Das “Büroversehen“ quält die Bundesregierung

  18 Auqust 2016    Gelesen: 398
Das “Büroversehen“ quält die Bundesregierung
62 Minuten müssen sich Regierungs- und Ministeriensprecher in der Regierungspressekonferenz kritischen Fragen zur Nähe der Türkei zum Terror stellen. Sie reden in dieser Zeit viel – und sagen doch sehr wenig.
Bundesinnenministerium und Auswärtiges Amt sehen "keinen weiteren Aufarbeitungsbedarf". Das machen sie gleich zu Beginn der Regierungspressekonferenz deutlich. Es gebe zwischen den Häusern keine nachhaltigen Irritationen. "Da wo Menschen arbeiten, passieren Fehler", sagt Johannes Dimroth vom Innenministerium. Die Vertreter der Bundesregierung müssen trotzdem mehr als eine Stunde über das sprechen, was das Dimroths Haus als "Büroversehen" bezeichnet. Denn es handelt sich dabei um einen ziemlich bemerkenswerten Vorgang.

Die Fraktion der Linken im Bundestag hatte eine kleine Anfrage mit brisantem Inhalt gestellt. Das Innenministerium antwortete – allerdings ohne sich mit dem Auswärtigen Amt abzustimmen. Die Antwort drang an die Öffentlichkeit, obwohl sie als "Verschlusssache" eingestuft wurde. Und als wäre das nicht bemerkenswert genug: In der brisanten Anfrage befeuert das Innenministerium die Vermutung, dass die Türkei, islamistische Gruppen im Nahen Osten unterstützt – die als Terrororganisation eingestufte palästinensische Hamas inklusive. Ausgerechnet die Türkei, der Staat, mit dem die Bundesrepublik einen umstrittenen Pakt über die Versorgung von Flüchtlingen geschlossen hat - obwohl die diplomatischen Beziehungen parallel zur Menschenrechtslage in dem Land zusehends schlechter werden.

Wie kam es zu dem "Büroversehen"? Ist die Türkei Teil des Problems oder Teil der Lösung? Teilt die gesamte Bundesregierung die Einschätzung des Innenministeriums?

Für die Vertreter der Bundesregierung ist es sichtlich eine Qual, sich diesen Fragen zu stellen. Denn sie können oder wollen sie nicht zufriedenstellend beantworten.

Kooperationen mit der Hamas sind kein Geheimnis

Von Regierungssprecher Steffen Seibert und der Vertreterin des Auswärtigen Amtes Sawsan Chebli heißt es zur Frage, ob die gesamte Bundesregierung die Einschätzung des Innenministeriums teilt, lediglich: Die dazu in der Presse getroffenen Aussagen machten sie sich in dieser Pauschalität nicht zu eigen. Welche Aussagen genau gemeint sind, bleibt ein Rätsel. Noch unspezifischer wird diese Aussage dadurch, dass Chebli hinzufügt, dass sie damit die Berichterstattung in Gänze meine, was auch immer das bedeuten soll. Zu den Inhalten der geleakten Einschätzung wiederum äußert sich niemand – weil diese, obwohl längst in der Öffentlichkeit, ja als vertraulich eingestuft seien.

Ähnlich schwammig fällt die Antworten auf die Frage aus, inwiefern die Türkei ein Teil des Problems namens Islamistischer Terror sei. Seibert wiederholt mehrmals, dass das Land selbst Opfer von Anschlägen geworden sei und am Rande der gefährlichsten Region der Welt liege. "Aus unserer Sicht ist die Türkei ein Partner im Kampf gegen den Islamischen Staat (IS)". Nichts Konkretes sagt er dagegen zur Kooperation Ankaras mit der radikalislamischen Hamas, obwohl diese wahrlich kein Geheimnis ist.

Der Chef der Organisation, Khaled Maschal, hatte 2014 einen denkwürdigen Auftritt - im zentralanatolischen Konya auf einem Kongress der türkische Regierungspartei AKP. Während aus dem Publikum "Nieder mit Israel"-Rufe ertönten, schwor Maschal die Menge auf den gemeinsamen "Weg zum Sieg" ein. Und es ist nicht der einzige gemeinsame Auftritt dieser Art. Seibert sagt lediglich, dass man die Hamas schon lange kritisch beäugt habe.

Der Fehler eines Mitarbeiters?

Am meisten ist aus den Vertretern der Bundesregierung noch bei der Frage nach den Gründen des "Büroversehens" herauszubekommen. Der Sprecher des Innenministeriums Dimroth skizziert im Detail den sogenannten "Hierarchiekamm": Anfragen aus dem Parlament gehen an das Bundeskanzleramt, das leitet es an ein federführendes Ministerium weiter. Das wiederum bindet bei Bedarf andere Ministerien ein, wenn ihm bei bestimmten Fragen die Expertise fehlt. Bei alledem gibt es eine lange Kette an Abstimmungen, die vom Sachbearbeiter bis hin zum parlamentarischen Staatssekretär reicht.

Zum "Büroversehen" kam es nun, so Dimroth, weil der zuständige Sachbearbeiter fälschlicherweise angab, dass das Auswärtige Amt einbezogen wurde.

Bei diesen Erklärungen muss Dimroth mehrmals wiederholen, dass es in seinem Haus für die Bewertung der Türkei als "Aktionsplattform für islamistische Gruppen im Nahen und Mittleren Osten" eigentlich keine Expertise gab und Informationen des Bundesnachrichtendienstes (BND) weitgehend per Copy-and-Paste übernommen wurde. Entsprechend konnte er auch nicht erklären, was in der pikanten Einschätzung mit "Aktionsplattform" eigentlich gemeint war.

Auf die Frage eines Journalisten, wie es sein könnte, dass der parlamentarische Staatssekretär trotz der weithin bekannten Brisanz des Themas am Ende trotzdem seine Unterschrift unter das Papier setzte, antwortet der Sprecher: "Wie Sie das bewerten, ist letzten Endes Ihnen überlassen."

"Weiteres brauche ich hier nicht darzulegen"

Unklar bleibt auch, inwiefern das Kanzleramt Informationen über die Inhalte der Einschätzung hatte. Regierungssprecher Seibert gerät einige Sekunden ins Stocken, als er gefragt wird, ob es angesichts mangelnder Expertise im Innenministerium nicht das Kanzleramt gewesen sein müsste, dass sich mit den BND-Informationen hätte befassen und diese an das Innenministerium weitergeleitet haben müsste. Seibert sagt lediglich, dass einer der Akteure, die bei der Bearbeitung der Anfrage der Linken beteiligt waren, das Bundeskanzleramt gewesen sei. "Weiteres zu internen Abläufen brauche ich hier nicht darzulegen."

Sehr deutlich machen der Regierungssprecher und seine Kollegin vom Auswärtigen Amt vor allem eines: Dass es, "Büroversehen" hin oder her, keinen Anlass gebe, die Zusammenarbeit mit der Türkei zu überdenken. Es gebe weder einen Grund, den "sinnvollen" Flüchtlingspakt mit der Türkei infrage zu stellen, noch die Partnerschaft im Kampf gegen den IS.

Statt für erhellende Erklärungen oder aufrichtige Kritik nutzt die Bundesregierung die Gelegenheit, Ankara dafür zu loben, dass die Türkei sich Israel zuletzt wieder angenähert hätte. Und sie verweist darauf, dass es sich bei den deutsch-türkischen Beziehungen angesichts der drei Millionen Deutschtürken im Lande um viel mehr als ein "klassisches bilaterales Verhältnis" handele.

Sprecherin Chebli vom Auswärtigen Amt fügt hinzu, dass es nach dem "Büroversehen" bereits Gespräche eines Gesandten mit der Türkei gegeben habe. Sie gehe aber auch davon aus, dass die türkische Seite auch diese Diskussion in der Regierungspressekonferenz zur Kenntnis nimmt.


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