Nach dem Brexit grassiert der Hass

  14 September 2016    Gelesen: 808
Nach dem Brexit grassiert der Hass
In Großbritannien steigt die Zahl rassistischer Straftaten seit dem Brexit sprunghaft an - vor allem polnische Zuwanderer werden Opfer. Doch selbst ein erster Todesfall ist innenpolitisch kein Thema. Viele Polen fühlen sich allein gelassen.
In Großbritannien steigt die Zahl rassistischer Straftaten seit dem Brexit sprunghaft an - vor allem polnische Zuwanderer werden Opfer. Doch selbst ein erster Todesfall ist innenpolitisch kein Thema. Viele Polen fühlen sich allein gelassen.

Rund 853.000 Polen leben offiziell in Großbritannien, viele von ihnen schon seit Jahren - nicht nur, weil Großbritannien 2004, nach dem EU-Beitritt Polens, bewusst auf Schutzklauseln für den heimischen Arbeitsmarkt verzichtete. Die Polen versprachen sich vom Leben auf der Insel auch bessere Jobs, mehr Geld und eine höhere Lebensqualität. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit machte es möglich. Häufig arbeiten sie noch immer in geringfügigen Jobs - manch ein Unternehmer sagt, es seien genau solche Jobs, die die Briten nicht machen wollten. Gestört hat das zumindest oberflächlich lange Zeit niemanden. Doch dann kam der Brexit.

Arkadiusz Jozwik musste sterben, "weil er Polnisch gesprochen hat". Das zumindest soll die Polizei dem Bruder des Toten erklärt haben - auch wenn derzeit niemand offiziell von einem "Hassverbrechen" sprechen will. Denn die Konsequenz wäre schmerzhaft. Gerade für Vertreter des einstigen "Leave"-Lagers, die sich spätestens dann fragen müssen, ob ihre beispiellose mediale Kampagne gegen vermeintliche polnische Sozialschmarotzer und Billiglöhner im Vorfeld des Referendums einen fatalen Beitrag zum Tod Jozwiks geleistet hat. Jozwik - 40 Jahre alt, Fabrikarbeiter aus Harlow und polnischer Einwanderer - starb vor zwei Wochen, nachdem er von einer Gruppe Junger Männer krankenhausreif geprügelt worden war.

"Viele Polen überlegen, wegzugehen"

Sechs Tatverdächtige sitzen derzeit in Untersuchungshaft - alle sind unter 20 Jahre alt. Und obwohl der Fall in Großbritannien Bestürzung auslöst, kommt es keine Woche später - wieder in Harlow - zu neuen Übergriffen. Zwei junge Polen geraten am frühen Sonntagmorgen vor einem Pub ins Visier von fünf Männern. Einem ihrer Opfer brechen sie die Nase, das andere trägt eine Platzwunde am Kopf davon. Der Sprecher der Polizei in Essex erklärt wenig später, auch dieser Vorfall werde als "potenzielles Hassverbrechen" eingestuft. Eine Verbindung zum Tod von Jozwik sei aber nicht erkennbar. Die polnische Community in Harlow sieht das anders.

"Nach den beiden Angriffen überlegen viele Polen, aus der Stadt wegzugehen", erklärt die örtliche Integrationsbeauftragte, Mimoza Matoshi, bei einem öffentlichen Forum der Polizei von Essex. Seit dem Brexit habe die Zahl rassistischer Attacken dramatisch zugenommen, so die gebürtige Albanerin. Nach Angaben der polnischen Botschaft gab es in den vergangenen Monaten allein auf polnische Staatsbürger mindestens 27 fremdenfeindlich motivierte Übergriffe - zehn im Norden, 17 im Süden und in den Midlands. "Wir sind dankbar für das entschlossene Handeln der Polizei", hieß es in artigem Ton nach dem jüngsten Übergriff auf einen 28-jährigen Polen in Leeds. Er war auf offener Straße verprügelt worden, von 20 Jugendlichen.

Eine politische Debatte gibt es kaum

Der Generalkonsul in Manchester, Lukasz Lutostanski, baut auf das Versprechen britischer Behörden, "zusätzliche Polizeikräfte in das Gebiet rund um den Tatort zu schicken." Beruhigen kann das gerade in Harlow kaum noch jemanden. Denn die jüngste Gewalt ist nur die Spitze des Eisbergs. Zählt man Beleidigungen dazu, stieg die Zahl fremdenfeindlicher Vorfälle allein in den beiden Wochen vor und nach dem Brexit um 49 Prozent. Viele fühlen sich nicht mehr willkommen - und das aus gutem Grund. "Freunden von mir wurde verboten, während der Arbeit Polnisch zu sprechen", erzählt Mira Gustmajdzimski. Gleiches gelte auch für Kinder polnischer Zuwanderer in den Schulen.

Eine politische Debatte über solche Verbote gibt es kaum. Dass ausgerechnet Großbritanniens Außenminister Boris Johnson, einer der glühendsten Verfechter des Brexit, nach dem Tod von Jozwik erklärte, in der britischen Gesellschaft gebe es "keinen Platz für Fremdenhass", dürfte für die von Diskriminierung Betroffenen als purer Hohn erscheinen. Immerhin ist es noch nicht sehr lange her, dass er auch folgenden Satz sagte: "London ist ein fantastischer Jobmotor - leider gehen viele dieser Jobs an Menschen, die ihre Wurzeln nicht in diesem Land haben."

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