So bleiben zum Finale in noch einmal vier Wochen nunmehr Reinhard Kaiser-Mühleckers „Fremde Seele, dunkler Wald“, Bodo Kirchhoffs „Widerfahrnis“, André Kubiczeks „Skizze eines Sommers“, Thomas Melles „Die Welt im Rücken“, Eva Schmidts „Ein langes Jahr“ und Philipp Winklers „Hool“.
Aus der Leichtigkeit eine Stärke gemacht
Dass Winklers Debütroman (erschienen im Aufbau Verlag) ins Finale einzieht, ist die schönste Überraschung. Der 1986 geborene Autor hat das konsequent subjektiv gehaltene Porträt eines jungen Hooligans höchst trickreich konstruiert, was unter der buchstäblichen Wucht des Geschehens zunächst nicht auffällt. Doch wie Winkler die Vergangenheit seines Protagonisten und dessen kleiner Freundes- und Schlägerclique rekonstruiert, das ist beeindruckend – und stilistisch so etwas wie das Gegenstück zu Kaiser-Mühleckers geradezu klassisch formuliertem Dorfroman (S. Fischer), der sich aber fernab aller gängigen Klischees bewegt. Der erst dreiunddreißigjährige Kritikerliebling hat nun erstmals die Chance, auch das ganz große Publikum zu erreichen.
Bei André Kubiczek ist es umgekehrt. Der 1969 geborene Autor hatte es bislang bei den Kritikern schwerer, weil man seine meist autobiographisch grundierten Romane über das Leben in der späten DDR als zu leichte Kost abtat. Mit „Skizze eines Sommers“ (Rowohlt Berlin), einer Jugendschilderung aus den Parks im grenznahen Potsdam der achtziger Jahre, hat er just aus der Leichtigkeit eine Stärke gemacht.
Ein natürlicher Favorit
Die verbliebenen drei Bücher der Shortlist sind jene, über deren Berücksichtigung man nicht literarisch, aber formal streiten kann. Der Deutsche Buchpreis wird für den besten deutschsprachigen Roman verliehen. Eva Schmidts „Ein langes Jahr“ (Jung und Jung) ist aber eher Erzählungskranz, eine Sammlung phänomenologisch exakter Nachbarschaftsbeobachtungen der 1952 geborenen Österreicherin (die seit mehr als zwanzig Jahren nichts mehr veröffentlicht hatte), obwohl dieser geschickt durch gemeinsame Protagonisten verbundene Reigen als Roman ausgewiesen ist. Doch Verlagskennzeichnung allein reicht als Kriterium nicht aus, sonst hätte Thomas Melles Buch „Die Welt im Rücken“ (Rowohlt Berlin), das einfach ganz auf eine Genrebezeichnung verzichtet, nicht berücksichtigt werden dürfen. Dass es sich um einen Erfahrungsbericht über das reale Leben des 1975 geborenen Melle im Zeichen einer Depression handelt, ist ebenso offensichtlich wie dessen sprachliche Macht und Beschreibungsgenauigkeit. Damit, dass sie Letzteres wichtiger nahm als Ersteres, hat die Jury Mut bewiesen, weicht aber auch die Kriterien des Preises auf. Bei David Wagners thematisch ähnlich gelagertem „Leben“ war das vor drei Jahren noch anders.
Und schließlich hat die Jury dadurch Geschmack bewiesen, dass sie das eleganteste Buch dieses Herbstes für die Shortlist nominiert hat, obwohl es als Novelle deklariert ist, aber da hatte es auch schon in früheren Jahrgängen Ausnahmen gegeben. Bodo Kirchhoffs „Widerfahrnis“ (Frankfurter Verlagsanstalt) erzählt in funkelnder Prosa von einem ehemaligen Verleger, der sich für vier Tage mit einer auch schon älteren Frau, die er zufällig kennengelernt hat, auf eine Reise durch Italien begibt. Was unspektakulär klingt, ist ein Meisterstück psychologischen und auch politischen Erzählens, was dieses Buch des Altmeisters (Jahrgang 1948) zum natürlichen Favoriten auf den diesjährigen Buchpreis macht. Wobei Melles Buch scharfe Konkurrenz darstellt.
Diese entsetzliche Lücke
Was angesichts des verbliebenen Sextetts auffällt, ist der Wegfall von vier der fünf auf der Longlist stehenden Titel des Verlags S. Fischer. Also keine entsprechende Ballung auf der Shortlist, wie es 2012 dem Suhrkamp Verlag geglückt war, der von ebenfalls fünf Titel in der Vorauswahl noch drei ins Finale brachte, aber dann nicht gewann. Kiepenheuer & Witsch, auf der Longlist noch mit drei Büchern vertreten, ist gleich ganz aus dem Spiel, während ausgerechnet der kleine Rowohlt Berlin Verlag als einziger mit zwei Finalisten aufwarten kann. Da allerdings auch er wie S. Fischer zur Holtzbrinck-Gruppe gehört, hat dieser Konzern die halbe Shortlist bestückt, doch mit Kirchhoffs und Eva Schmidts Büchern sind auch zwei Titel von ganz echten Kleinverlagen vertreten, für Jung und Jung gilt das sogar zum wiederholten Mal. Literarische Platzhirsche wie Suhrkamp, Hanser, Rowohlt, Luchterhand, Dumont oder Piper dürfen diesen Buchpreisjahrgang dagegen als Debakel abbuchen.
Und es ist nur eine Frau unter den Finalisten. Schon auf der Longlist waren es nur sechs von zwanzig, aber durch die nochmalige Ausdünnung hat die Jury bewiesen, dass Proporzdenken keine so große Rolle spielt, wie ihr immer unterstellt wird. Dafür hatte sie nicht die Courage, mit Joachim Meyerhoffs „Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke“ einen Publikumsrenner zu nominieren, der es gleichwohl literarisch verdient gehabt hätte. Aber dieser Roman stammte sogar noch aus dem Vorjahr, und auch das hätte Diskussionen wecken können, angesichts der Bezeichnung „Deutscher Buchpreis 2016“. Von den im Frühling publizierten Titeln sind immerhin noch Eva Schmidts „Ein langes Jahr“ und Kubiczeks „Skizze eines Sommers“ dabei. Der am 17. Oktober im Kaisersaal des Frankfurter Römers zu verkündende Gewinner aber dürfte aus dem Herbst stammen.
Tags: