Ein maritimer Schmetterling

  16 Auqust 2016    Gelesen: 689
Ein maritimer Schmetterling
Die Flügelschnecke Limacina helicina bewegt sich im Wasser wie ein Vogel in der Luft. Ihre faszinierenden Fähigkeiten inspiriert auch die Erbauer von Miniaturdrohnen.
Im Wasser förmlich zu fliegen vermag die Flügelschnecke mit ihrem Schneckenfuß. Dass sich diese Meeresbewohner ganz ähnlich fortbewegen wie fliegende Insekten in der Luft, haben Wissenschaftler um Bruce C. Jayne und Jeannette Yen vom Georgia Institute of Technology in Atlanta entdeckt, und zwar bei Limacina helicina, die sich wie alle Flügelschnecken als Plankton im Meer tummelt. Ihr nur wenige Millimeter großes Gehäuse - in subarktischen Gewässern manchmal größer - hat die Form eines gewöhnlichen Schneckenhauses. Aus seiner meist in Toplage gedrehten Öffnung ragen jedoch zwei seitliche Auswüchse des Schneckenfußes hervor. Was wie überdimensionale Segelohren aussieht, dient allein zum Schwimmen. Allerdings nicht zum Rudern, wie bei den meisten Tieren des Planktons üblich. Die absonderlichen Fußlappen werden als Flügel genutzt. Auf diese Weise kann die kleine Schnecke pro Sekunde das Zehnfache ihres Gehäusedurchmessers zurücklegen.

Die Forscher fingen die Flügelschnecken - wissenschaftlich noch treffender Pteropoden, also Flügelfüßer genannt - an der Küste von Oregon ein. Um alle Bewegungsabläufe dreidimensional erfassen zu können, filmten sie die Tiere im Labor mit mehreren Kameras gleichzeitig. Sichtbar wurde auch die Strömung, die Limacina helicina mit ihrem Flügelschlag hervorruft. Im Wasser schwebten nämlich winzige, mit Luft gefüllte Glasperlen, die im infraroten Licht eines Lasers aufleuchteten. Da die Schnecken wie andere Planktonorganismen nachts in höhere Wasserschichten aufsteigen, führte ihr Weg in der dunklen Versuchsarena zielstrebig nach oben.

Drei Tiere schwammen dabei geradewegs durch das Blickfeld der Kameras. Wie eine Analyse der Filmaufnahmen gezeigt hat, bewegten sie ihre Flügelspitzen nach der Art fliegender Insekten in Form einer schrägstehenden 8. Auftrieb erzeugten sie nicht nur beim Abschlag, sondern auch beim Aufschlag. Ganz im Gegensatz zu Ruderern wie den zahlreichen Ruderfußkrebsen des Planktons: Wenn Ruder wieder in die Ausgangsposition zurückgezogen werden, geht es nur darum, die Bremswirkung möglichst gering zu halten.

Vorbilder für Miniaturdrohnen
Flügelschnecken fliegen freilich in einem viel dichteren Medium als Insekten, die durch den Luftraum schwirren. Dass sie deshalb langsamer vorankommen, erlaubte den Forschern, die Bewegungsabläufe im Detail zu studieren. So beobachteten sie, dass sich im Takt der Flügelschläge auch das Schneckenhaus bewegt: Mitten im Abschlag beginnt es um fünfzig bis sechzig Grad nach vorne zu kippen, mitten im Aufschlag beginnt es sich wieder zurückzudrehen. Die Flügel werden dabei jeweils ein Stück weit in die richtige Richtung gezogen. Ähnliche, aber nicht ganz so ausgeprägte Schaukelbewegungen des Körpers lassen sich bei Schmetterlingen beobachten, deren Flug als gaukelnd beschrieben wird. Immer drauf und dran, die Richtung zu ändern, können die so herumflatternden Falter auch Verfolgern entwischen, die viel schneller sind. Diese Chance nutzen vermutlich auch die Flügelschnecken, bedroht von größeren Planktonorganismen, die rascher vorwärtskommen.

Die Fähigkeit zu unberechenbaren Kursänderungen ist aber nicht der einzige Trick, den die Meeresschnecke Limacina helicina mit fliegenden Insekten teilt. Sie beherrscht auch eine spezielle Flugtechnik, die für viele kleine Insekten typisch ist: Wenn ihre Flügel beim Aufschlag den höchsten Punkt erreicht haben, sind sie ziemlich dicht zusammengerückt, ihre Spitzen berühren sich sogar. Werden sie dann zunächst nur an ihren Vorderkanten auseinandergeklappt - ähnlich wie beim Öffnen eines Buchs -, strömt Wasser um die Kanten herum zwischen die Flügel. Beginnen sich die Schneckenflügel dann voneinander zu trennen, so werden die an den Vorderkanten entstandenen Wirbel größer. Schließlich umkreisen sie den gesamten Flügel und verleihen der Schnecke Auftrieb. Allerdings waren die beobachteten Wirbel an der Vorderkante der Schneckenflügel kleiner als nach einschlägigen Berechnungen erwartet. Für die Flügelschnecken als Bewohner des offenen Meeres dürfte es günstig sein, möglichst wenig verräterische Wellen auszusenden, die hungrige Fressfeinde anlocken könnten.Insekten und Schnecken gehen in der Evolution schon seit mehr als 500 Millionen Jahren getrennte Wege.

Dennoch haben sie in Luft und Wasser ganz ähnliche Lösungen für ähnliche Probleme entwickelt, als sich die Kinematik ihrer Flügel optimierte. Was aber versprechen sich Ingenieure davon, wenn sie eine fragile kleine Schnecke so genau unter die Lupe nehmen? Wenn Mikrodrohnen - Micro Aerial Vehicles (Mav) genannt - mit beweglichen Flügeln ausgestattet werden sollten, könnte die Flügelschnecke durchaus inspirierend sein. Sie beweist zum Beispiel, dass die bislang stets verpönten Kippbewegungen nicht zwangsläufig von Übel sind: Im Takt mit dem Flügelschlag bringen sie den Meeresschnecken aerodynamische Vorteile.


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