Indie-Pop: Von BMX-Banditen und Suppendrachen

  30 Juli 2016    Gelesen: 661
Indie-Pop: Von BMX-Banditen und Suppendrachen
Die Blütezeit des britischen Indie-Pops war 1986. Wie es danach weiterging mit Bands wie The Wedding Present, Talulah Gosh oder BMX Bandits, dokumentiert die feine CD-Box "C 87".
Die Zentrale von Creation-Records war in den frühen Achtzigerjahren eine winzige Einzimmerwohnung in einem runtergerockten Londoner Vorort. Das komplette Tonträger-Sortiment des Ladens lagerte unter dem Bett des Eigentümers Alan McGee. Der rothaarige Tausendsassa war von Glasgow nach London gekommen, weil es ihm in Schottland zu eng geworden war. In London verbrachte er seine Tage als Hilfsarbeiter bei der Bahn und seine Nächte als Konzertveranstalter, der befreundete Bands in Pub-Hinterzimmern auftreten ließ. Eines Tages lieh er sich tausend Pfund bei der Bank und startete Creation-Records, um Singles seiner Kumpels pressen zu lassen, die er dann auf dem Bett sitzend einpackte.

Creation war im besten Sinne des Begriffs ein Indie-Laden: Einerseits wirtschaftlich, da er tatsächlich unabhängig von der etablierten Musikindustrie war und jegliche Trends der Charts sowieso keine Rolle spielten. Aber auch musikalisch war Creation Indie, denn alles, was McGee damals veröffentlichte, war vielleicht nicht sonderlich originell, klang aber in den frühen Achtzigern doch erfrischend aus der Zeit gefallen. Bands wie Revolving Paint Dream, Primal Scream, The Jasmine Minks, The Loft, The Pastels oder McGees eigene Gang Biff Bang Pow! zelebrierten einen aufgekratzten Gitarren-Beat-Sixties-Rumpel-Sound der damals einzigartig unzeitgemäß daherkam. Journalisten tauften das Phänomen Indie und in ganz England schienen in jedem Kaff plötzlich junge Menschen unkonventionelle Songs auf eigene Faust zu produzieren und zu veröffentlichen.

Zur Blütezeit des Rummels 1986 ließ das damals noch sehr einflussreiche Fachblatt "New Musical Express" einen Sampler namens "C-86" zum Thema zusammenstellen. Weil da vom Internet noch keine Rede, war erschien der auf Kassette. Geboten wurden Indie-Bands wie The Pastels, The Shop Assistens, Stump, Soup Dragons und Primal Scream. Das ist jetzt dreißig Jahre her und längst gilt diese Zusammenstellung als Klassiker.

Geheimfavoriten, Eintagsfliegen, vergessene Halbberühmtheiten

Wie es unmittelbar danach weiterging, ist nun auf dem kurzweiligen 3-CD-Set "C 87" nachzuhören. Geboten werden mehr Songs der C-86-Bands, sowie zig Geheimfavoriten, Eintagsfliegen und vergessene Halbberühmtheiten. Einige dieser Bands genossen zeitweilig erhöhte Aufmerksamkeit, so wie die Creation Bands The House of Love, The Weather Prophets und The Jesus And Mary Chain. Auch The Wedding Present, Pop Will Eat Itself, The Shamen, The Wonder Stuff, Inspiral Carpets, The Darling Buds und The Primitives zierten damals die Titelblätter der einschlägigen Musikmagazine. The Vaselines gerieten später ins Rampenlicht, nachdem Kurt Cobain Loblieder auf sie sang und ihre Songs übernahm. Die Schotten von The Boy Hairdressers verwandelten sich in den Teenage Fanclub. Und Clint Mansell, Sänger bei Pop Will Eat Itself, ist heute als Hollywood-Soundtrack-Komponist bestens im Geschäft.

Aber das Beste an der "C 87" Sammlung sind die Nebendarsteller. Die drei CDs bieten Schätze an verschollenen Schrammel-Pop-Hits jener Zeit. Unbeschwerte Musik von Bands wie 14 Iced Bears, The Siddeleys, East Village, The Rosehips, Bob oder The Groove Farm die lange Zeit nur schwer aufzustöbern war. Damals um 1987 als die hier versammelten Songs entstanden spielte das Internet noch keine Rolle und MP3s und Spotify waren Science Fiction. Viele der Songs hier erschienen ursprünglich in mikroskopisch kleinen Auflagen auf Singles, Flexis und Kassetten und wurden nur von wenigen Plattenläden und via Kleinanzeigen in Musikmagazinen angeboten. So dient "C 87" auch als Zeitreise in eine lange versunkene analoge Welt. Modern war an dieser Indie-Pop-Sause allerdings, dass da Frauen ebenso selbstverständlich zu den Gitarren griffen wie Männer. Davon zeugen Bands wie The Darling Buds, Talulah Gosh, The Motorcycle Boy, The Primitives oder The Vaselines.

"Indie" ist Geschichte

Der Begriff "Indie", der immer noch durch Onlineblogs und Fachzeitschriften geistert, bedeutet in diesem Jahrtausend nichts mehr. Der sogenannte Indie-Sound ist Geschichte. Obwohl einige Bands jener Jahre, so wie die BMX-Bandits, immer noch würdevoll ihre Runden ziehen.

In der durcheinander gewirbelten Musikindustrie der Gegenwart liefern Indie-Plattenfirmen sogar die Hauptdarsteller im globalen Pop-Zirkus. So wie Adele, die bei dem kleinen Londoner Laden XL-Records unter Vertrag ist.

Creation-Records gibt es dagegen nicht mehr. Aber Alan McGee haust schon lange nicht mehr in einer Einzimmerwohnung.

Seitdem er in einem Pub eine Band namens Oasis hörte, umgehend unter Vertrag nahm und nicht sehr viel später sein Indie-Label an Sony verkaufte, ist er aller materieller Sorgen enthoben und völlig unabhängig - ein Indie-Privatier sozusagen.


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