MARCEL FRATZSCHER, PRÄSIDENT DIW:
„Die Wahrscheinlichkeit einer weiteren Lockerung der Geldpolitik der EZB ist deutlich gestiegen. Die Abschwächung der Wirtschaft und vor allem der Inflation in der Euro-Zone versetzen die EZB in die schwierige Lage, über weitere Optionen nachdenken zu müssen. Ich erwarte, dass die EZB noch im Dezember eine Verlängerung des Anleihen-Kaufprogramms über März 2017 hinaus bekanntgeben wird. Vor allem halte ich eine Ausweitung der Ankäufe von Unternehmensanleihen für immer wahrscheinlicher. Ich erwarte zudem, dass die EZB früher oder später auch wieder griechische Staatsanleihen als Teil des Anleihenkaufprogramm erwerben wird.“
SHILEN SHAH, INVESTEC WEALTH & INVESTEC:
„Trotz des Marktgetöses durch das Brexit-Votum geht die EZB davon aus, dass der Einfluss auf das Bruttoinlandsprodukt in der Euro-Zone wahrscheinlich nur moderat negativ sein wird. Auf jegliche Ausweitungen des EZB-Anleihenkaufprogramms gab es nur Andeutungen. Denn Draghi signalisierte, dass es derzeit keinen Extra-Stimulus geben werde. Doch da die Anleihen knapp sind, die die Kriterien des Kaufprogramms erfüllen, könnte dies die Zentralbank zum Handeln bewegen, bevor das Programm wie geplant im März 2017 endet.“
HOLGER SANDTE, NORDEA BANK:
„Dass die EZB heute nicht geldpolitisch nachgelegt hat, war keine Überraschung. Mario Draghi hat die Tür für eine weitere Lockerung offen gelassen, ohne aber ganz konkrete Hinweise darauf zu geben. Ich rechne damit, dass die Anleihekäufe noch einmal verlängert werden. Der EZB-Einlagensatz wird allenfalls noch einmal leicht gesenkt und dann wohl lange Zeit negativ bleiben.“
ULRIKE KASTENS, SAL. OPPENHEIM:
„Die EZB sieht bei der Konjunktur eher Abwärtsrisiken. Gleichzeitig kündigt sie eine Neubewertung der Geldpolitik an. Dies kann bereits auf der nächsten Sitzung der Fall sein, aber spätestens Ende des Jahres wird sie unserer Meinung nach eine Verlängerung des Ankaufprogramms beschließen. EZB will weiter expansiv bleiben.“
ULRICH WORTBERG, HELABA:
„Die EZB hat die hohen Erwartungen des Marktes nicht erfüllen können. Allerdings hebt Präsident Draghi auf der Pressekonferenz die Handlungsbereitschaft der Zentralbank hervor. Die EZB werde die Entwicklungen genau beobachten und – falls erforderlich – alle Instrumente innerhalb ihres Mandats nutzen, um Unsicherheiten einzudämmen und die Ziele zu erreichen. Die wirtschaftliche Erholung setze sich fort, allerdings gebe es weiterhin Abwärtsrisiken für das Wirtschaftswachstum. Die Einsetzung des angesprochenen Ausschusses, der Optionen für eine reibungslose Umsetzung des QE-Programms prüfen soll, könnte als Hinweis auf bevorstehende Änderungen des Regelwerks verstanden werden.“
ALEXANDER KRÜGER, CHEFÖKONOM BANKHAUS LAMPE:
„Die EZB hat heute nicht weiter nachgeladen. Verglichen mit ihrer Ratssitzung im Juli bleibt geldpolitisch alles unverändert. Die vom Markt erhoffte Verlängerung des Wertpapier-Kaufprogramms über März 2017 hinaus und die Anpassung einiger seiner Stellschrauben sind damit ausgeblieben. Die EZB signalisierte aber Handlungsbereitschaft, die sie wegen der niedrig bleibenden Inflationsrate aus unserer Sicht spätestens im Dezember in die Tat umsetzen wird. Wir erwarten eine Leitzinssenkung und volumenmäßig unveränderte Wertpapierkäufe bis Ende 2017.“
OTMAR LANG, CHEFVOLKSWIRT TARGOBANK:
„Die Europäische Zentralbank verschärft ihr Quantitative-Easing-Programm vorerst nicht. Doch das ist wahrscheinlich nur eine Atempause im geldpolitischen Harakiri – die Türen für weitere monetäre Lockerungen bleiben sperrangelweit geöffnet. Europas oberste Notenbank steht eigentlich vor der geldpolitischen Kapitulation. Doch das kann sie sich nicht leisten. Auch wenn ihre Medizin nicht wirkt, muss die EZB immer wieder die Dosis erhöhen, um nicht völlig an Glaubwürdigkeit zu verlieren. Nur der leiseste Verdacht, dass Mario Draghi von seinen Maßnahmen selbst nicht mehr überzeugt ist, würde die Marktzweifel anfachen und Spekulanten Tür und Tor öffnen. Die EZB ist Gefangene ihrer eigenen Politik.“
Die beiden amerikanischen Großbanken Citigroup und JPMorgan warnen vor den schädlichen Konsequenzen des Anleihen-Kaufprogramms der Europäischen Zentralbank. Im Rahmen des seit März 2015 laufenden Programms wurden bisher Anleihen der Euro-Länder und Regionen, sowie Schuldtitel von staatlichen und suprastaatlichen Institutionen im Volumen von über einer Billion Euro erworben. Die Interventionen der EZB sowie anderer Zentralbanken haben dazu geführt, dass die Renditen auf den betroffenen Anleihemärkten stark gesunken sind.
Im Zentrum der Kritik steht die Diagnose, dass Banken, Versicherungen und Pensionsfonds aufgrund des tiefen Renditeniveaus die Einlagen ihrer Kunden kaum noch gewinnbringend anlegen können. Die Anleihemärkte gehörten traditionell zu den wichtigsten Märkten, auf welchen Investoren ihre Gelder angelegt haben. Die Umschichtung von Kapital auf die weit weniger durch die Zentralbanken beeinflussten Aktienmärkte haben dort zudem die Gefahr von Blasenbildungen erhöht.
„Wir erwarten, dass sich die Bewertungen deutscher und japanischer Banken in einer anhaltenden Umwelt der Anleihekäufe weiter annähern werden. Der langfristige Effekt des Kaufprogramms resultiert in Gewinndruck für europäische Banken, ähnlich, wie wir das in Japan gesehen haben“, sagte ein von den Financial Times zitierter Analyst von JPMorgan. Europas Banken lägen hinter ihren japanischen Konkurrenten zurück, weil sie noch nicht jene Kosten-Einsparungen durchgeführt hätten, welche die Japaner in der Vergangenheit getätigt hätten.
Die Citigroup hingegen erwartet, dass eine Ausweitung des Kaufprogramms keinen nennenswerten Effekt auf die Entwicklung der Realwirtschaft haben werde. Schuld daran seien die vergleichsweise hohen Aktienkurse vieler Unternehmen, welche Banken zu einer Anhebung der Risikoprämien für Aktien dränge und welche wiederum die Kreditbedingungen verschärfen. „Investitionen in Unternehmen werden durch eine Finanzierungshürde behindert, weil die Kreditkosten für Firmen aufgrund der extrem hohen Aktienkurse erhöht bleiben“, wird ein Analyst der Citigroup vom Bloomberg zitiert. „Obwohl Firmen in der Regel keine Aktien ausgeben müssen, um Kredite zu finanzieren – und vielmehr auf die Ausgabe von Anleihen angewiesen sind – ist die Risikoprämie für Aktien ein wichtiger Faktor, der die Kreditvergabe beeinflusst.Je höher die Kosten für die Risikovorsorge bei Aktien, desto höher sind auch die gesamten Kosten der Finanzierung.“ Die Großbank geht deshalb davon aus, dass die Effekte neuer Anleihekäufe immer weiter abnehmen werden.
Quelle:deutsche-wirtschafts-nachrichten.
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