Technisch hat der IS zehn Jahre Vorsprung

  06 Auqust 2016    Gelesen: 394
Technisch hat der IS zehn Jahre Vorsprung
Die Medienmaschine des IS läuft effizient und professionell. Die Hoheit im Netz ist ihm nur schwer streitig zu machen. Doch es gibt Hoffnung, den Terroristen den ideologischen Nährboden zu nehmen.
In der aktuellen Ausgabe des dschihadistischen Magazins „Dabiq“ listen die Unterstützer der Terrororganisation „Islamischer Staat“ sechs Gründe auf, warum sie Christen hassen. Jeden Monat erscheint das Magazin im Internet, das neueste ist erst vor ein paar Tagen online gestellt worden.

Auf dem Titel stürzt ein IS-Kämpfer ein Kreuz eines Kirchturms, um seine Schulter hängt die schwarz-weiße Fahne des IS, der Titel des Magazins lautet „Break the Cross“, zerstört das Kreuz. Das Vorwort haben die Macher mit Fotos von den Anschlägen aus Orlando, Nizza, Würzburg und Ansbach bebildert, es richtet sich in der Ansprache auch direkt an die verhassten „Kreuzzügler“, wie die Gegner des IS dort bezeichnet werden. Der Kampf der Terroristen werde nie aufhören, bis jeder den Islam als einzig wahre Religion akzeptiert habe.

Dechiffrieren wird im Arabischen beinahe unmöglich

Das Magazin erscheint in englischer Sprache, jeder kann es sich nach einer einfachen Google-Suche herunterladen. Und doch ist es schwer zu dechiffrieren, denn es tauchen viele arabische Begriffe darin auf. Nico Prucha forscht seit Jahren zu Dschihadismus. Er sagt, dass der IS eine ganz klare Theologie verfolgt und religiöse Prinzipien definiert, die auch in Magazinen wie Dabiq weitergetragen werden. Zwar ist der Zugang leicht, doch um die Inhalte zu verstehen, muss man die Grundideologie des sunnitischen Extremismus, dessen Schlüsselbegriffe und Symbole dechiffrieren.

Das ist schon in den englischen Publikationen schwierig, im Arabischen wird es beinahe unmöglich. „Die Dschihadi-Gemeinde hat den besten Code der Welt. Die beste Firewall ist einfach Arabisch, das gibt ihnen eine gewisse Narrenfreiheit“, sagt Prucha. Die Sprachbarriere schließt viele aus, die den Boschaften des IS etwas entgegensetzen wollen. Gleichzeitig verbreiten sie sich rund um die Welt.

„Dabiq“ ist nur eines der vielen Propagandaorgane des „Islamischen Staates“. Die Propagandavideos sind professionell und modern gefilmt, wer Trainingsvideos oder Hinrichtungen sehen will, braucht nicht lange danach zu suchen. Im Irak und in Syrien werden Radiokanäle offline ausgestrahlt, doch auch in einem kanadischen Bergtal oder in der südbadischen Provinz kann jeder die Botschaften des IS über das Internet empfangen. Der IS ist medienaffin und verwendet eine Menge Expertise und Ressourcen darauf. Jemand, der außer Arabisch auch gut Deutsch und Englisch spricht, eignet sich für die Verbreitung der islamistischen Theologie besser als bloß als Kämpfer an der Front.

„Technologisch haben wir schon verloren“

Doch warum funktioniert das System? Kann man das nicht abschalten, Kanäle dichtmachen oder Gruppen infiltrieren, um der technischen Raffinesse der Terroristen etwas entgegenzusetzen? Die frustrierende Antwort lautet: Es ist zu spät. Forscher Prucha sagt: „Man muss sich das vorstellen wie ein Nervenzentrum, das rund um die Uhr Öffentlichkeitsarbeit für den IS betreibt.“ Und zwar nicht erst seit kurzem, sondern schon seit zehn Jahren. „Technologisch haben wir schon verloren.“

Nach den Anschlägen in Nizza und in der Normandie, als zwei Terroristen einen Priester töteten, vermeldete die Online-Plattform Amaq al-Ikhbariyya als Erstes, dass sich der IS zu den Anschlägen bekennt. Amaq ist so etwas wie die Nachrichtenagentur des „Islamischen Staates“. Auch über soziale Netzwerke wie Twitter oder in geschlossenen Gruppen auf Facebook organisieren sich die Sympathisanten des „Islamischen Staates“, die amerikanischen Unternehmen kommen mit dem Löschen der Accounts kaum hinterher.

Wenn Twitter-Accounts gesperrt werden oder Facebook-Gruppen, werde die Kommunikation nicht unterbrochen, weil das Kernnetzwerk immer irgendwie online sei, sagt Prucha. Selbst wenn Online-Kanäle verschwinden, sind die Autoren noch nicht ausgeschaltet. Wie ein Fischschwarm finden die IS-Sympathisanten immer wieder zusammen.

Absprache über Telegram

Den Mord an dem französischen Priester in Saint-Étienne-du-Rouvray planten die beiden Attentäter über die App Telegram, mit der verschlüsselte Nachrichten in Gruppen oder an einzelne Nutzer geschickt werden können. Der Chef des französischen Inlands-Geheimdienstes DGSI, Patrick Calvar, nannte Telegram erst kürzlich „das wichtigste von Terroristen genutzte Netzwerk“. Zugleich forderte er internationale Übereinkünfte, um mit der Verschlüsselungstechnik umgehen zu können.

Nach den Anschlägen in Paris im November letzten Jahres, bei denen 130 Menschen getötet wurden, sperrte Telegram nach eigenen Angaben knapp 80 Propaganda-Kanäle des IS. Die Verschlüsselungstechnik nützt den Terroristen natürlich, doch will man eine Technologie verbieten, nur weil sie die Falschen auch benutzen? Hinzu kommt: Kommunikation zwischen Dschihadisten verschwindet nicht, wenn verschlüsselte Nachrichten-Apps wie Telegram nicht mehr existieren: Die Attentäter von Paris kommunizierten ganz unverschlüsselt über SMS.

Dennoch kann man etwas gegen den Terrorismus tun. Prucha arbeitet am „Vienna Observatory of Applied Research on Terrorism and Extremism“, kurz Vortex, daran, ein Alternativnarrativ zur islamistischen Interpretation des Korans zu entwickeln. Gemeinsam mit der größten muslimischen Organisation der Welt, Nahdlatul Ulama aus Indonesien, die mehr als 50 Millionen Mitglieder zählt, widerlegen Islamgelehrte die IS-Propaganda theologisch. Denn wenn den Terroristen der ideologische Nährboden weggenommen wird, sind die Chiffren und Codes nicht mehr so attraktiv für ziellose Jugendliche, die sonst vom IS angelockt werden. Und es könnte etwas schaffen, das militärische Feldzüge allein nicht vermögen: den „heiligen Krieg“ zu beenden.


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