufwendig zu inszenieren und im Netz zu verbreiten. Die Gewaltdarstellung in den Propagandavideos ist jedoch gerade in der jüngsten Zeit immer exzessiver geworden. Gegner werden in Säure ertränkt, bei lebendigem Leibe gekocht oder mit Sprengladungen zerfetzt. Was verrät das über den Zustand des IS?

Zu Beginn des IS gab es ja diese Videos, in denen große Gruppen in Massenexekutionen hingerichtet wurden. Die Gefangenen haben sich auf den Boden gelegt, dann wurden sie mit der Kalaschnikow erschossen.

Extreme Brutalität war immer gegeben. Die Qualität hat sich aber verändert. Man muss sich auch ansehen, wie diese Videos aufbereitet sind, also wie sich da beispielsweise an westlichen Elementen bedient wird. Zu sehen sind da inzwischen Erschießungen mit Bullet-Time, also Effekten aus Hollywood und aus Computerspielen. Und damit soll verstärkt im Westen rekrutiert werden. Und die exzessive Gewaltdarstellung dient auch dazu, sich von anderen Gruppierungen abzuheben. Je brutaler man sich macht, desto wirkungsvoller kann man Handlungsmacht demonstrieren – obwohl diese militärisch vielleicht gar nicht mehr gegeben ist.

Und der Zeitpunkt der letzten Anschläge scheint kein Zufall zu sein. Als die Berichte sich mehrten, dass der IS seine strategischen Punkte verliert, dann passierten choreografierte Anschläge. Vorher gab es bereits Aufrufe, die Islamisten im Westen dazu auffordern, die Ungläubigen in jeder erdenklichen Weise umzubringen.

Mit jeder Schwächung des IS in seinem von sich beanspruchten Territorium werden also mehr Terroranschläge einhergehen?

Ich will nicht spekulieren, aber was man gesehen hat, ist, dass die Anschläge, die ja dazu da sind, Stärke zu demonstrieren, sich in ihrer Qualität geändert haben, als der IS militärisch geschwächt wurde.

Nun ist durch die Terrorakte des IS die Gewalt ja auch in Westeuropa wieder präsenter geworden. Wir als Journalisten spüren bei unserer Arbeit jedoch, dass das Entsetzen nicht linear verläuft – der Aufschrei bei Charlie Hebdo war extrem und wurde danach eigentlich eher leiser. Gewöhnen wir uns an den Terror?

Ja, es ist natürlich ein psychologischer Schutzmechanismus, sich an die Bedrohung zu gewöhnen, um seine Funktionsfähigkeit aufrechtzuerhalten. Und es ist ja auch nicht unbedingt schlecht, seinen Alltag weiterzuleben. Denn Terror will zeigen, dass es immer und überall passieren kann. Dem dürfen wir uns nicht ergeben.

Wenn wir uns daran gewöhnen, nehmen wir dem Terror also seine Grundlage?

Dem Terror nehmen wir nur dadurch die Grundlage, dass wir Prävention betreiben und wir Radikalisierung im Vorfeld verhindern. Die Anschlagsmuster verändern sich jedoch. Die Anschläge von Brüssel oder Paris hatten etwa eine ganz andere Qualität als Anschläge zuvor und erinnerten stark an das Attentat in Mumbai. Also mehrere Attentäter führen an mehreren Orten Gewaltexzesse durch. Jetzt in Nizza oder in Würzburg sehen Sie wieder ein neues Muster - also mit jeglichen Instrumenten wird getötet. Es wird ja das befolgt, was vom IS gepredigt wird, die Gegner eben mit allen Mitteln zu töten.

Für den IS also ein voller Erfolg?

Ein Propagandaerfolg. Und ein Erfolg für die Lone-Wolf-Strategie. Terroristen haben früher die Anschläge im Detail geplant und mussten dann feststellen, dass ihre Kommunikation immer wieder aufgedeckt wurde. Und das hat dazu geführt, dass sie Gesellschaften unterwanderten und Täter Anschläge begehen sollten, ohne auf Instruktionen zu warten. Also der Attentäter stabilisiert seine Identität an dem Plan, sucht selber Zeit und Ort aus und schlägt zu. Dann meldet sich IS oder Al-Kaida wieder und übernimmt die Verantwortung. Und gerade viele kleine Anschläge sollen aus der Entfernung wie eine mächtige Bewegung aussehen. Die Medien müssen sich davor hüten, diese Terrorbotschaften weiterzutragen, indem zu ausführlich über die Täter berichtet wird.

In Nizza etwa vermischen sich die Elemente eines Terroranschlags mit denen eines Amoklaufs. Oftmals sind es Leute, die die Ideologie mit eigenen persönlichen Kränkungen und Motiven vermischen. Sie nehmen sich irgendwas aus dieser Ideologie heraus und dann ist das auch egal, ob es vom IS oder von Al-Kaida kommt. Man will Bedeutung erlangen.

Glauben Sie persönlich denn, dass der IS in Nizza wirklich dahintersteckt oder nutzt der IS einen Amoklauf für seine Zwecke?

Die Frage lässt sich gar nicht mehr so eindeutig beantworten. Ein direkter Befehl vom Islamischen Staat kam vielleicht nicht, aber es ist ja die Strategie des IS, solche Taten zu provozieren. Auf jeden Fall hängt es eng mit der Propaganda zusammen und jemand hat sich von dem Aufruf offenbar angesprochen gefühlt.

Und die Ermittlungen haben ja gezeigt, dass der Täter schwer bewaffnet war. Die Radikalisierung ist sicher auch nicht im sozial leeren Raum geschehen. Er gibt Hinweise auf Kontakte zur radikalen Szene. Aber für den Anschlag muss er keinen Befehl aus Syrien oder dem Irak bekommen haben.


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