Etwa 30 Jahre hat Critchlow demnach für die Investmentbank Merrill Lynch gearbeitet - die Hälfte davon als Leiter der Kommunikationsabteilung. Seine neu gewonnene Freizeit nutzte er zunächst um seine Frau, die zehn Jahre jüngere Autorin Patricia McCormick, auf ihren Reisen um die Welt zu begleiten. Schließlich wagte er sogar selbst den Versuch ein Buch zu schreiben.
Es blieb jedoch bei einem unveröffentlichten Manuskript - Critchlow war von seinem eigenen Werk nicht so überzeugt. Schließlich wurde der Ruhestand ihm dann doch zu langweilig - seine Kinder hatten nur wenig Zeit für ihn, die Frau war arbeiten und tagelang landete keine einzige E-Mail mehr im Postfach. Critchlow machte dafür zunächst den Internetanschluss verantwortlich, doch er lag falsch: Die Verbindung funktionierte, ihm hatte nur einfach niemand geschrieben.
Ein Angebot, das Critchlow hätte ablehnen können
Einsam und gelangweilt verbrachte der frühere Business-Mann seine Tage in seinem Haus in Brooklyn oder sammelte zur Abwechslung ein wenig Müll in der Nachbarschaft auf. Doch dann kam die Rettung: Er traf sich mit einer Bekannten, die er schon seit einigen Jahren kannte und die sich hin oder wieder ein paar berufliche Ratschläge bei ihm einholte. Doch dieses Mal wollte Sally Susman keinen Ratschlag.
Sie wollte Critchlow ein Angebot machen. Nervös trug sie ihr Anliegen vor, heißt es bei "Fast Company." Susman arbeitet in einer leitenden Position im Bereich Kommunikation für den Pharmakonzern Pfizer. Nun war sie auf der Suche nach einem Praktikanten für den Sommer - ein Student kam allerdings nicht infrage. Sie wollte einen Rentner für die Stelle. Am liebsten ihren Bekannten Critchlow.
Die Idee zu dem Senioren-Praktikum kam ihr, nachdem sie den Film "The Intern - Man lernt nie aus" mit Robert de Niro gesehen hatte. Darin spielt der Oscar-Preisträger einen Senioren, der als Praktikant in einem Modeunternehmen anheuert. Susman wollte das Experiment nun in der Realität nachahmen. Sie überzeugte ihre Vorgesetzten und zu ihrer Erleichterung überzeugte sie auch Critchlow.
Ein Praktikant wie alle anderen, nur älter
Gemeinsam mit einer Gruppe anderer Praktikanten trat Critchlow seinen neuen Job im Juni an. "Ich war nervös wie ein Kind, " sagte der Rentner im Gespräch mit "Fast Company".
Die anderen Praktikanten - alle noch im Studium oder gerade damit fertig - waren zunächst skeptisch, doch schnell wurde "Critch", wie er sich der Gruppe vorstellte, Ansprechpartner für alle Lebenslagen. Er gab Berufstipps, Beziehungsratschläge und ließ sich erklären, wie man einen "Man Bun" (Männerdutt) trägt.
Nach kurzer Zeit war der Rentner fester Bestandteil der Gruppe. Auch wenn er Mitarbeitern aus anderen Abteilungen immer wieder von seinen Praktikanten-Status überzeugen musst. Ja, Praktikant. Wie die anderen Praktikanten. Richtig, etwas älter. Viel älter. Seine jungen Kollegen störte das nicht. Sie aßen gemeinsam Pizza, arbeiteten an denselben Projekten und überraschten "Critch" zum Geburtstag mit einer Party.
Der letzte Tag - ein neuer Anfang
Im August musste Critchlow seinen Schreibtisch bei Pfizer wieder räumen. Das Praktikum war vorbei - seine Erfahrungen teilt er nun mit anderen Senioren. Eine häufige Frage, wenn er seine Präsentation hält ist: "Wo kann ich mich auf die Stelle bewerben?"
Die Antwort darauf ist allerdings nicht so leicht. Bisher hat man bei Pfizer noch nicht entschieden, ob es auch im kommenden Jahr ein Senioren-Praktikum geben wird. Aber die Chancen stehen nicht schlecht. Die Zahl der Rentner, die eigentlich noch nicht bereit für den Ruhestand sind, nimmt zu. Sowohl Critchlow als auch seine Bekannte Suzmann hoffen, dass sie mit ihrem Experiment andere inspirieren.
In Rente will Critchlow jetzt aber erst Recht nicht mehr gehen. Stattdessen will er sich nun noch einmal an sein Buchprojekt wagen. Und er möchte wieder arbeiten, als Berater für Kommunikationsfragen. "Ich weiß jetzt viel besser wohin ich will. Und ich bin bereit loszulegen," sagte er "Fast Company".
Quelle : spiegel.de
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