Qatars Mehrfrontenkampf

  28 September 2016    Gelesen: 807
Qatars Mehrfrontenkampf
Wirtschaftliche Stagnation, schlechter Ruf und das umstrittene Weltmeisterschaftsprojekt: Qatar befindet sich in einer tiefen Krise. Das Emirat sucht nach Kontrolle über seine vielen Aufgaben.
Dass der Staatsfonds Qatars bis zum vergangenen Jahr noch Miteigentümer von Hochtief war, hat dem Baukonzern aus Essen nichts genutzt. Von heute auf morgen stoppte die staatliche Infrastrukturbehörde Ashghal unlängst ein Großprojekt für ein neues Abwassersystem unter der Hauptstadt Doha. Der Kontrakt im dreistelligen Millionenbereich ist obsolet, wie diese Zeitung erfahren hat. So finden derzeit Verhandlungen mit der qatarischen Seite zur Kompensation statt. Die Gespräche verliefen sehr positiv, hebt Hochtief hervor, doch bleibt dem Unternehmen damit kein einziger Bauauftrag mehr in dem Emirat.

Wie Hochtief geht es auch anderen Anbietern, die ihre Geschäftsperspektiven zwangsläufig korrigieren müssen. Qatar kämpft gegen die Rohstoffbaisse, getroffen wie die anderen umliegenden Länder am Golf vom Verfall der Gas- und Ölpreise. Der Haushalt weist erstmals seit 15 Jahren ein Defizit auf, die Budgets im Scheichtum werden schon seit einiger Zeit rigide zusammengestrichen. Gigantische Bauvorhaben wie die Tunnel- und Brückenanlagen, welche Flughafen, Geschäftsviertel und neue Retortenstädte wie Lusail miteinander verbinden sollten, wurden vorerst eingestellt.

Das Wirtschaftswachstum des größten Flüssiggasexporteurs der Welt hat sich verlangsamt. Das Minus finanziert das Emirat über Anleihen. Staatliche Unternehmen entlassen Tausende ausländische Arbeitnehmer, um Kosten zu sparen. Auch Prestigeobjekte sind betroffen: In diesem Jahr hat der Nachrichtensender Al Dschazira seinen erst 2013 eröffneten Ableger in den Vereinigten Staaten wieder geschlossen und inzwischen weltweit mehr als 1000 Stellen gestrichen.

Vorsichtige Investoren

„Die Stimmung bei den deutschen Unternehmen in Qatar ist aufgrund der ökonomischen Lage gedämpft“, sagt Boris van Thiel. Der Manager gehört seit Jahren dem in Doha ansässigen deutschen Wirtschaftskreis an und war sein Vorsitzender. Die Devise heiße abwarten, aber das koste Geld. „Auf vielen Gebieten werden Projekte entweder zurückgenommen oder sogar gestoppt. Die Qatarer gehen bei Investitionen sehr vorsichtig vor und setzen verstärkt nur noch auf Konsolidierung.“ Das bestätigt auch Olaf Hoffmann, Chef der Dorsch-Gruppe. Das Unternehmen führt unter anderem die Bauaufsicht für Lusail City, eine Planstadt auf einer 38 Quadratkilometer großen Wüstenfläche. Hier läuft es weiter. „Die wirtschaftliche Situation in Qatar ist angespannt. Aber die politisch Verantwortlichen im Land gehen damit sehr professionell um. Wir wissen als Vertragspartner, woran wir sind“, sagt Hoffmann.

Der erst 36 Jahre alte Emir Tamim Bin Hamad Al Thani übernimmt die Rolle des obersten Krisenmanagers seines Landes. Er muss das Geschäftsmodell des Emirats neu sortieren, die Wirtschaft weiter diversifizieren, milliardenschwere Investitionen im In- und Ausland überdenken. Qatar hält internationale Beteiligungen an Weltmarken wie Volkswagen, Glencore, Harrods, Sainsbury oder Barclays. Noch wird die Wirtschaft aber vom Öl- und Gassektor getragen – mit einem Anteil von 52 Prozent am Bruttoinlandsprodukt. Das lastet nun auf der Volkswirtschaft. Zusätzlich tritt das kleine Scheichtum mit Milliardengaben als spendabler Wohltäter in der muslimischen Welt auf und beteiligt sich unter Führung der Saudis direkt an militärischen Operationen im Jemen.

Aber das sind längst nicht alle Bürden: Was als PR-Coup für ein blitzblankes Image gedacht war, kommt nicht aus dem Sumpf negativer Schlagzeilen – das Megaprojekt mit der Fußball-Weltmeisterschaft 2022. Gerade in Westeuropa wird die Veranstaltung weiterhin mit Korruption und Menschenrechtsverletzungen verbunden. Qatarische Diplomaten erwähnen in Gesprächen gerne die schöne Zeit, bevor das Emirat Ende 2010 den vielkritisierten WM-Zuschlag vom Internationalen Fußball-Verband erhielt. So unbeschwert wie Flitterwochen habe sich das damals noch angefühlt. Dies habe sich geändert.

Verzwickte innenpolitische Lage

Qatar wird von Menschenrechtsorganisationen angeklagt. Westliche Medien berichten über Missstände auf den Baustellen. Zuletzt verfasste das amerikanische Außenministerium einen Report und warnte das Emirat, schnellstens für Veränderungen bei den Arbeitsrechten zu sorgen. Immer wieder wird auch Bezug genommen auf das WM-Projekt. Acht Fußballstadien befinden sich gerade in verschiedenen Bauphasen. Unter dem Druck schickt der Emir seinen agilen WM-Beauftragten Hassan Al Thawadi samt PR-Tross zu Informationsveranstaltungen in die für Qatar kritischen Länder, um das Stimmungsbild zu verbessern. Vor wenigen Wochen besuchte Al Thawadi zum wiederholten Mal Deutschland, sprach auch mit dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) und Transparency International. Demonstriert werden soll der gute Wille zur Veränderung. „Deutschland ist ein ganz wichtiger Partner für uns“, sagt Al Thawadi und hebt stets das Sommermärchen vor zehn Jahren als eines der Vorbilder für Qatar 2022 hervor – selbstverständlich nur in organisatorischer Hinsicht und als Beispiel einer völkerverbindenden Riesenparty.

Al Thawadis Auftrag ist allerdings nicht einfach. Zu viel Offenheit überstrapaziert in der Heimat die konservativen Zirkel. Viele alteingesessene Familienclans, die in der Madschlis Al Schura (Beratende Versammlung) des kleinen Wüstenemirats sitzen, würden das Arbeitsrecht in der kleinen Erbmonarchie sogar wieder verschärfen und geplante Gesetze zurückdrehen wollen. Konterkariert werden Qatars diplomatische Vorstöße zur Entspannung der Lage auch von sinnlosen Attacken aus dem eigenen Lager. So verklagte der dortige Fußballverband den ehemaligen DFB-Präsidenten Theo Zwanziger, weil dieser das Emirat provokativ als „Krebsgeschwür des Weltfußballs“ bezeichnet hatte. Der qatarische Verband verlor den Prozess in erster Instanz vor dem Landgericht Düsseldorf – und zog dann ganz zurück.

Sklavenartige Behandlung und Entrechtung

Derweil prangern internationale Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen die Situation der Arbeitsmigranten vornehmlich aus Indien, Nepal, Bangladesch und von den Philippinen an. Berichtet wird weiterhin über ausstehende Löhne, sklavenartige Behandlung und Entrechtung. Die zwei Millionen ausländischen Arbeitskräfte in Qatar, die 90 Prozent der Bevölkerung ausmachen, unterliegen wie überall auf der Arabischen Halbinsel immer noch dem Kafala-System. Der Arbeitgeber als „Pate“ bestimmt hier über Verträge, Gehälter und die Ausreise. Die Wirtschaftskrise verschärft zudem den Druck. Zuletzt wurde der Fall eines qatarischen Unternehmens aus der Elektrotechnikbranche bekannt, bei dem 400 Arbeiter vor allem aus Indien über vier Monate keinen Lohn erhielten.

Dennoch räumen Nichtregierungs-Organisationen ein, dass sich das eine oder andere in Qatar verbessert hat. Das Arbeitsministerium kann über ein digitales Meldesystem kontrollieren, ob Lohnzahlungen pünktlich fließen. Arbeitnehmer können sich jetzt nach Vertragsende auch bei anderen Unternehmen anstellen lassen und werden nicht gezwungen, entweder beim alten Arbeitgeber zu verlängern oder für eine zweijährige Sperre nach Hause zu gehen. Zudem wurden neue Arbeitersiedlungen mit menschenwürdigen Standards gebaut. Im Dezember sollen angeblich weitere gesetzliche Lockerungen folgen. Human Rights Watch und Amnesty International bescheinigen dem Emirat bei aller Kritik, kleine Fortschritte gemacht zu haben. Der Botschafter Qatars in Berlin, Abdulrahman Bin Muhammad Al Khulaifi, setzt aus seiner Sicht auf den Abbau von „Vorurteilen“ und zitiert zu Veranstaltungen gerne Albert Einstein: „Es ist schwieriger, eine vorgefasste Meinung zu zertrümmern als ein Atom.“ Derweil versprechen die WM-Organisatoren „nachhaltige Verbesserungen“.

Die Milliardeninvestitionen in das Prestigeprojekt der Fußball-WM sollen trotz Wirtschaftskrise gesichert werden. „Alles andere würde als Gesichtsverlust wahrgenommen“, sagt van Thiel. Und sein Kollege Hoffmann von der Dorsch-Gruppe berichtet unter dem Spardruck bei den verschiedenen Infrastrukturprojekten von Prioritätenlisten. „Das läuft von qatarischer Seite kontrolliert ab. Es ist nicht zu erkennen, dass sich in der Krise an diesem Kurs etwas ändern könnte.“


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