Wenn Blut rauschte, war das besser als Sex

  17 Auqust 2016    Gelesen: 470
Wenn Blut rauschte, war das besser als Sex
Als "Vampir von Düsseldorf" versetzte Peter Kürten das Rheinland 1929/30 mit seinen Morden in Angst und Schrecken. Der Sadist schrieb Kriminalgeschichte und ging sogar in die Popkultur ein.
Am 25. Mai 1913 beging Peter Kürten wahrscheinlich seinen ersten Mord. Der Mann, der sich mit Diebstählen und anderen Verbrechen über Wasser hielt, brach am Abend in die Wohnung eines Gastwirts in Mülheim an der Ruhr ein. Wertgegenstände fand er nicht, wohl aber die schlafende Tochter Christine. Kurzerhand schnitt Kürten der Neunjährigen die Kehle durch und verschwand unbemerkt. Am Tag danach mischte er sich unter die Gäste der Kneipe und lauschte über Stunden den Debatten und Theorien über den Tathergang. Die Lust am Voyeurismus wurde sein Markenzeichen.

Der Fall des Düsseldorfer Serienmörders Kürten (1883–1931) gilt als der spektakulärste Kriminalfall der Weimarer Republik und erregte weltweit Aufmerksamkeit. Neun Morde gehen auf sein Konto, 40 Menschen trachtete er nach dem Leben, mindestens. Denn weitere Gewaltverbrechen, die er selbst zugab, konnten nicht verifiziert werden. Der berühmte Berliner Kriminalrat Ernst Gennat, der zeitweilig in die Sonderkommission der Kriminalpolizei berufen wurde, prägte in einer Studie über Kürten den Begriff des Serienmörders. Im April 1931 wurde dieser zum Tode verurteilt, im Juli wurde das Urteil mit dem Fallbeil in Köln vollstreckt. Im gleichen Jahr machte Regisseur Fritz Lang den Fall in seinem Film "M – Eine Stadt sucht einen Mörder" zum Thema.

Hermann Mühlemeyer gehörte zu den Opfern, die das Glück hatten zu überleben. Acht Jahre sei er alt gewesen, als er auf einem Feldweg im Düsseldorfer Süden plötzlich Peter Kürten gegenübergestanden habe, erinnert sich der heute 95-Jährige. Kürten, wie immer in einen vornehmen Anzug gekleidet, habe auf einem Feldweg mit einem Fahrrad vor ihm gehalten, ein langes Messer gezückt und in ganz freundlichem Tonfall gesagt: "Jetzt will ich dir mal dein Hälschen abschneiden." Er sei wie gelähmt gewesen, sagt Mühlemeyer. Sein Freund Werner habe ihn gerettet, indem er rief: "Hermann, lauf auf den Bahndamm. Dahinten kommt Bahnpolizei." Daraufhin sei Kürten auf sein Rad gesprungen und davongerast.

Die Polizei habe nach dem Vorfall noch eine Suchaktion gestartet, doch da sei Kürten längst über alle Berge gewesen. Der Angriff ereignete sich 1929, in dem Jahr, in dem Kürten zwischen Februar und November acht seiner neun Morde beging sowie eine Reihe von Überfällen und Mordversuchen, mit denen er die Bevölkerung im Rheinland in Angst und Schrecken versetzte.

Den Beinamen "Vampir von Düsseldorf" bekam Kürten, weil er das Blut mehrerer seiner Opfer getrunken haben soll. "Dafür gibt es aber keine objektiven Belege und keine entsprechenden Verletzungen", sagt der Kriminalist und Serienmordexperte Stephan Harbort. Kürten habe aber in seinen Vernehmungen gesagt: "Ich wollte das Blut rauschen hören." Allerdings habe Kürten, das sei gut belegt, im Düsseldorfer Hofgarten einen jungen Schwan aufgeschlitzt und das Blut des Tieres getrunken, sagt Hanno Parmentier, Historiker und Kürten-Experte. "Das Blut spielt bei Kürten eine enorme Rolle – es hat sexuelle Erlebnisse bei ihm ausgelöst."

Tatsächlich gehörten Frauen zu Kürtens bevorzugten Opfern. Mit mehreren bahnte er zunächst eine sexuelle Beziehung an, die dann in Blutrausch umschlug. Wurde er dabei gestört, stellte er das Würgen der Opfer als Liebesbeweis dar. Nachdem er im August 1929 mit der Hausangestellten Maria Hahn zunächst intim geworden war, erstach er sie und will auch ihr Blut getrunken haben. Anschließend begrub er die Frau. Um Zeuge ihrer Entdeckung zu werden, wies er auf Zeichnungen auf das Grab hin, die er an Zeitungen sandte.

Hanno Parmentier hat der Fall Kürten nicht mehr losgelassen, seit er die umfangreichen Akten im Landesarchiv Nordrhein-Westfalen studiert hat. Er war an den Tatorten, hat den Wegen des Serienmörders in Düsseldorf nachgespürt. "Kürten ist für mich auch ein sozialhistorisches Phänomen. In den Akten wird das Leben der kleinen Leute offengelegt – ein unglaubliches Panorama."

Dazu zählt Kürtens Kindheit: 13 Geschwister, der Vater ein gewalttätiger Alkoholiker, der Frau und Kinder schlug, sich sogar an einer Tochter verging. Der kleine Peter schaute seinem Nachbarn, einem Tierfänger, bei der Arbeit zu, etwa wenn er Welpen umbrachte. Schon als Kind verspürte Kürten seine Lust am Töten.

Kürten wurde früh zu einem Gewohnheitsverbrecher, musste immer wieder wegen diverser Straftaten hinter Gitter: Einbruch, Diebstahl, Notzucht, Gewalt, Misshandlung, Urkundenfälschung bis hin zu Brandstiftung und Fahnenflucht. Bereits mit neun Jahren, behauptete er später, will er einige Kinder und Jugendliche in Mülheim umgebracht haben, was aber mangels Beweisen nicht weiter verfolgt wurde.

Seine eigentliche Mordserie startete er 1929 in Düsseldorf. Erst drang er in Wohnungen ein und tötete, wen er dort traf, später mordete er unter freiem Himmel. Seine Taten versuchte er später als Rache an der Gesellschaft darzustellen: Er habe demonstrieren wollen, dass das Zuchthaus die Menschen nicht besser, sondern noch schlechter mache.

Tatsächlich mordete er aber aus einem anderen Grund. Psychiater wie Karl Berg stufen Kürten als Sadisten ein. Parmentier sagt: "Er hat Gefallen daran gefunden, Menschen zu quälen – absolut empathielos." Im Jahr 1929 war er quasi ständig auf der Suche nach Opfern – Frauen, Kinder, aber auch Männer –, fuhr durch die Gegend und führte seine Mordwerkzeuge, einen Dolch und eine große Schere mit dem eingeprägten Bild des ehemaligen Kaiserpaares, mit sich.

Seine gepflegte Erscheinung und sein leutseliges Auftreten sorgten dafür, dass er lange nicht in Verdacht geriet, obwohl manche Morde in seiner unmittelbaren Nachbarschaft stattfanden. Selbst die Kontaktaufnahme mit Bekannten der Opfer und sogar mit der Polizei rückte ihn nicht in den Fokus der Ermittler.

Lange tappte die Sonderkommission im Dunkeln, konnten sich die Kriminalisten den in rascher Folge Mordenden nur als "Irren" vorstellen und fahndeten in Nervenheilanstalten nach dem "Vampir". Hinzu kam, dass sich ein geistig Verwirrter zu den ersten Morden bekannte und damit die Polizei auf die falsche Spur setzte. Auch die 12.000 Hinweise aus der Bevölkerung brachten zunächst keinen Durchbruch. Richtungsweisende Hinweise blieben unerkannt.

Erst als zwei überlebende Frauen Kürten identifizierten, verließ diesen sein "satanisches Glück", wie ein Staatsanwalt es formulierte. Die Polizei observierte Kürtens Wohnung und nahm seine Frau fest. Es stellte sich heraus, dass ihr Mann sich zuvor als Mörder offenbart hatte und seine Flucht vorbereitete. Schließlich verriet die Frau den Ort des verabredeten letzten Treffens. An der Düsseldorfer Rochuskirche wurde Kürten schließlich verhaftet – und legte schnell ein umfassendes Geständnis ab.

Quelle : welt.de

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