Wie gefährlich sind Kuhmilch und Rindfleisch?
Was heißt das konkret?
Dort wo kein Rindfleisch verzehrt wird, bzw. das Fleisch einer anderen Rasse wie den Yaks oder Zebus, gibt es auch weniger Dickdarmkrebserkrankungen. So haben beispielsweise Hindus, die den Konsum von Rindfleisch aus religiösen Gründen vermeiden, weltweit die niedrigste Dickdarmkrebsrate. Ähnliches gilt für die Mongolei, wo zwar viel rotes Fleisch verzehrt wird, allerdings stammt dieses Fleisch von anderen Rinderarten und –rassen, den Yaks und Zebus. Dagegen sind in Japan und Südkorea mit steigendem Verzehr von (oft rohem!) Rindfleisch die Dickdarmkrebsraten deutlich angestiegen und erreichen mittlerweile das Niveau der Hochrisikoländer Europas und Amerikas, deren Rindfleisch sie importieren.
Wie unterscheidet sich das Brustkrebsrisiko in den einzelnen Ländern?
Die Verbreitung von Brustkrebs ist in Japan und Korea vergleichsweise niedrig und korreliert mit einem geringen Milchkonsum. Indien galt lange Zeit als veganes Land, mittlerweile ist auch hier der Milchkonsum gestiegen, Pädiater empfehlen gar ein Abstillen nach dem 3. Monat und auf Kuhmilch umzusteigen. Seit etwa 15 Jahre steigt die Brustkrebsrate. Was den Verdacht nahe legt, dass Brustkrebs weniger auf den Fleischkonsum, sondern eher auf den Konsum von Milchprodukten zurückzuführen ist.
Gelten Ihre Erkenntnisse nur für die beiden genannten Krebsarten, oder gibt es auch Hinweise auf andere Erkrankungen, die durch einen hohen Konsum von Milch- und Fleischprodukte hervorgerufen werden können?
Ganz konkret sehen wir eine Verbindung zwischen einer neurodegenerativen Erkrankung, der Multiplen Sklerose, und dem Konsum von Kuhmilch und Molkereiprodukten.
Wir darf man sich als Laie die wissenschaftliche Arbeit an diesem hochkomplexen Thema vorstellen?
Unserer Forschungsgruppe gelang es, eine Reihe virusähnlicher Einzelstrang-DNAs aus Serum und Milch zu isolieren und zu analysieren. Nach Übertragung in menschliche Zellen ist diese DNA genetisch aktiv. In Läsionen von 2 Patienten mit Multipler Sklerose konnten verwandte Isolate nachgewiesen werden. Bei gesunden Probanden dagegen wurden die Viren, die wir im Blut der Rinder und in der Milch finden, bisher nicht gefunden. Das alles sind indirekte Hinweise, das heißt, wir können im Moment zwar die Isolate charakterisieren, aber wir können keine klare Aussage machen, welches dieser Isolate eine konkrete Rolle spielt. Was wir bislang sehen ist, dass einige wesentlich aktiver in menschlichen Zellen sind als andere. Alle der gefundenen Agenzien, das sei noch erwähnt, sind nicht in die menschlichen Chromosomen eingebunden, sondern sie liegen frei vor, als sogenannte Episome – trotzdem sind sie in der Lage, die Gene in den Zellen zu beeinflussen. Die Rolle der gefundenen Sequenzen bei Krebs und neurologischen Erkrankungen wird zurzeit intensiv untersucht. Für uns ist es ein hoch interessantes Thema, an dem wir seit etlichen Jahren arbeiten und das wir hartnäckig weiterverfolgen.
Wie stark schätzen Sie die Verbreitung der Agenzien in den Rinderbeständen ein?
Wir haben 130 Rinder untersucht und in sehr vielen haben wir diese virusähnlichen Moleküle gefunden. Ich würde davon ausgehen, dass diese Agenzien weit verbreitet sind, das hat sich dann auch gezeigt, als wir Joghurt untersuchten und Crème fraiche.
Ist das Infektionsrisiko bei Produkten von Bio-Rindern möglicherweise geringer?
Die Infektionen in den Rinderbeständen sind vermutlich schon seit Auerochsenzeit vorhanden und wurden permanent weitergegeben und möglicherweise sogar über die Gebärmutter intrauterin übertragen. Man muss davon ausgehen, dass sie weitest verbreitet waren und sind. Überall dort, wo sich die Ernährungsgewohnheiten stark ändern, sprich der Konsum von Rindfleisch angestiegen ist, hat sich das Dickdarm-Krebsrisiko erhöht.
Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, mit diesen Viren infiziert zu sein?
Die Wahrscheinlichkeit in Deutschland mit diesen Viren infiziert zu sein ist hoch, da wir alle seit frühester Kindheit Milchprodukte zu uns nehmen. Die Gefahr, die von diesen tierischen Viren ausgeht, ist a priori allerdings vergleichsweise gering.
Unter welchen Umständen wird aus einem Virusbefall ein Tumor?
Zwischen der Aufnahme des Virus und dem Ausbruch der Krankheit vergehen mitunter Jahrzehnte. Das ist das Heimtückische daran, weil in dieser Zeit oft keine erkennbaren Anzeichen vorhanden sind. Das Hauptrisiko für Brustkrebs könnte aus einer frühen Infektion in den ersten beiden Lebensjahren durch einen Rindermilchfaktor resultieren. Ob es letztendlich zu einer Aktivierung kommt, hängt von zusätzlichen Faktoren ab, etwa einer angeborenen Schädigung des Gens, oder schädigenden Ereignissen welche die gleichen Zellen im Laufe des Lebens treffen.
Raten Sie zu einem Verzicht von Rindfleisch und Milchprodukten?
Auf Milch und Fleisch zu verzichten, macht unter diesen Gesichtspunkten wenig Sinn, da wir davon ausgehen, dass bereits jeder infiziert ist.
Was empfehlen Sie präventiv?
Konkret sind das zwei Maßnahmen: Die erste ist, Neugeborene lange zu stillen, also über einen Zeitraum von mindestens 6 Monaten hinweg. Weil sich gezeigt hat, dass Stillen für eine Vielzahl von Erkrankungen einen Schutzeffekt hat. Das gilt übrigens auch für eine ganze Reihe von Krebserkrankungen, wie die akute lymphatische Leukämie oder Neuroblastome. Während des Stillens reift das Immunsystem der Kinder vernünftig heran und kann nach langsamem Abstillen hereinkommende Infektionen leichter neutralisieren. Die zweite Maßnahme ist, kein rohes Fleisch zu essen. Rohes, wie auch luftgetrocknetes und halbgares Rindfleisch birgt nach bisherigen Erkenntnissen mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Risiko für Infektionen. Obwohl wir nicht wirklich beurteilen können, inwiefern Braten oder Kochen von Fleisch das Risiko wirklich reduziert.
Welche konkreten Ziele verfolgen Sie mit Ihrer zukünftigen Forschung?
Final gilt es zweifelsfrei nachzuweisen, dass die identifizierten Agenzien für Darm- und Brustkrebs verantwortlich sind. Wenn ja, können wir diagnostische Tests entwickeln. Das entscheidende und wichtigste aber ist: können wir eine Immunisierung, einen Impfschutz entwickeln, der verhindert, das die Kühe infiziert werden? Eine andere Möglichkeit wäre, die Menschen direkt zu impfen, wobei mir die Impfung der Kühe der sympathischere Weg ist.
Zur Person: Professor Harald zur Hausen, der langjährige Vorstandsvorsitzende des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg entdeckte, dass humane Papillomviren Gebärmutterhalskrebs verursachen. Für seine Forschung erhielt er im Jahr 2008 den Nobelpreis für Medizin.