Polizisten mussten den Täter von Reutlingen beschützen

  26 Juli 2016    Gelesen: 676
Polizisten mussten den Täter von Reutlingen beschützen
Der tödliche Angriff eines Asylbewerbers auf eine Polin war eine Beziehungstat. Der aus Syrien stammende Täter war als gewalttätig bekannt – und musste nach der Tat geschützt werden.
Eine schreckliche Gewalttat, aber kein Amoklauf und schon gar kein islamistischer Hintergrund: So schätzt die baden-württembergische Polizei derzeit die Bluttat von Reutlingen ein. Doch kann eine "Beziehungstat", wie sie die Ermittler nun feststellten, nicht doch zugleich auch ein Amokangriff sein oder sich zumindest dazu entwickeln?

Immerhin hat der 21-jährige Syrer, dessen Name laut Augenzeugen Mohammed sein soll, am Sonntagnachmittag mitten im Zentrum der Stadt am Fuß der Schwäbischen Alb nicht nur seine Freundin mit einem langen Dönermesser attackiert und tödlich verletzt. Er ist danach auch blindwütig und wild das Hackmesser schwingend durch die Innenstadt Reutlingens gerannt. Dabei attackierte er mehrere Menschen, allesamt Zufallsopfer. Der Täter, der sich angeblich nicht an seine Attacke erinnern kann, hat womöglich psychische Probleme. Wie der Täter von München oder jener aus Ansbach.

Auch wenn das gesamte Ereignis kaum mehr als sieben Minuten dauerte, die Bilanz ist erschreckend: eine Tote, fünf verletzte Menschen, viele entsetzte und geschockte Passanten. Die Polizei musste ein Kriseninterventionsteam einrichten. "Die Lage war mordsmäßig brisant", sagte Polizeisprecher Björn Reusch. "Wie von Sinnen" sei der Mann gewesen, berichten Augenzeugen. Gestoppt wurde sein irrer Lauf durch das Stadtzentrum zufällig, auch wenn ihm zu diesem Zeitpunkt die Polizei bereits dicht auf den Fersen war.

Opfer soll schwanger gewesen sein

Aber bevor ihn die Beamten endgültig stellen konnten, war der Flüchtige einem Autofahrer in den Wagen gelaufen und von diesem umgefahren worden. Anders als zunächst angenommen hatte der BMW-Fahrer übrigens nicht absichtlich aufs Gas getreten, um den flüchtenden Täter zu stoppen. "Es war ganz klar ein Verkehrsunfall", betonte Reusch. "Der Fahrer konnte von dem Geschehen nichts gewusst haben."

Noch ist unklar, was den Streit, der so gewalttätig eskalierte, überhaupt ausgelöst hat. Bewohner von Mohammeds Flüchtlingsunterkunft behaupten laut "Stuttgarter Nachrichten", die Tote, eine 45 Jahre alte Polin, und der 21 Jahre alte Asylbewerber seien seit einigen Wochen ein Paar gewesen. Sie habe bei ihm in der Unterkunft übernachtet, wo er ein Einzelzimmer bewohnt habe, und sei sogar im vierten Monat schwanger gewesen, so wird Hamza al-M., ein Flurnachbar, zitiert.

Also ein Eifersuchtsdrama oder ein Streit aus irgendeiner anderen Ursache unter Liebenden? Ein Asylbewerber, der Mohammed vom Sehen kannte, will ihn kurz vor der Tat im Reutlinger Zentrum beobachtet haben, wie er aufgeregt telefonierte, mit hochrotem Gesicht, offenkundig aufgeregt und mit sehr lauter Stimme. Gegenüber der Polizei und Staatsanwaltschaft gab Mohammed an, eine Beziehung mit der 45 Jahre alten Frau gehabt zu haben.

Hausverbot wegen Jähzorn

Der 21-Jährige ist offenbar ein zur Gewalt neigender Mann. Einer, der bei der Polizei schon mehr als einmal aufgefallen ist wegen Drogenbesitzes und Körperverletzung. Polizeisprecher Reusch hat zwar keine genaueren Details zu diesen Gewaltausbrüchen parat. Aber die Vorfälle seien "offenbar harmlos gewesen, sonst hätten wir ihn unter Beobachtung gehabt. Da war anscheinend nichts vorgefallen, was nicht auch andere Kleinkriminelle auf dem Konto hätten".

Was Bekannte berichten, klingt freilich anders. In seiner ersten Flüchtlingsunterkunft hat Mohammed offenbar sogar Hausverbot, weil er so jähzornig war. In der aktuellen bewohnte er angeblich nur deshalb ein Einzelzimmer, weil er so aggressiv war. So zumindest berichten es Menschen, die dem syrischen Asylbewerber begegnet sind: "Er war einer, der ständig geprügelt und Stress gemacht hat", zitieren die "Stuttgarter Nachrichten" den Sicherheitsmann Nadeem A. aus Mohammeds erster Unterkunft.

Bekannt ist, dass die 45-jährige Putzhilfe und der nicht einmal halb so alte Mann beide in demselben türkischen Restaurant gearbeitet haben, vor dessen Tür im Reutlinger Zentrum der tödliche Messerangriff geschah. Ob Mohammed ein legales Arbeitsverhältnis hatte und ein bereits anerkannter Asylbewerber war, weiß die Polizei nicht.

Aber das türkische Restaurant, in dem sich der junge Mann seit Kurzem als Servicehilfe verdingte, arbeitet laut seiner Webseite eng mit der Agentur für Arbeit zusammen. Medienberichten zufolge hat der Inhaber den Syrer sogar unter einer ganzen Reihe von Bewerbern ausgewählt, weil dieser einen so freundlichen und guten Eindruck gemacht habe.

Anzeichen für psychische Störungen

Doch Mohammed muss eben auch eine andere Seite gehabt haben. In seiner Flüchtlingsunterkunft nennen sie ihn einen "guten Mann", der zu viele Drogen genommen, stark getrunken und sich mit Rasierklingen geritzt habe. Alleine schon Letzteres könnte auf schwere psychische Störungen hindeuten.

Nach ersten Erkenntnissen ist der Syrer, der seit rund anderthalb Jahren in Deutschland lebt und allein aus Aleppo gekommen sein soll, in dem Dönerrestaurant mit seiner Freundin in Streit geraten. Der Mann hat sich offenbar ein schweres, langes Dönermesser mit einer rund 60 Zentimeter langen Klinge gegriffen und die Frau attackiert. Die Leiche lag vor der Tür in der Nähe eines Nebeneingangs, doch unklar ist, ob das Opfer noch versucht hat zu fliehen.

Der Täter rannte nach der Attacke auf den Kopf der Frau weiter, schlug die Fensterscheiben eines zufällig vorbeifahrenden Citroën ein und verletzte dabei dessen Fahrerin am Arm. Die Frau drückte aufs Gas und flüchtete um die Ecke, wo ihr Auto in einer Bushaltespur zum Stehen kam. Sie und ihr Beifahrer erlitten einen schweren Schock.

Einem BMW vor die Kühlerhaube gelaufen

Derweil war der Flüchtige weitergerannt und griff mit seinem riesigen Messer einen Mann an, der vor einem Dönerladen an einem Tisch saß. Das Opfer erlitt Messerverletzungen im Gesicht. Wie Augenzeugen berichten, wollte der Asylbewerber in weitere Imbisse eindringen, doch dort hatten sich alle rechtzeitig verbarrikadiert und die Tür abgeschlossen. Zwei Passantinnen, die in dem ausbrechenden Chaos panisch zu fliehen versuchten, mussten ebenfalls in Behandlung, eine mit einer Kopfverletzung, eine weitere mit einem Schock.

Schließlich lief Mohammed einem weißen BMW vor die Kühlerhaube. Der Fahrer sei abgelenkt gewesen von den Vorfällen und der Panik am Straßenrand und habe nicht auf den Verkehr vor sich geachtet, sagte Polizeisprecher Reusch. Das erspart dem Fahrer womöglich viel Ärger. Hätte er tatsächlich absichtlich aufs Gas getreten, um einen Amokläufer zu stoppen, wäre er ebenfalls ins Visier der Justiz geraten: Die Staatsanwaltschaft hätte Ermittlungen aufnehmen müssen.

Dabei war der 22-jährige Sohn eines Kebabimbissbesitzers, Alper K., bereits als Held gefeiert worden, weil es hieß, er habe den Täter absichtlich umgefahren. Auf change.org wurde umgehend eine Onlinepetition an die Adresse von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) gestartet, damit K. den Landesverdienstorden bekommen sollte. Andere riefen auf Facebook zu Spenden auf, damit K. seinen BMW reparieren und eventuelle Anwaltskosten bezahlen könne. K., so die einhellige Meinung, sei ein "Held", einer, der vielen anderen das Leben gerettet habe.

Viel Arbeit für die Ermittler

Letzteres mag allerdings sogar stimmen. Denn direkt nachdem K. den Syrer angefahren hatte, konnte ihn die Polizei fesseln und dingfest machen. Die Stimmung vor Ort war danach äußerst angespannt, wie Zeugen berichten.

Viele der anwesenden jungen Männer, die meisten mit Migrationshintergrund, hätten den am Boden liegenden Mann heftig als "Dreckschwein" und Schlimmeres beschimpft. Die Polizisten hätten ihn regelrecht beschützen müssen. "Die hätten den bestimmt am liebsten gelyncht", sagte ein Beobachter.

Der Täter befindet sich nach dem Zusammenstoß mit dem BMW nun selbst in Behandlung und wird dort von der Polizei bewacht. Er habe zwar zugegeben, die Frau angegriffen zu haben, heißt es. Aber an den Ablauf und die Hintergründe, überhaupt an das gesamte Geschehen könne er sich "nur in Bruchstücken erinnern", so Polizeisprecher Reusch. Der zehnköpfigen Ermittlungsgruppe stehe nun viel Arbeit bevor.

Quelle : welt.de

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