Das gilt auch für die türkische Außenpolitik. Nach monatelanger Eiszeit zwischen Ankara und Moskau sucht Erdogan demonstrativ die Nähe zu seinem Amtskollegen Wladimir Putin. Schon Anfang August will Erdogan den ähnlich machtverliebten Putin in seinem Heimatort Sankt Petersburg besuchen, hieß es am Dienstag. Schritt für Schritt, so die russische Darstellung, wolle man die Beziehungen zwischen der Türkei und Russland wieder verbessern, möglichst rasch sollen die alten Gräben zugeschüttet werden.
Das Tempo der Versöhnungsoffensive, die Erdogan bereits vor dem Putschversuch eingeleitet hatte, bekommt nun eine ganz neue Bedeutung.
Mit seinen harschen Reaktionen auf den Coup-Versuch, den zahllosen Festnahmen und den Ideen über die Wiedereinführung der Todesstrafe scheinen Beitrittsgespräche mit der EU unrealistischer denn je. Dass Erdogan in diesem Moment auf Putin setzt, wirkt wie der Versuch einer Neuorientierung für sein Land - offenbar in dem Wissen, dass das die Nato verprellt. Statt nach Westen schielt Erdogan nun nach Osten.
In den Stunden nach dem Putschversuch war diese Neuorientierung gut zu beobachten. Noch in der Nacht zum Samstag erklärte Putin als erster ausländischer Staatschef seine Solidarität mit Erdogan und wetterte gegen die Putschisten. Damals peilte man noch an, dass die beiden Staatslenker sich im September beim G-20-Gipfel erstmals wieder persönlich die Hand reichen. Dass sie sich nun früher treffen, zeigt, dass es beiden wohl nicht schnell genug gehen kann.
Für Erdogan ist die Wiederannäherung wichtig, er braucht positive Nachrichten, denn die politische Krise lässt die Wirtschaft seines Lands taumeln. Bereits im Juni, nachdem Erdogan sich für den Abschuss eines russischen Kampfjets entschuldigt hatte, hatte Putin umgehend die weitgehenden Sanktionen gegen türkische Agrargüter aufgehoben. Nun wollen Putin und Erdogan auch die Wiederaufnahme des TurkStream-Pipeline-Projekts und den Bau eines Atommeilers in der Türkei anschieben.
Die Regierung in Ankara hofft auch, dass dann russische Urlauber wieder in Massen an die türkischen Strände kommen. Erste Charterflieger steuern schon wieder Antalya an, die Tourismusbranche wagt nach dürren Monaten zu hoffen. Erdogan könnte selbst eine sanfte Erholung in der Branche als seinen Erfolg verkaufen.
Die außenpolitischen Kollateralschäden stören den türkischen Präsidenten bei seinem Pakt wenig, sie nutzen ihm sogar. Erdogan weiß, dass die Nato die Neuorientierung ihres Bündnispartners Türkei mit großer Sorge sieht. Schließlich hat die Allianz Russland und seinen aggressiven Präsidenten zuletzt auf dem Gipfel in Warschau als eine der größten sicherheitspolitischen Herausforderungen definiert. Dass sich nun ein Nato-Mitglied mit Moskau verbrüdert, wird unter den Partnern argwöhnisch beobachtet.
Für die Nato ist die Türkei enorm wichtig
Aus Erdogans Sicht aber kommt die Provokation gelegen, zeigt sie doch, dass er auch für den Fall einer weiteren Entfremdung mit dem Westen alternative Partner hat. Sicher würde Erdogan nicht so weit gehen, aus der Nato auszutreten, dafür ist die Einbindung in das westliche Bündnis für ihn und sein Militär viel zu wichtig. Doch statt sich von der Kritik aus den EU-Staaten oder den USA einschüchtern zu lassen, geriert er sich mit dem Putin-Pakt als Handelnder - natürlich immer im Interesse seines Landes.
Für die Nato steht mit der Unsicherheit in der Türkei viel auf dem Spiel. Als eine Art Vorposten, direkt am Übergang zum Nahen Osten, ist das Land geostrategisch von enormer Bedeutung.
Die USA fürchten zudem, dass sie bei einer weiteren Eskalation in den Beziehungen zu Erdogan die wichtige Luftwaffenbasis in Incirlik aufgeben müssten. Von dort fliegen die Jets der internationalen Koalition gegen den "Islamischen Staat" ihre Einsätze in Syrien und dem Irak.
Aus dem Hauptquartier der Allianz muss Erdogan deswegen nicht mit Kritik rechnen. Bis heute belässt es die Nato bei Solidaritätsadressen für die demokratisch gewählte Regierung in Ankara und verurteilt den versuchten Militärputsch.
Intern haben sich die wichtigen Nato-Staaten geeinigt, das Bündnis nicht für Seitenhiebe auf Erdogan und seine Säuberungen nach dem Putsch zu nutzen, um die militärische Kooperation nicht zu gefährden. Es scheint, als sitze Präsident Erdogan auch hier am längeren Hebel.
Quelle : spiegel.de
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