Was vom Boom übrig bleibt

  02 Auqust 2016    Gelesen: 353
Was vom Boom übrig bleibt
Der Brexit wird Großbritannien doch nicht so hart treffen wie befürchtet? Von wegen. Denn nur für die wenigsten bedeutet der wirtschaftliche Aufschwung auch Wohlstand.
Großbritanniens neuer Schatzkanzler Philip Hammond strotzte vor Optimismus, als er kürzlich verkündete: "Die Grundlagen der britischen Wirtschaft sind stark." Das Land trete aus "einer Position wirtschaftlicher Stärke" in die Verhandlungen mit der EU ein.

Die Zahlen, die er präsentierte, klangen tatsächlich ermutigend: Die Wirtschaft ist offiziellen Angaben zufolge zwischen April und Juni um 0,6 Prozent gewachsen, stärker, als in den drei Monaten zuvor. Joe Grice, Chefökonom des Nationalen Statistikamts, schlussfolgerte, die Unsicherheiten vor dem Referendum hätten "einen begrenzten Effekt" auf die Wirtschaft gehabt.

Die Beschäftigungsrate stieg auf beinahe 75 Prozent, die Arbeitslosenquote fiel auf 4,9 Prozent. In den konservativen Medien schwang in der Berichterstattung über die unerwartet guten Zahlen die Überzeugung mit, dass der Brexit das Land wohl doch nicht so hart treffen werde wie befürchtet. Waren also alle diesbezüglichen Warnungen überzogen?

Es stimmt: Großbritannien hat sich vom weltweiten Finanzcrash 2008 schneller erholt als die meisten Industrienationen. Nach einem zweiten, weniger heftigen Absturz 2013 wuchs die Wirtschaft dort schneller als in jedem anderen großen Industrieland.

Doch gleichzeitig kamen die Früchte dieses Wachstums nur den wenigsten zugute. Die Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG) kommt in einem Bericht zu dem Schluss, dass Großbritannien außergewöhnlich schlecht darin ist, Wirtschaftswachstum in Wohlstand umzuwandeln.

Markenzeichen der konservativen Regierung

In ihrem Sustainable economic development assessment berücksichtigt BCG Faktoren wie Einkommensgleichheit, wirtschaftliche Stabilität, das Gesundheitssystem und die Stärke der Zivilgesellschaft und bewertet, wie sich diese auf das Wohlergehen der Menschen in 160 Ländern übersetzen. Dabei kommt Großbritannien in der Gesamtbewertung noch gut weg: Es belegt den 16. Platz. Doch die Geschwindigkeit, mit der sich das Wirtschaftswachstum auf den allgemeinen Wohlstand auswirkt, ist in Großbritannien außerordentlich langsam. Im Zeitraum 2006 bis 2014 lag das Land am unteren Ende des Rankings.

Nach den Gründen dafür muss man nicht lang suchen. Erst vor wenigen Tagen hat der Gewerkschaftsdachverband Trades Union Congress (TUC) einen Bericht veröffentlicht, demzufolge zwischen 2007 und 2015 die Reallöhne in Großbritannien um mehr als ein Zehntel gefallen sind. Innerhalb der OECD schnitt nur das von einer Finanzkrise gebeutelte Griechenland ähnlich schlecht ab. Im Durchschnitt stiegen die Reallöhne in 29 Ländern im selben Zeitraum um 6,7 Prozent. In Deutschland betrug der Anstieg 13,9 Prozent.

Eine Ursache dafür ist, dass sich die Art der Beschäftigung in Großbritannien in den vergangenen Jahren verändert hat. Einem Bericht des Forschungsinstituts NatCen zufolge gaben 35 Prozent der Befragten an, sie befänden sich in keinem sicheren Arbeitsverhältnis. 4,5 Millionen Briten sind nun Freiberufler. NatCen stellt fest: "Während die Beschäftigung in den Jahren nach der Finanzkrise 2008 nicht anteilsmäßig gefallen ist, sind viele der neu geschaffenen Jobs Teilzeit- oder freiberufliche Stellen." Freiberufler verdienten dabei in der Regel weniger und litten besonders unter Einschnitten bei den Sozialleistungen. Und diese sind das Markenzeichen der konservativen Regierung.


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