„Mädchen, ich komme wieder!“
Zum ersten Mal richtig geflogen ist er 1935 in einer Focke-Wulf Fw44 „Stieglitz“, zum letzten Mal 70 Jahre später mit einem einmotorigen Wasserflugzeug von de Havilland. 90 Jahre war Ludwig Piller alt, als er 2005 in Kanada noch einmal als Pilot in die Lüfte stieg. Durfte er denn in dem Alter noch fliegen? Piller lächelt.
Hochzeit 12 Tage nach Kriegsbeginn
An Mut und Tollkühnheit hat es dem einstigen Kampfpiloten, der im Zweiten Weltkrieg Hunderte Einsätze flog und gleich zweimal über Russland abgeschossen wurde, nie gefehlt. Auch nicht, als er 1937 seiner heutigen Frau zum ersten Mal begegnete. Charlotte war damals 16, ihr Vater in Memmingen Polizist. „Alle sechs Wochen bekam er sonntags einmal frei und ging mit uns spazieren“, erzählt sie. „Ich habe es gehasst.“ An jenem 18. Juli endete der Ausflug in einer Gartenwirtschaft bei Tanz und Musik. Am Tisch der Familie waren noch zwei Plätze frei, auf die sich zwei Soldaten setzten. Als der eine die Tochter zum Tanzen aufforderte, wies sie ihn ab. Sie sei erst 16 und könne nicht tanzen. „Mit mir hat noch jede Dame tanzen können“, lautete die Antwort des Zweiundzwanzigjährigen. „So ging’s los“, sagt Charlotte Piller.
Einfach war es nicht für die beiden. Sie hatte ihm zwar verraten, wo sie wohnte. Doch in der Kleinstadt Memmingen miteinander auszugehen war nahezu unmöglich. Die Lokale wie das „Klösterle“, in denen sich die Piloten gerne mit ihren Mädchen trafen, wurden oft von der Polizei kontrolliert. „Mein Vater hätte es sofort erfahren.“ Ihnen blieb nur das Kino – letzte Reihe. Als Ludwig schließlich nach ein paar Monaten die Liebelei offiziell machen wollte, war ihr das gar nicht recht. Er ging trotzdem mit Blumen in der Hand zum Vater und warb um sie. „Die ist noch zu jung für Sie“, meinte er. Darauf Ludwig: „Die wird jeden Tag älter.“
Fortan durfte er wenigstens mit ihr ins Kino gehen. „Wenn der Film um 22 Uhr aus war, musste Ludwig mich um Viertel nach zehn zu Hause abliefern.“ Als dann der Krieg ausbrach, stimmte der Vater der Hochzeit zu. Am 12. September 1939, zwölf Tage nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen, heiratete die noch nicht volljährige Charlotte ihren Ludwig in Memmingen.
„Die jungen Leute wollen so etwas ja nicht mehr haben.“
In wenigen Wochen werden die beiden ihren 77.Hochzeitstag feiern. Fünf Tage später wird Ludwig Piller 102. Er ist, wie er am 20.Juni, an ihrem 95. Geburtstag, vom Bürgermeister beiläufig erfuhr, der älteste männliche Einwohner Memmingens. Und vermutlich sind Charlotte und Ludwig Piller sogar Deutschlands am längsten verheiratetes Paar.
Seit 18 Jahren wohnen die beiden in einem siebenstöckigen Hochhaus in Memmingen. „Es ist einfach bequemer mit dem Fahrstuhl“, sagt Frau Piller. Schweren Herzens hätten sie ihr Einfamilienhaus verlassen, in dem sie mehr als 40 Jahre lebten. Doch auch die Wohnung im dritten Stock steckt voller Erinnerungen. Ludwig Piller hat für die fünf Enkel zudem sein Leben zu Papier gebracht – mehrere hundert Seiten dick ist das Werk geworden.