Saure Verführer haben Saison

  06 Auqust 2016    Gelesen: 928
Saure Verführer haben Saison
"Johannisbeer ist süße Frucht, doch süßer klingt Ribisel", dichtete einst der Wiener Burgtheaterpoet Franz Grillparzer über diese eigentlich mehr sauren Früchtchen. Nicht jeder mag sie, doch man kann eine ganze Menge mit ihnen anstellen.
Ob weiß, rot oder schwarz – jeder kennt sie, doch werden die säuerlich-herben Johannisbeeren neben den süßen Erdbeeren und Himbeeren oft links liegengelassen. Zu Unrecht, denn sie sind gesund und in der Küche fast unbegrenzt einsetzbar. Abhängig von der Sorte reifen Johannisbeeren von Juni bis August; und sie sollten wirklich vollreif sein, bevor man sie verwendet, sonst könnten sie quietschsauer sein. Die kleinen Perlen hängen wie Träubchen an den Sträuchern und lassen sich leicht pflücken. Traditionell läuten die leuchtenden Früchte der Roten Johannisbeere jedes Jahr aufs Neue den Hochsommer ein.

Vollreif haben selbst rote Johannisbeeren eine gewisse Süße.
Vollreif haben selbst rote Johannisbeeren eine gewisse Süße.
(Foto: imago/Rech)
Da die ersten Früchte meistens um den Johanni-Tag des christlichen Kalenders am 24. Juni reif sind, wurde ihnen der Name Johannisbeere gegeben. Ihr Gattungsname ist "Ribes", wobei "Ribes rubrum" für die Rote Johannisbeere, "Ribes nigrum" für die Schwarze Johannisbeere steht. In Österreich werden Johannisbeeren in Anlehnung an ihren lateinischen Namen "Ribisel" genannt. "Johannisbeer ist süße Frucht, doch süßer klingt Ribisel", setzte Österreichs Nationaldichter Franz Grillparzer den Beerchen ein literarisches Denkmal. Ich finde auch, dass Ribisel irgendwie lustiger klingt – was aber die Beeren keinen Deut süßer macht. Wer keinen eigenen Garten mit Johannisbeer-Strauch oder -Hochstamm hat, muss die Beeren kaufen; und die sind aus Transport- und Lagerungsgründen meist vor der eigentlichen Reife gepflückt und damit oft ziemlich sauer. Was die echten Fans nicht abschreckt, denn das säuerliche Aroma eignet sich hervorragend für erfrischende Süßspeisen und fruchtige Kuchen. Und schließlich gibt’s Zucker!

Die roten, weißen und schwarzen Beeren stecken voller Inhaltsstoffe. Alle Sorten enthalten viel Vitamin C, Zitronensäure, Kalium, Pektine und Gerbstoffe. Der reiche Gehalt an Pektinen hilft bei Verdauungsstörungen. Apropos Störungen: Stören Sie sich nicht an den etwas nervigen Kernchen, kauen Sie sie einfach. Denn auch die sind gesund, weil ihr Kernöl Gamma-Linolensäure enthält, die stark entzündungshemmend wirkt und die Hautbarriere stärkt. Vor allem sensible Hautzustände wie Neurodermitis profitieren. Da sollte man allerdings nicht auf die paar verschluckten Kerne hoffen, sondern sich für kaltgepresstes Johannisbeersamenöl von Naturkosmetikherstellern entscheiden. Punkten die weißen und roten Beerchen mit mehr Geschmack, tut es die "Schwarze Johanna" mit geballter Ladung an Vitaminen: Sie hat mit über drei Mal so viel Vitamin C (bis zu 189 mg/100g) im Vergleich zu ihren helleren Geschwistern eindeutig die Nase vorn. Auch beim Vitamin A, gut für Haut und Augen, können die weißen und roten Johannisbeeren nicht mit den schwarzen mithalten, denn die bringen es auf die vierfache Menge. Dafür können sie pur nicht ganz so überzeugen, sie sind den meisten Menschen einfach zu herb, haben allerdings auch nicht ganz so viel Säure wie die roten Beeren. Roh können alle Johannisbeeren gegessen werden, es kommt auf die Geschmäcker an. Unverarbeitet sind sie nämlich am gesündesten, denn beispielsweise Vitamin C mag keine Hitze.

Am bekanntesten und am meisten verbreitet sind die roten und schwarzen Vertreter. Weiße Johannisbeeren werden bisher selten angebaut. Eigentlich schade, denn sie sind mild und sehr lecker und werden auch Champagnerbeeren genannt, weil der Geschmack so ähnlich ist. Sie haben zwar einen geringeren Gehalt an wertvollen Inhaltsstoffen, sind dafür aber deutlich süßer und weicher als die roten und schwarzen Geschwister und ideal für die Weinherstellung. Auch die roten Johannisbeeren enthalten nicht so viel Vitamin A, B und C wie die schwarzen, ebenso ist der Mineralstoffgehalt geringer. Da sie aber häufiger roh gegessen werden als die schwarzen, gleicht sich das wieder aus. Rote Johannisbeeren gelten als nervenberuhigend, sie sollen die Laune heben und das Immunsystem stärken. Diabetiker profitieren von ihrem geringen Gehalt an Kohlenhydraten, sie haben nur 40 kcal/100 g, schwarze 57 kcal/100 g. Die frische Säure von roten Johannisbeeren macht gerade diese Variante zur idealen Frucht für heiße Sommermonate. Sie schmecken ebenso im Fruchtquark wie auf dem Kuchen, zu Eis, als Gelee, Konfitüre oder Saft. Ihren großen Auftritt haben sie allerdings in der traditionellen Roten Grütze, und ebenso unverzichtbar als Zutat sind sie in der Cumberland-Sauce, die meist zu Wildgerichten gereicht wird.

Die Königin der Beeren ist schwarz

Schwarze Johannisbeeren zählen zu den wertvollsten und gesündesten Obstsorten, werden aber wegen ihres herb-bitteren Geschmacks eher verarbeitet als roh gegessen. Neben ihrem beachtenswerten Vitamin C-Gehalt (mehr als Zitronen) enthalten sie noch viel Mineralstoffe und Spurenelemente, zum Beispiel Mangan. Das ist gut für das Herz und die Konzentration. Saft aus schwarzen Johannisbeeren hilft zudem bei Heiserkeit. Zu Berühmtheit gelangten schwarze Johannisbeeren durch den Likör "Crème des Cassis", 1841 in Frankreich erfunden. Später verhalf wiederum der Likör einem Cocktail zu Weltruhm: Ein Schluck Crème des Cassis macht aus Champagner im Handumdrehen einen "Kir Royal". Erfinder des alkoholischen Getränks war übrigens ein Pfarrer aus Dijon, einem der wichtigsten Anbaugebiete von schwarzen Johannisbeeren (Cassis). Félix Kir (1876-1968), Kanonikus und Bürgermeister, liebte es, seinen Weißwein mit einem Schuss "Cassis" zu veredeln und das Getränk auch seinen Gästen im Rathaus zu kredenzen. Ihm zu Ehren wurde die Mischung "Kir" genannt. Der Mix mit Champagner soll auf eine feierliche Begegnung mit Konrad Adenauer zurückgehen; Kir hielt wohl Weißwein für den deutschen Kanzler zu schlicht, Schampus musste her, natürlich mit einem Schuss "Cassis" - et voilá: Der "Kir Royal" war geboren. Die Bekanntheit des Getränks blieb nicht auf Frankreich beschränkt, in den 1980er Jahren wurde Kir Royal trendy. Nach ihm wurde auch die Fernsehserie "Kir Royal" (1986) benannt, die in der Münchner Schickeria spielt. Ganz bescheiden und ganz ohne Alkohol schmeckt auch ein Schuss Saft aus schwarzen Johannisbeeren in eisgekühltem Mineralwasser sehr gut, vor allem bei sommerlicher Hitze. Selbst die Parfümindustrie setzt auf Schwarze Johannisbeere: Blütenknospenextrakte sorgen bei diversen Düften für eine fruchtige Note.

Die ursprüngliche Heimat der Johannisbeeren liegt in Nord-, Mittel- und Osteuropa sowie in Teilen Asiens, und ihre Historie ist vergleichsweise jung: In der Antike waren Johannisbeeren nämlich unbekannt. Erst im Mittelalter wurden die an Johannis den Täufer erinnernden Sträucher in Klostergärten kultiviert. Vor allem die Schwarze Johannisbeere war bei Heilkundigen begehrt, sie setzten sie gegen Gicht, Rheuma und Skorbut sowie gegen Insektenstiche ein. Hildegard von Bingen gehörte zu den ersten, die die Vorzüge von Johannisbeeren beschrieb; sie nannte den Strauch auch "Gichtbaum". 1712 empfahl der französische Abt Bailly de Montaran schwarze Johannisbeeren gegen Fieber, Pocken, Würmer sowie alle möglichen Bisse und Stiche und bezeichnete die Früchte als Garanten für ein langes und gesundes Leben. Darüber schrieb er das Buch "Les probriétés admirables du cassis" (Die bewundernswerten Eigenschaften der Schwarzen Johannisbeere).

Während die roten und schwarzen Johannisbeeren eigenen botanischen Arten zugeordnet werden können, sind die weißen über Züchtungen aus den roten entstanden. Heute sind etwa 50 Sorten in Europa bekannt. Durch Kreuzungen von der Schwarzen Johannisbeere mit der Stachelbeere ist die aromatische und deutlich größere Jostabeere entstanden. Johannisbeeren sind nur wenige Tage haltbar; am besten können noch die roten wegen ihrer relativ dicken Schale aufbewahrt werden. Sie lassen sich auch prima einfrieren, das kommt bei weißen und schwarzen nicht so gut an. Die Beeren lassen sich recht einfach per Hand oder mit einer Gabel von den Rispen streifen. Sollten Sie Gelee oder Konfitüre einkochen, dann können Sie sich diese Arbeit sparen: Kochen Sie Rispen und Stielchen einfach mit; sie enthalten reichlich Gerbsäure und geben viel Aroma. Für einen Kuchen allerdings sind die Beeren ohne Grünzeug zu empfehlen.


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