Der hatte das Schlimmste getan, was ein Bruder seiner Familie nur antun konnte. Er war am 22. März 2016 zum Massenmörder geworden. An diesem Tag erfuhr die Welt von Najim Laachraoui, einem der Attentäter bei den Selbstmordanschlägen in Brüssel. "Ich bin betroffen und niedergeschlagen. Ich wollte nicht glauben, dass er es war, aber man kann sich seine Familie nicht aussuchen", sagte Maroud später. Sein drei Jahre älterer Bruder hatte sich am Brüsseler Flughafen Zaventem in die Luft gesprengt, 16 Menschen waren getötet und Dutzende zum Teil schwer verletzt worden.
Seitdem hatte der schmächtige Maroud, der bei den Spielen in der Klasse bis 54 Kilogramm startet, nicht nur den Druck, beim größten Sportfest der Welt bestehen zu müssen, er trägt auch die Last, die Familienehre zu retten. Auf dem Bild, das von einer der Überwachungskameras aufgenommen wurde, und das später um die Welt gehen sollte, ist der Terrorist Najim Laachraoui gemeinsam mit zwei weiteren Männern zu sehen, er schiebt einen Kofferwagen. Darauf liegt ein Gepäckstück. Die Bombe.
Mourad Laachraoui erzählt, er hatte seit 2013 nichts mehr von seinem Bruder gehört. "Er hat meine Eltern angerufen. Ich habe danach versucht, ihn per Facebook zu finden, hatte aber keinen Erfolg." Da hatte sich Najim, der in Brüssel an einer katholischen Schule sein Abitur ablegte und Elektrotechnik studierte, schon radikalisiert, war nach Syrien gefahren und wurde dort von IS-Dschihadisten zum Selbstmordattentäter ausgebildet. Als "freundlich" und "intelligent" beschreibt ihn Maroud, ein ganz normaler Muslim in einer Familie praktizierender Muslime.
Die nächste schwere Demütigung für ihn
Für Maroud änderte sich das Leben nach dem 22. März radikal. Die Medien überhäuften ihn mit Anfragen, überall musste er sich erklären, seinen Eltern legte man sogar nahe, den Namen zu wechseln – und dann ging plötzlich auch der belgische Taekwondo-Verband auf Distanz. Maroud ist in Rio nur noch als Ersatzmann dabei. Er soll möglichst im olympischen Dorf bleiben, sich dort fit halten, um notfalls einzuspringen, falls sich einer der Teamkollegen vor dem Wettbewerb, der am Mittwoch in Rio beginnt, verletzt. Maroud dient den Kollegen zwar als Sparringspartner, in die offizielle Übungshalle soll er aber auch nicht. Es ist die nächste, schwere Demütigung für ihn.
Dabei hatte er sich doch sportlich qualifiziert, überzeugte pünktlich zum Olympiajahr mit guten Leistungen, die Formkurve zeigte nach oben. Er siegte bei den Fujairah Open, bei den Luxor Open und er war im Mai Europameister geworden. Auf der Weltrangliste wurde er auf dem dritten Rang geführt.
Nun bleibt ihm nichts anderes übrig, als seine "bösen Gefühle" aus sich herauszuprügeln "wie ein Wilder", wie sein Trainer Leonardo Gambluch dem "Spiegel" erzählte. "Du bist nicht der mit der Bombe", hat der argentinische Coach seinem Schützling immer wieder eingeimpft.
Doch wie soll ein 21-jähriger Athlet mit so einer enormen Belastung, mit so einer scheußlichen Tat umgehen? Er hätte die Schande, die der Bruder über seine Familie brachte, gerne mit einem erfolgreichen Auftritt in Rio wenigstens ein bisschen gelindert. Hätte Belgien, seinem Heimatland, und dem Rest der Welt zeigen können, dass muslimische Zuwanderer – seine Eltern waren aus Marokko nach Belgien eingewandert – eine Bereicherung für die Gesellschaft sind und zu ihrem Erfolg beitragen. Doch sein Verband lässt ihn nicht.
Quelle : welt.de
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