“Schon fast provozierend pragmatisch“

  29 Juli 2016    Gelesen: 741
“Schon fast provozierend pragmatisch“
Für ihre Sommer-Pressekonferenz erntet die Kanzlerin von heimischer und internationaler Presse Kritik. Merkel müsse Versäumnisse in der Flüchtlingspolitik einräumen. Andere bewundern ihre Stärke.

Nach dem "Wir schaffen das" kommt ein "Ich habe nicht gesagt, dass es leicht wird": Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat sich in der Bundespressekonferenz in Berlin wie jeden Sommer den Fragen von Journalisten gestellt. Im Mittelpunkt standen erneut ihre Flüchtlingspolitik, nun aber auch die innere Sicherheit.

Seit der Euphorie im vergangenen Sommer, als die Kanzlerin begeistert für ihr "Wir schaffen das" warb, ist viel passiert – unter anderem zwei von Flüchtlingen begangene Attentate in Würzburg und Ansbach. Die Antwort der Kanzlerin ist ein Neun-Punkte-Maßnahmenpaket gegen Terrorismus. So bewertet die Presse ihren Auftritt.

Deutsche Pressestimmen

"FAZ": Selbst die Freiheit der Kanzlerin hat Grenzen

"Wird durch die neun Punkte (...) tatsächlich etwas überwunden? Die meisten Punkte waren nicht neu. Allenfalls die Stichworte "Bundeswehr" und "Frühwarnsystem" ließen aufhorchen, auch sie litten allerdings darunter, dass die bayerische Staatsregierung mit ihrem Sicherheitskonzept mal wieder schneller war (...). Bayern und die CSU kommen darin wieder auf die Obergrenze und auf den Gedanken von "Transitzonen" in Grenznähe zurück. Beides soll gewährleisten, dass die Sicherheit nicht (...) auf dem Altar der Interessen von Flüchtlingsorganisationen geopfert wird. Merkel scheute davor und vor anderen bayerischen Zumutungen immer zurück, weil sie (...) nicht versprechen wolle, was sie (...) nicht halten könne. Das lässt sich auf viele Fragen anwenden. Aber wenn es um Sicherheit geht, hat selbst die Freiheit der Kanzlerin Grenzen."

"SZ": Wow. Merkel kann ganz normal reden

"Merkel würde vermutlich auch den Untergang der Titanic oder eine Rückkehr John Lennons von den Toten als "Bewährungsprobe" oder "einen interessanten Vorgang" bezeichnen. Als sie danach gefragt wurde, ob sie nicht manchmal erschöpft sei, sagte sie, sie sei nicht "unterausgelastet". Wow. Merkel kann, wenn sie sich gerade mal nicht als ANGELA MERKEL fühlt, ganz normal reden. Sie sollte das häufiger und gerade jetzt tun, weil in der Zeit der Äxte und der Rucksackbomben das Vertrauen in ihr Wir-haben-das-schon-immer-so-gemacht-Management stark schwindet."

"Berliner Zeitung": Schmucklose Rhetorik von Merkel

"Merkel bleibt Merkel. Auch in der Krise. In der Krise erst recht. Aufgewühlte, aufwühlende Worte, weil nach dem hausgemachten gottlosen Terror von links und rechts nun islamistische Gewalt ihre ersten Opfer in Deutschland gefunden hat? Nicht ihr Ding! Die Rhetorik der protestantischen Pfarrerstochter bleibt so schmucklos wie der Gebetsraum einer reformierten Kirche. Das höchste Maß an Dramatik, zu dem die Bundeskanzlerin sich bequemt: Sie zieht ihre traditionelle Sommerpressekonferenz um einen Monat vor."

"Der Tagesspiegel": Merkel hat keinen Plan

"Das ist die Lage: Das Land ist verunsichert – und Angela Merkel hat nicht nur keinen Plan, sie sagt noch nicht einmal, ob sie die Verantwortung weiter tragen will. "Wir schaffen das" – ja, wie? Und mit ihr oder ohne sie? In so einer angespannten Lage auf einen günstigeren Zeitpunkt zu warten, ehe sie sich erklärt, ist zu klein, zu taktisch im Angesicht der großen Bewährungsprobe. Das Land muss schon wissen, woran es ist. Auch mit dieser Bundeskanzlerin."

"Mitteldeutsche Zeitung": Merkel hat ihre Ohnmacht eingestanden

"Das größte Problem der Kanzlerin: Ihr wird seit nun bald einem Jahr unterstellt, sie habe eine Bewegung ausgelöst. Dabei hat sie mit ihrem berühmten Satz "Wir schaffen das" bloß ihre Ohnmacht eingestanden. So wurden die Menschen, die nach Deutschland kommen, "ihre" Flüchtlinge. Nun sind die Täter von heute "ihre" Terroristen. Jedenfalls in den Augen ihrer Gegner. Angela Merkel kann diesen Eindruck nicht abschütteln. Sie kann ihn nur relativieren."

Internationale Pressestimmen

"de Volkskrant", Niederlande: Merkel will Gleichgewicht von Sicherheit und Freiheit

"Merkel will das Gleichgewicht zwischen Sicherheit und Freiheit wahren. Mit diesem Ziel sollen die Sicherheitsdienste enger mit Partnerorganisationen anderer Staaten zusammenarbeiten, sollen abgelehnte Asylbewerber schneller in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt werden, soll der Internetverkehr strenger überwacht und der Waffenhandel gezügelt werden. Doch den Wählern sollte das wohl insgesamt zu dürftig sein. Besonders in Kombination mit der Bekräftigung ihres Spruches "Wir schaffen das"."

"NZZ", Schweiz: Merkel bewegt sich keinen Jota

"Ihr Auftritt wäre eine Gelegenheit gewesen, den Kompass in der Flüchtlingsfrage etwas zu justieren und wenn nicht Fehler, so doch vielleicht Versäumnisse zuzugeben. Doch Merkel bewegte sich kein Jota. Vielmehr gab sie sich schon fast provozierend pragmatisch: Wenn es ein Problem gibt, dann arbeitet man es ab. So stellte sie einen Neun-Punkte-Plan vor, doch die meisten Maßnahmen – effizienteres Sammeln von Hinweisen zur Radikalisierung, Bemühungen um schnellere Rückführung abgewiesener Asylbewerber – tönen nicht neu. Merkel hält ihren Kurs für richtig: Sie habe im Herbst, als Deutschland die Grenzen öffnete und Hunderttausende von Flüchtlingen ins Land ließ, nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt.(...)"

"Der Standard", Österreich: Singen gegen Angst und Hilflosigkeit

"Es klingt wie singen gegen die Angst und die Hilflosigkeit. Selbstverständlich ist Merkel persönlich nicht für all das Schreckliche verantwortlich, was in Deutschland passiert – nicht einmal, wenn es die Tat eines Flüchtlings ist. Aber viele Menschen in ihrer Angst und Wut sehen es leider anders. Und auch Merkel weiß, dass sie im Moment nichts Konkretes tun kann. Die eine Stellschraube, an der zu drehen wäre, gibt es nicht und wird es nie geben – auch wenn es Populisten glauben machen wollen. Der deutschen Bundeskanzlerin bleibt fürs Erste nichts anderes übrig, als weiterzumachen, für mehr Polizei zu sorgen und zu hoffen, dass nach den schrecklichen Taten, die nun auch in Deutschland passiert sind, erst einmal wieder Ruhe einkehrt."

"La Vanguardia", Spanien: Merkel zeigt ihren europäischen Kollegen den Weg

"Die Kanzlerin hat nicht enttäuscht. Sie hat sich sicher präsentiert und ist entschlossen, denjenigen die Stirn zu bieten, die das westliche Wertesystem zerstören wollen (...) Wenn die politische Intelligenz an der Fähigkeit gemessen wird, in der Not Stärke zu zeigen, dann hat Angela Merkel gestern erneut einen Beweis ihrer Führungsqualitäten geliefert. Bei der Verteidigung eines Wertesystems, das trotz aller Hindernisse und Mängel gültig bleibt, darf man keinen Rückzieher machen. Merkel hat ihren europäischen Kollegen den Weg gezeigt."

"Hospodarske noviny", Tschechien: Merkel bleibt in Krisensituationen kühl

"Sie ist aus dem Urlaub zurückgekommen, um ihr übliches "Wir schaffen das" zu sagen: Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, die als mächtigste Frau der Welt gilt, hat auf der Sonderpressekonferenz am Donnerstag gezeigt, worin ihre Stärke liegt. Sie geht geduldig und hartnäckig ihren eigenen Weg, nämlich in Krisensituationen mit Ruhe und kühler Vernunft Lösungen zu suchen. Der US-amerikanische Präsident Barack Obama hat bei Reden nach Massakern mehrmals geweint. Angela Merkels Miene bleibt trotz der Toten fest, ohne sichtbare Rührung. Doch Deutschland ist nicht Amerika. Von Politikern erwartet man keine emotionale Teilnahme, sondern Lösungen."


Quelle: n24.de

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