Die Ärzte, die im Krankenhaus vergeblich versuchten, Ashley Parhams Leben zu retten, dachten zunächst, sie habe Schusswunden erlitten. Doch in den vermeintlichen Einschusswunden entdeckten sie keine Projektile sondern stark verformte Metallteile. Die Polizei ordnete sie später eindeutig dem Gasgenerator zu, in dem durch eine Explosion in Sekundenbruchteilen das Gas für den Airbag erzeugt wird.
Honda und der Hersteller des Airbags, der japanische Autozulieferer Takata, übernahmen öffentlich nie Verantwortung für Parhams Tod. Sie einigten sich außergerichtlich mit der Familie auf eine Entschädigung in unbekannter Höhe und vermieden so einen Prozess. Doch innerhalb weniger Monate nach dem Unfall erweiterte Honda einen Rückruf von zunächst 4000 Autos wegen möglicherweise fehlerhafter Airbags auf 440.000 und im Jahr darauf auf mehr als 800.000 Wagen - doch auch das war nur der Anfang.
Der Firmenchef hielt Airbags für zu gefährlich
Bis heute sind mindestens elf Todesfälle und mehr als 100 Unfälle mit Verletzten durch Takata-Airbags bekannt geworden. Sie zwangen die Autoindustrie zur größten Rückrufaktion ihrer Geschichte: Allein in den USA wurden mehr als 60 Millionen Autos wegen der Takata-Airbags in die Werkstätten gerufen oder ihr Rückruf für die kommenden Jahre schon angeordnet. Einigen Berichten zufolge könnten es bis zu 280 Millionen Autos weltweit werden.
Das Textil-Unternehmen Takata war in den 1960er Jahren zunächst in die Produktion von Sicherheitsgurten eingestiegen und später in die Herstellung von Airbags. Berichten zufolge zögerte der damalige Firmenchef Juichiro Takada lange, denn die Produktion von Airbags, die die Verarbeitung von Sprengstoff beinhaltet, schien ihm zu fern von Kerngeschäft seines Familienunternehmens zu liegen und zu gefährlich. "Wenn etwas mit den Airbags geschieht, geht Takata pleite", soll Takada dem Leiter des Airbag-Programms von Honda anvertraut haben.
Doch Ende der 80er Jahre übernahm Takata unter anderem Airbag-Hersteller in Deutschland und den USA und stieg so schnell zu einem der weltweit führenden Unternehmen auf – auch Dank einer Innovation, die die Takata-Airbags bis zu einem Drittel günstiger machte als die Konkurrenzprodukte: Die Japaner führten zur Gasgeneration den Sprengstoff Ammoniumnitrat ein. Eine Chemikalie, die unter anderem zur Düngemittelherstellung eingesetzt wird und als besonders empfindlich gilt.
Keine Aufzeichnung über Qualitätskontrolle
In den kommenden Jahren, während Airbags auf den meisten Automärkten zur gesetzlich vorgeschriebenen Sicherheitsausstattung wurden, stieg die Nachfrage rasant, und Takata sicherte sich rund ein Fünftel des Weltmarktes. Trotz erster Berichte über Unfälle mit den Airbags konnten die Sicherheitsexperten sowohl Takatas als auch der Autohersteller nach Aussagen der Unternehmen zunächst keine Ursachen für mögliche Fehlfunktionen erkennen.
Erst Jahre und hunderte Millionen möglicherweise lebensgefährlichen eingebaute Airbags später stellte sich heraus, dass das Ammoniumnitrat in den Gasgeneratoren nicht ausreichend gegen Feuchtigkeit und Temperaturunterschiede geschützt war, weswegen es zu den unkontrollierten Explosionen gekommen sein soll. Dazu kam, dass Takata, während die Produktion in zahlreichen Werken massiv hochgefahren wurde, Probleme mit der Qualitätskontrolle hatte. So war einem Reuters-Bericht zufolge in einer Fabrik ein Gerät zur automatischen Prüfung von Metallplättchen für die Gasgeneratoren zeitweise abgeschaltet. Da jedoch keine Aufzeichnungen darüber geführt wurden, wann das der Fall war, mussten hunderttausende Airbags zusätzlich zurückgerufen werden.
Trotz der inzwischen mindestens 11 Todesfälle durch Takata-Airbags halten viele Autohersteller bis heute an dem Zulieferer fest, sowohl beim Austausch der defekten Teile im Rahmen der Rückrufaktionen als auch bei Neuwagen. Denn Ersatz ist bis heute auf dem Weltmarkt in ausreichender Stückzahl kurzfristig nicht zu beschaffen. Die US-Sicherheitsbehörde NHTSA musste kürzlich die Frist für einen Rückruf von BMW verlängern, da sich der Hersteller nicht in der Lage sah, innerhalb von einigen Monaten entsprechende Ersatzteile für mehrere hunderttausend seiner Autos in den USA zu beschaffen. Teilweise, so wird berichtet, verarbeiten Hersteller noch heute in Neuwagen Takata-Gasgeneratoren, von denen bereits bekannt ist, dass sie in Kürze wieder zurückgerufen werden müssen - weil ausreichend Ersatz nicht auf dem Markt zu bekommen ist.
Sorge um deutsches Werk
Deswegen produziert und liefert Takata bis heute Airbags - mit einer verbesserten Version der Ammoniumnitrat-Gasgeneratoren. Nicht zuletzt, um ausreichend Ersatz für die Rückrufaktionen liefern zu können, wurde die Produktion sogar hochgefahren. 2015 erzielte Takata einen Umsatzrekord mit seinen Airbags. Zwar musste die Familie Takada die operative Leitung abgeben, und das Unternehmen schreib mehrere hundert Millionen Dollar aufgrund der Airbag-Probleme ab. Doch die Kosten für den Mega-Rückruf spiegelt das nicht im Geringsten wider. Bekannt ist, dass verschiedene deutsche Hersteller für Teilrückrufe von einigen hunderttausend Autos jeweils mehrere hundert Millionen Euro Rückstellungen machten. Die Gesamtkosten für mindestens 100 Millionen zurückgerufene Wagen dürften also im zwei- bis dreistelligen Milliardenbereich liegen.
Einerseits hat Familienpatriach Juichiro recht behalten mit seiner Warnung vor den Gefahren der Airbagproduktion. Doch pleite, wie er voraussagte, ist das Unternehmen noch nicht. Denn die Autokonzerne zeigen keinerlei Interesse, Takata mit Schadensersatzforderungen in die Insolvenz zu schicken. Unter Führung von Honda, einem der größten Abnehmer von Takata-Airbags, arbeiten die Autobauer sogar aktiv an der Rettung des Zulieferers mit. Trotz der Bemühungen der Konzerne, die einen Käufer oder Investor für das angeschlagene Unternehmen wollten, rückt die Insolvenz von Takata nun allerdings näher. Der Finanzagentur Bloomberg zufolge haben mehrere Kaufinteressenten signalisiert, dass eine Insolvenz im Rahmen einer umfassenden Restrukturierung unumgänglich sei.
Laut einem Bericht des "Manager Magazins" wollen die deutschen Hersteller in diesem Fall vor allem die Produktion im Gasgeneratoren-Werk im sächsischen Freiberg sichern. Mit den Airbags aus den deutschen Werken – im Gegensatz zu denen aus den Takata-Fabriken in den USA und Mexiko – habe es schließlich nie Probleme gegeben.
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