Es gibt aber noch andere Bilder, die nur selten oder gar nicht gezeigt wurden. Von Sportlern, die sich um einen fairen Wettkampf betrogen sahen und in der Mixed Zone ihrer Wut freien Lauf ließen.
Von Funktionären, die in Staatskarossen durch Rio düsten und die so taten, als sei die olympische Welt nie schöner gewesen. Und es gab jenes Bild der 25-jährigen Vanessa, die in einer Favela auf der Straße lebt und von ihrem Armenhügel 17 Tage lang auf das Maracanã-Stadion herabschauen konnte. Dorthin, wo die Welt ein heiteres, unbeschwertes und ziemlich teures Sportfest feierte.
Für Vanessa haben Thomas Bach und die andern IOC-Granden nichts geändert. Sie haben viele Hände geschüttelt und ein paar Reden gehalten. Aber wenn das Raumschiff, mit dem das IOC in Rio eingeflogen kam, wieder weg ist, wird in den Favelas auch weiterhin jeden Tag gestorben und gelitten. Und die Probleme der Cariocas, der Bewohner Rios, werden die gleichen sein.
Olympische Stätten ein Hochsicherheitsknast
Einen Eindruck davon bekamen alle, die in Rio dabei waren. Nicht nur in den Armenvierteln, auch auf den olympischen Straßen ließen Armee, Polizei und Nationalgarde die Muskeln spielen.
Die olympischen Stätten glichen bisweilen einem Hochsicherheitsknast, überall Kontrollen, Militärjeeps und Soldaten mit Maschinenpistolen und finsterem Blick.
Selten waren Olympische Spiele so gut bewacht. Zum einen wegen der Terrorgefahr. Zum anderen, um soziale Proteste im Keim zu ersticken. Man musste schon viel Fantasie haben, um unter diesen Umständen von einem fröhlichen, einem freien Weltsportfest zu fabulieren.
Ja, Brasilien hat diese Spiele mit Ach und Krach gestemmt. Aber zu welchem Preis?
Schlechte Ausstattung
Für die Cariocas bleibt unterm Strich so gut wie nichts. Eine neue Metro, ein paar Straßen ins Nirgendwo, vor allem aber eine Menge Schulden für den Bundesstaat Rio de Janeiro und einige sehr reiche Bauunternehmer.
Nichtsdestotrotz wird das IOC auch diesen Ringezyklus wieder als Riesenerfolg feiern. Dabei war die Organisation durch das Nationale Olympische Komitee Brasiliens alles andere als optimal.
Das Wegeleitkonzept etwa. Es muss in der Hölle ausgetüftelt worden sein, so verworren, so umständlich war die Anreise zu den Olympiastätten zum Teil. Egal, wie nah man dem Ziel schon war, es gab immer noch einen Umweg.
Auch die Ausstattung der Sportstätten entsprach nicht den Erwartungen der Athleten. Im olympischen Dorf fehlte bei einigen Delegationen gar die halbe Einrichtung; die Handwerker hatten sie vorsorglich mitgenommen. Viele deutsche Sportler empfanden die Spiele von Rio als die "schlechtesten Spiele, die wir je hatten".
Turner Hambüchen nannte das Turnier "grenzwertig". Von den Standards in London 2012, aber auch von Peking war das Multimillionen-Dollar-Event jedenfalls weit entfernt.
Doch auf die infrastrukturellen Voraussetzungen im Gastgeberland haben die großen Sportverbände noch selten Rücksicht genommen. Was zählt, ist der Markt, der erschlossen werden kann.
Ärger über Russland
Einen der größten Aufreger hatte es schon vor Rio gegeben. Die IOC-Entscheidung, Russland das Startrecht zu geben, sorgte während der Wettkämpfe für entsprechenden Frust.
Doch statt Dankbarkeit demonstrierten russische Sportler, Funktionäre, aber auch Fans und Journalisten unentwegt, was sie von der Dopingdiskussion hielten: nichts.
Von russischen IOC-Mitgliedern erntete man nur Kopfschütteln, wenn es um das Dopingthema ging. "Das ist doch kein russisches Problem", sagte etwa Schamil Tarpischew.
Ob er erleichtert sei, dass Russland in Rio doch noch dabei sein durfte: "Wir waren doch nie weg." Das russische Selbstverständnis hat jedenfalls nicht gelitten.
Dass während der Wettbewerbe erneut Sportler des Dopings überführt wurden, und zwar aus anderen Nationen, nahmen russische Offizielle denn auch dankbar zum Anlass, das eigene Versagen in Sachen sauberer Sport zu relativieren.
Natürlich hat nicht nur Russland ein Dopingproblem, auch das haben die Spiele von Rio mal wieder eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Noch schlimmer ist aber der Mangel an Selbstkritik und Reformbewusstsein bei den Betroffenen. Das Signal, das von diesen Spielen ausgeht, heißt: Weiter so.
Diese weitverbreitete Ignoranz frustrierte auch die Sportler. Gerade jene, die sich in ihren Wettkämpfen russischen Konkurrenten geschlagen geben mussten.
Anti-Doping-Code umsetzen
Wenn das IOC den Anti-Doping-Kampf auch nur ansatzweise ernst nimmt, müsste es bis zu den nächsten Olympischen Spielen dafür sorgen, dass der Anti-Doping-Code endlich in allen Ländern mit zweifelhaftem Ruf umgesetzt wird. Leider gibt es davon so viele, dass die Aufgabe dem Ausmisten des Augiasstalls gleichkommt.
Hier ist vor allem die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) gefordert. Denn solange Länder wie das autokratisch regierte Aserbaidschan ihren Sportlern horrende Prämien für einen Olympiasieg zahlen, wird sich Doping immer lohnen.
Aserbaidschan schüttet 510.000 Dollar für eine Goldmedaille aus, Georgien gar 700.000 Dollar. Zum Vergleich: Deutsche Sieger bekommen 20.000 Euro, die Briten erhalten gar keine Prämie.
Warum sollten sie? Schließlich geht es bei Olympia doch ums sportliche Kräftemessen. Oder etwa nicht?
Für 2020 hat das IOC eine neue Agenda angekündigt. Man will in Zukunft nachhaltige, ökologisch faire Spiele. In Rio war davon noch nicht viel zu sehen. Aber wer verlangt schon Moral, wenn die größten Konzerne der Welt im Spiel sind?
Agenda der Nachhaltigkeit
Überhaupt, die Sponsoren. Wer sich in diesen 17 Tagen lediglich in den olympischen Stätten aufgehalten hat, der wird sich nicht nur mit einem durchdesignten Essenskonzept, sondern auch mit massiven Gewichtsproblemen herumgeschlagen haben.
Nach dem Motto: `Super Size Me` wurden die Olympiateilnehmer vor allem mit Produkten des Coca-Cola-Konzerns gefüttert. Selbst die Flasche Wasser gab es nur ohne Deckel zu kaufen. Nachfüllen verboten.
Für 2020 haben die Olympiaplaner nun eine Agenda der Nachhaltigkeit angekündigt. Man darf gespannt sein, ob die IOC-Funktionäre in Japan mit dem Elektroauto vorfahren.
In Brasilien präsentierten die Olympiamacher der Welt potemkinsche Dörfer. Rund um die olympischen Sportstätten war alles aufgeräumt. Die Stadt wurde für die Spiele kurzerhand funktionstüchtig gemacht.
Am krassesten zeigte sich diese aufgepropfte Planwirtschaft im Stadtteil Barra da Tijuca. Weit weg vom Zentrum war dort der olympische Park angesiedelt. Das ganze Viertel versprühte den aseptischen Charme jener Märklin-Welt, die Horst Seehofer bei sich im Keller aufgebaut hat.
Wer sich während der Spiele nur hier aufgehalten hat, der konnte zwar in die Köpfe der IOC-Herren schauen. In die Seele der Brasilianer aber nicht.
Quelle : welt.de
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