Zulieferer gegen Volkswagen: Die Machtprobe

  23 Auqust 2016    Gelesen: 786
Zulieferer gegen Volkswagen: Die Machtprobe
Mit harten Bandagen tragen VW und der Zulieferer Prevent ihren Streit aus. Offiziell geht es um Millionen von Euro - und in Wahrheit noch um viel mehr.
Im VW-Stammwerk stehen die Bänder still. Kein Golf rollt vom Band, Tausende Mitarbeiter sind im Zwangsurlaub. Nicht weit von der Produktionsstätte entfernt sitzen in Wolfsburg dem Vernehmen nach diejenigen zusammen, die für diese Situation verantwortlich sind. Volkswagen und das Zulieferer-Konglomerat Prevent suchen nach einem Ausweg auf dem Konflikt, in dem es für beide Seiten um viel geht - und dessen Ausgang ungewiss ist. Es ist ein Machtkampf in einer Branche, deren Firmen durch ein enges Netz von Abhängigkeiten verbunden sind.

Auf der einen Seite steht der Autokonzern Volkswagen, der für seine Produktion dringend auf Teile angewiesen ist, mehr als die Hälfte eines Autos kommt heute von Zulieferern. Auf der anderen Seite sitzt einer dieser Lieferanten, die Firma Prevent-Gruppe; ein verschachteltes Firmenkonstrukt, deren Töchter Sitzbezüge, Fensterscheiben und auch Getriebeteile herstellen.

VW und Prevent sind seit Jahrzehnten geschäftlich miteinander verbunden. Gründer Nijaz Hastor baute einst für VW Käfer und Golfs, nach dem Jugoslawien-Krieg machte er sich selbstständig. Lange Zeit lief die Zusammenarbeit zumindest nach außen hin reibungslos.

Erst Zoff in Brasilien, nun in Deutschland

Der aktuelle Konflikt hat aber eine Vorgeschichte auf der anderen Seite der Welt. Auch in Brasilien hat Prevent Tochterfirmen, die dort an Volkswagen liefern. Seit ein paar Monaten versorgt die Prevent-Tochter Keiper die VW-Fabriken nicht mehr zuverlässig mit Autositzen - deshalb hat Volkswagen nach eigenen Angaben in diesem Jahr schon rund 100.000 Fahrzeuge weniger gebaut. Auch die Prevent-Firma Farmaq soll ihre Zulieferungen in Brasilien gestoppt haben - sie liefert Gussteile. Und es gibt weitere verblüffende Parallelen zum Konflikt in Deutschland.

Anfang 2015 hatte die Prevent-Gruppe über ihre Beteiligungsgesellschaft Eastern Horizon das Südamerikageschäft des Sitzeherstellers Keiper übernommen - kurz danach begannen die Probleme mit VW. Das Muster wiederholt sich jetzt in Deutschland: Vor einem halben Jahr kaufte Eastern Horizon den Sitzbezughersteller Car Trim und die Firma ES Automobilguss. Mit beiden Unternehmen unterhält VW bereits seit Jahrzehnten nach eigenen Angaben eine "hervorragende Partnerschaft" - bis jetzt.

Vordergründig geht es bei dem nun offen ausgetragenen Streit um einen Entwicklungsauftrag von Volkswagen an Car Trim für neue Autositze im Volumen von rund 500 Millionen Euro. VW und Porsche kündigten den Vertrag kurz vor Ablauf der Frist - Car Trim verlangt nun eine Entschädigung zwischen 45 und 58 Millionen Euro für bereits getätigte Investitionen.

Produktionsstillstand kostet 100 Millionen

Weil Volkswagen sich weigert zu zahlen, hat Car Trim seine Lieferungen gestoppt - und einen Teil seiner Forderungen an ES Automobilguss abgetreten, deren Teile VW dringend für die Produktion des Golf braucht.

Ein cleverer Schachzug - denn so verstärkt Prevent den Druck auf VW: ES Automobilguss ist der einzige Zulieferer für diese Bauteile, kurzfristig hat der Autobauer keine Alternative für Beschaffung des Getriebes. Und so ruhen die Bänder, 28.000 Beschäftigte in sechs Werken sind betroffen. Analysten der Bank UBS gehen davon aus, dass VW dadurch in jeder Woche, in der die Produktion ruht, rund 100 Millionen Euro verliert.

Warum nimmt der Autobauer solche immensen Kosten in Kauf - obwohl der Streitwert doch vergleichsweise niedrig ist?

Der Streit zwischen Prevent und Volkswagen ist auch ein Stellvertreterkrieg der Autobranche. Zulieferer und Autobauer können nicht ohne einander - doch die Macht ist ungleich verteilt. "Die Hersteller bestimmen die Spielregeln", sagt Autoexperte Stefan Bratzel von der Fachhochschule Bergisch Gladbach. Das Verhältnis zwischen den vermeintlichen Partnern ist angespannt. Immer wieder beklagen Zulieferer, dass sie den Herstellern ausgeliefert seien.

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"Die Art und Weise, wie VW mit Zulieferern umgeht, ist in keiner Weise akzeptabel und kann jeden kleineren Betrieb in den Ruin treiben", sagt auch Alexander Gerstung, Mitglied der Geschäftsleitung bei ES Guss. Die beiden Prevent-Firmen teilen schriftlich mit, dass sie sich zu dem Vorgehen gezwungen sehen, "um unsere eigenen Mitarbeiter in Niedersachsen und Sachsen zu schützen und letztlich den Fortbestand des Unternehmens zu sichern".

Erpressung oder letzte Chance?

Autoexperte Bratzel vergleicht das Vorgehen von Prevent im Streit mit VW mit einer Erpressung. Er geht jedoch nicht davon aus, dass die Gruppe die Situation aus Kalkül hat eskalieren lassen. "Der Streit hat eine Eigendynamik entwickelt und sich hochgeschaukelt", sagt der Autoexperte. "Bei der Art und Weise, wie dieser Streit ausgetragen wird, wurden Grenzen überschritten."

Die Verhandlungen sind auch deshalb so schwierig, weil ein Einlenken für beide Seiten folgenschwer wäre. Prevent geht mit dem Lieferstopp ein hohes Risiko ein: Andere Autohersteller werden sich künftig überlegen, ob sie mit einer Firma zusammenarbeiten, die im Streitfall die Produktion lahmlegt. "Wenn VW Schadensersatz für den Produktionsausfall einklagt, kann es für das Unternehmen ums Überleben gehen", sagt Bratzel. Auch andere Zulieferer leiden unter dem Lieferstopp: Stehen bei VW die Bänder still, bleiben sie auf ihren Bauteilen sitzen.

Doch auch für VW wäre ein Einlenken in diesem Streit fatal. Setzt sich Prevent durch, wäre die Stellung der Zulieferer gestärkt - andere Firmen könnten bei Streitigkeiten ein ähnliches Vorgehen wählen.

Es gibt deshalb einige Zulieferer, die das harte Vorgehen der Prevent-Gruppe gegen Volkswagen insgeheim befürworten. In der Branche befürchtet man, dass der Streit zwischen VW und Prevent nicht der letzte sein wird. Der größte Autobauer Europas ist von der Abgasaffäre getroffen - und muss weiter sparen. Das könnten künftig auch andere Zulieferer zu spüren bekommen.

Quelle : spiegel.de

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