Zurück in der Zukunft

  30 September 2016    Gelesen: 622
Zurück in der Zukunft
Kann man die Gene von Menschen verändern, damit sie wieder gesund werden? Jahrzehnte lang wurde spekuliert und probiert, jetzt könnte der Durchbruch der Gentherapie geschafft sein. Vorerst allerdings braucht es noch Geduld.
Selten ist eine neue medizinische Technologie so von Höhen und Tiefen geprägt und so intensiv in der Öffentlichkeit diskutiert worden wie die Idee, Nukleinsäuren als therapeutische Maßnahme einzusetzen. Von den an genetischen Erbkrankheiten leidenden Patienten oft enthusiastisch begrüßt, waren die ersten Erfolge der Gentherapie in den neunziger Jahren auf wenige Indikationen beschränkt. Das Prinzip genetischer Therapie an sich und der Zeitbedarf für seine Entwicklung wurde, dabei leider auch durch Wissenschaftler mit Sendungsbewusstsein oder eigenen wirtschaftlichen Interessen grandios überschätzt und als neue Wundertherapie verkauft.

In den ersten Jahren der Gentherapie dämpften negative Ereignisse den öffentlichen Enthusiasmus zunächst erheblich. Bei der Therapie einer Lebererkrankung in den Vereinigten Staaten im Jahr 1999 kam es zu einer Überdosierung des viralen Vektors mit tödlichem Ausgang. Auch die erste Generation von viralen Vektoren für das blutbildende System erwies sich unglücklicherweise bei einigen Erkrankungen als nebenwirkungsanfällig bei der Anwendung auf Blutvorläuferzellen aus dem Knochenmark. Nebenwirkungen in Form von zum Teil tödlich verlaufenden Leukämien warfen rasch die Frage auf, ob die Risikobewertung der durchgeführten klinischen Studien von zu optimistischen Annahmen ausgegangen war. Die resultierende kritische Diskussion zu überzogenem Ehrgeiz bei der Studiengestaltung erstreckt sich durch die Langfristigkeit der Auswirkungen zum Teil bis in die heutige Zeit.

Dabei wird leider meist übersehen, dass die Mehrzahl dieser Studien außerordentlich erfolgreich verlaufen ist, Nebenwirkungen vielfach therapierbar blieben und behandelte Patienten aus oft auswegloser Situation einen Heilungserfolg erlebten, der bis heute anhält.

Viren als Transporter für Gene

Seit Anfang des Jahrtausends haben sich große und zum Teil großartige Fortschritte ergeben, die potentielle Anwendungen für die Gentherapie schon heute geschaffen haben oder zumindest für die Zukunft realistisch versprechen. Die Gentherapie hat sich zu einem für manche Patienten lebensnotwendigen, durchaus erfolgreichen Verfahren entwickelt. Die biotechnologischen Fortschritte haben sich dabei gleichzeitig in fast allen Arbeitsgebieten der Gentherapie, ihrer Vektorsysteme und therapeutischen Ansätze manifestiert. Gerade die Vektorsysteme als jene Maßnahmen, mit denen durch physikalische Verfahren oder umgebaute Viren die Nukleinsäuren in Form von DNA oder RNA in die zu therapierenden Zellen eingebracht werden, haben enorm von Weiterentwicklungen profitiert. Die neueste Generation der Lentivirus-Vektoren lassen im Gegensatz zu denjenigen der ersten Generation bisher auch bei intensiver klinischer Erprobung keine wesentliche Leukämiegefährdung erkennen.

Wer in diesen Tagen eine renommierte internationale Konferenz zum Thema Gentherapie besucht, wie zum Beispiel die Jahrestagungen der amerikanischen Gesellschaft im Mai oder die der Deutschen Gesellschaft für Gentherapie am DKFZ in Heidelberg in der vergangenen Woche, kann Zeuge von aufregenden neuen Entwicklungen werden, die vor wenigen Jahren undenkbar schienen. Therapien für die Netzhaut des Auges, Lebergewebes oder Anwendungen am Herzen lassen sich durch Adenovirus- oder Adenoassoziierte Virus-Vektoren heute im klinischen Maßstab darstellen. Immundefizienzen und andere schwere angeborene Blutkrankheiten können oft durch Gentherapie mit Lentivirus-Vektoren kuriert werden. Das Anwendungsspektrum der Gentherapie geht über die seltenen genetischen Erbkrankheiten weit hinaus. Krebs zerstörende Immunzellen in Form von CAR T-Zellen, denen der Angriffspunkt durch Gentransfer übertragen worden ist, erzielen in klinischen Studien in manchen Krebsformen erstaunliche Erfolge.

Teilungsfähige Impfviren werden darauf abgerichtet, Krebszellen gezielt zu befallen und dabei auch noch wirksame Immuntherapeutika herzustellen. Im Labormaßstab werden Methoden entwickelt, um schwer behandelbare pathologische Viren, zum Beispiel die Hepatitisviren oder das AIDS Virus, gezielt in den lebenden Zellen des infizierten Patienten zu zerschneiden. Auch in der Kardiologie zeichnen sich Verfahren ab, Rhythmusstörungen und Infarktfolgen durch genetische Therapien zu verbessern.

Die Natur als perfekter Gen-Techniker

Ist die Modifikation der genetischen Information in lebenden Zellen eigentlich eine Erfindung des Menschen? Diese Frage kann mit einem klaren Nein beantwortet werden. In vielen Beispielen sind mittlerweile Systeme bekannt, in denen lebende Organismen ihre DNA-Sequenz gezielt verändern, um wünschenswerte Eigenschaften hinzuzugewinnen oder Angriffe von außen abzuwehren. Unser Immunsystem ist dazu wahrscheinlich das herausragendste Beispiel.

Solche DNA Rekombinationssysteme kommen der Idealvorstellung einer Gentherapie als einer nebenwirkungsfreien, rein auf den Defekt bezogenen Genchirugie in körperlichen Zellen schon sehr nahe. Der DNA Strang kann gezielt geöffnet, in der Abfolge verändert und wieder geschlossen werden. Allerdings geschieht dies nur an einer vorbestimmten Stelle des Genoms, und es ist diesen Enzymen auch nicht möglich, zusätzliche Information von außen hinzuzufügen. Eine ideale Gentherapie würde unter Verwendung solcher DNA-modifizierenden Enzymen den beim jeweiligen Patienten defekten DNA-Bereich aufsuchen und dort die genetische Sequenz gezielt editieren wollen.

Dieses Luftschloss einer Gentherapie hat in den vergangenen drei Jahren einen großen Schritt in Richtung Realisierung gemacht. Die wesentliche Entdeckung betraf in diesem Fall das Immunsystem von Bakterien. Mit dem als Crispr-Cas9 bekannten System können die eintretenden Nukleinsäuren innerhalb sehr kurzer Zeit als fremd erkannt werden und werden mit Hilfe eines spezialisierten Proteins gezielt zerschnitten.

Gen-Scheren haben noch Mängel

Emmanuelle Charpentier und Jennnifer Doudna haben dieses System entschlüsselt und durch die Abänderung der Matrizen-DNAs als effizientes Genchirurgie-Besteck verfügbar gemacht. Über die Einbringung eigener Crispr-„Fahndungssequenzen“ kann das Cas9-Protein gezielt auf andere Anwendungen umprogrammiert werden. Da dieses Crispr-Cas9- System auch in Säugetierzellen funktioniert und die Ausrichtung auf neue Zielsequenzen so viel schneller funktioniert als bisher, hat es einen extrem schnellen weltweiten Siegeszug durch die Genforschungslabore der Welt angetreten.

Dabei gilt es aber zu bedenken, dass das Crispr-CaS9 System bisher, wie andere in der lebenden Zelle funktionierenden Genscheren, lediglich einen vorprogrammierten Zielort im DNA-Strang aufsuchen kann und dort einen Schnitt setzt. Es ist in seiner jetzigen Konfiguration aber nicht in der Lage, die aufgeschnittenen DNA-Enden festzuhalten, wieder zu verschließen oder gar von außen eingebrachte zusätzliche Sequenzanteile einzufügen.

Diese Schwäche überwindet man für Laboranwendungen heute schon mit einem Provisorium. Für die Anwendungen in der Gentherapie bei Menschen wäre es jedoch Voraussetzung, die Effizienz und Verlässlichkeit des Systems noch einmal deutlich nach oben zu treiben. Nur wenn reproduzierbar gezielt Reparatursequenzen von außen an die entsprechende Stelle geschrieben werden können, kann von einem echten Editieren die Rede sein, und dies ist nach heutigem Stand eben noch nicht effizient erreicht.

n den Forschungslabors der Welt ist unter vielen Spezialisten ein Wettlauf angelaufen, wie dieses Problem zu lösen wäre. Auch hierzu liefert die Natur direkt in menschlichen Zellen selbst Beispiele. So können andere die DNA modifizierende Enzyme, sogenannte Transposasen, Genabschnitte ausschneiden und an einen zufällig ausgewählten anderen Ort versetzen. Andere Enzyme, sogenannte Topoisomerasen, lösen Verwicklungen in langen DNA-Strängen, indem der DNA Strang geöffnet wird, sich abwickelt und danach wieder korrekt zusammengefügt wird. Es erscheint naheliegend, dass man Verbindungen zwischen dem CasProtein und solchen oder ähnlichen Enzymfunktionen herstellen kann. Diese Enzyme würden dann durch Cas9 geführt an der richtigen Stelle aktiv. Man wird dann hoffentlich erreichen können, dass Genchirurgie die defekte Stelle im DNA-Strang kontrolliert aufschneidet, verändert und wieder zusammenfügt. So wird ein echtes Editieren möglich, welches nicht nur auf Reparaturmechanismen beruht, die eine starke Zufallskomponente beinhalten.

Zukunftsmusik? Gewiss. Aber aus bekannten, machbaren Elementen zusammen komponiert. Diese Entwicklungen werden viele Jahre dauern. Aber sie haben begonnen, eine zumindest teilweise in Deutschland mitentwickelte Gentherapie zurück in eine gute Zukunft zu führen.


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