Bautzens OB: „Frustration schlägt in Gewalt um“

  22 September 2016    Gelesen: 881
Bautzens OB: „Frustration schlägt in Gewalt um“
Mit den Prügeleien zwischen minderjährigen Flüchtlingen und rechten Krawallmachern hat sich die Kleinstadt Bautzen weit über Deutschlands Grenzen berühmt gemacht. Wie Oberbürgermeister Alexander Ahrens meint, ist Bautzen kein „rechtes Nest“: die Ursachen liegen tiefer, ihre Natur ist anders. Ein Interview mit Sputnik-Korrespondentin Ilona Pfeffer.
Herr Ahrens, seit Monaten herrscht in Bautzen eine angespannte Stimmung zwischen Flüchtlingen und Anwohnern. Erst brannte eine Unterkunft nieder, dann kam es zu Demonstrationen und verbalen und körperlichen Auseinandersetzungen. Worauf führen Sie es zurück, dass gerade in einer Kleinstadt wie Bautzen so viel Konfliktpotential herrscht?

Ich glaube, diese Wahrnehmung entspricht nicht den Tatsachen. Erstens sind die Ermittlungen im Fall des Brandes der geplanten Flüchtlingsunterkunft bis heute noch nicht abgeschlossen und die Indizien weisen in eine andere Richtung, sprich, eine nicht politisch motivierte Tat. Auch ich persönlich halte ein politisches Motiv für unwahrscheinlich.

Nichtsdestotrotz hatte auch damals schon die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung einiges an Gegnerschaft hier in der Stadt. Bis zu den Ereignissen hier am Kornmarkt hatte sich das Thema aber sehr beruhigt. Das kann ich sicher sagen, weil ich in ständigem Kontakt mit den Anwohnern stehe, einmal die Woche Bürgersprechstunden habe und auch sonst oft angesprochen werde. In den letzten Monaten gab es keinerlei Beschwerden hinsichtlich der Flüchtlinge.

Die Ausnahme bildet die kleine Gruppe von minderjährigen Flüchtlingen, die sich seit April am Kornmarkt aufgehalten hat. Die Vorgeschichte war aber ganz niederschwellig: Da ging es um zu laute Musik, Beleidigungen, auch mal Pöbeleien und ein Körperverletzungsdelikt. Insgesamt sind seit April 70 Meldungen bei der Polizei eingegangen. Was dann passiert ist, habe ich tatsächlich nicht erwartet. Offensichtlich ist das Thema in rechten Netzwerken aufgegriffen worden und man hat kurzfristig verabredet, den jungen Leuten am Kornmarkt einzuheizen. Die Jugendlichen haben sich von den 80 Krawalltouristen wohl provozieren lassen und mit Flaschen- und Steinwürfen geantwortet. Handelte es sich bei den „Krawalltouristen“ um Anwohner oder um extra angereiste Personen? Mir wurde bestätigt, dass es sich teilweise um Anwohner handelte. Diverse Augenzeugen haben aber auch bestätigt, dass unter den 80 Krawallbrüdern auch einige waren, die nach Abschluss der Krawalle in ihre Autos gestiegen sind, die nicht mit Bautzener Kennzeichen versehen waren. Schätzungen zufolge waren 20-35 Personen von außerhalb. War Ihnen bewusst, dass die Anwohner offenbar ein Problem mit den Flüchtlingen haben?

Das war mir bewusst. Ende August habe ich zum ersten Mal eine qualifizierte Beschwerde einer Anwohnerin bekommen, die sich schriftlich an mich gewandt und beschrieben hat, was ihr im einzelnen wiederfahren ist. So hatte ich das erste Mal das Thema bei mir auf dem Tisch und habe mich sehr darüber gewundert, weil ich ja vorher nur niederschwellige Vorfälle wahrgenommen hatte. Anfang September war ich auch ein paar Mal selber auf dem Platz, wobei das immer sehr friedlich wirkte.

Wir haben uns trotzdem zusammengesetzt und überlegt, wie wir die Unruhen in den Griff kriegen. Es gab die Überlegung, die vier-fünf Anführer der Gruppe von Jugendlichen, die sich regelmäßig daneben benimmt, in eine Einrichtung außerhalb der Stadt zu verbringen. Andere Überlegungen waren, Streetworker einzusetzen und gemeinsame Streifen von Polizei und Gemeindevollzugsdienst zu organisieren. Diese ganzen Maßnahmen konnten wir aber noch gar nicht umsetzen, denn wenige Tage später gab es den Vorfall am Kornmarkt. In solchen Fällen werden schnell mal Begriffe wie „Integrationsproblem“ oder „Problem mit rechter Gewalt“ genannt. Würden Sie diese Begriffe auf Bautzen anwenden und wo sehen Sie die Ursachen für die Auseinandersetzungen? Die Ursachen sind vielschichtig, das ist mir am Tag nach den Krawallen deutlich geworden. Ich war auf dem Kornmarkt und habe mit den Anwohnern geredet. Die Stimmung war sehr aufgeheizt. Es kam heraus, dass eine ganze Reihe von Leuten frustriert darüber ist, dass früher die Wünsche, die an die Politik herangetragen wurden, mit dem Hinweis auf knappe Kassen abgelehnt worden sind. Viele Menschen denken: Wenn jetzt aber eine Million Flüchtlinge unkontrolliert ins Land strömt, dann ist auf einmal Geld da. Das ist ein Argument, das man nicht so einfach entkräften kann.

Es ist eine Reihe von Frustrationserfahrungen hinter der Aggression gegen die Flüchtlinge, die gar nicht direkt mit diesem Problem zu tun haben. In den letzten Jahrzehnten wurden die Leute im Osten in ihren Erwartungen oftmals enttäuscht. Die wirtschaftliche Entwicklung ist in fast ganz Sachsen positiv verlaufen, da sind die Erwartungen übertroffen worden. Was die demokratische Entwicklung angeht, habe ich das Gefühl, dass viele Leute schnellere und nachhaltigere Veränderungen erwartet haben. Aus dieser Gemengelage heraus und persönlichen Enttäuschungen entsteht eine Frustration, die in manchen Fällen in Gewalt umschlägt.

In Bautzen gibt es unter dem Motto „Bautzen bleibt bunt“ auch viele Menschen, die die Flüchtlinge willkommen heißen und sich für sie engagieren. Glauben Sie, dass dieses Engagement sich auf lange Sicht auszahlen wird? Ich hoffe sehr, dass es uns gelingt, die besonders radikalen Gegner der Flüchtlingspolitik eines Besseren zu belehren und ihnen zu zeigen, dass es dem Land gut zu Gesicht steht, Kriegsflüchtlingen zu helfen. 2015 bin ich selbst mit dem Slogan angetreten, dass es mit mir keine Politik gegen Flüchtlinge geben wird. Wenn Bautzen tatsächlich das rechte Nest wäre, als das es immer hingestellt wird, hätte ich keine Chance gehabt, bei der Oberbürgermeisterwahl zu gewinnen. Wir haben eine sehr aktive Zivilgesellschaft, zu der ich mich auch zähle, die sagt: Wir freuen uns über jeden, der sich hier integrieren und an unserer Gesellschaft mitwirken will. In der Flüchtlingsbewegung sehe ich in erster Linie immer die Chancen, auch wenn ich um die Risiken und die Schwierigkeiten, die damit verbunden sind, weiß. Um auf das aktuelle Problem zurückzukommen: Welche kurzfristigen Maßnahmen könnte man ergreifen, um es in den Griff zu kriegen? Mehr Polizei? Verbot von Demonstrationen? Neue Dialogangebote?

Demonstrationen sind in Deutschland nicht genehmigungspflichtig, man braucht sie nur anzumelden und kann sie nur ganz schwer verhindern. Man kann sie bestenfalls mit Auflagen versehen, aber auch dafür gibt es extrem hohe Hürden. Polizeiliche Maßnahmen sind allerdings bereits in Kraft und werden noch bis zum 26.09. durchgezogen. Abends ab 17 Uhr ist die Innenstadt eine sogenannte Kontrollzone. Nach sächsischem Polizeirecht kann die Polizei jeden, der in diese Zone reinkommt, kontrollieren. Wenn die Leute nicht aus Bautzen kommen, kann sie sie fragen, was sie hier machen. Diese Maßnahme hat zu einer deutlichen Beruhigung der Lage beigetragen.

Ansonsten darf man den Kommunikationsfaden nicht abreißen lassen und sicherstellen, dass Sachen, die passieren, auch erklärt werden. Damit die Leute nicht das Gefühl bekommen, vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden. Es gibt auch keine rechtliche Grundlage, die jugendlichen Flüchtlinge mit einer längeren Ausgangssperre zu belegen. Jedoch würde ich es sehr begrüßen, wenn das Jugendamt, ähnlich wie Eltern das tun würden, ihnen sagen würde: Ihr seid noch nicht 18, ihr könnt nicht bis 21 Uhr auf der Straße herumlaufen. Die sonstigen Flüchtlinge – wir sprechen hier von einem Verhältnis von 20 Jugendlichen auf 1000 Erwachsene – sind hier in keiner Weise auffällig geworden.

Quelle : spiegel.de

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