Der Kanzlerkandidaten-Krampf der SPD

  01 Oktober 2016    Gelesen: 472
Der Kanzlerkandidaten-Krampf der SPD
Der Kanzlerkandidatur von Sigmar Gabriel steht eigentlich nichts mehr im Wege. Aber noch immer sind sich viele Genossen unschlüssig, ob er der Richtige ist.
Hinter Sigmar Gabriel liegen erfolgreiche Wochen. Drei Hürden galten seit Monaten als die wichtigsten Etappen auf dem Weg zu einer Kanzlerkandidatur: Die Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin, dann die Abstimmung über das strittige Ceta-Freihandelsabkommen. Alles verlief zugunsten des Vizekanzlers. Gabriel ist durch, könnte man meinen. Aber von wegen. Ein Jahr vor der Bundestagswahl ist die Kandidatenkür bei der SPD weiterhin offen. Zu groß sind die parteiinternen Zweifel. Die Kür könnte für die Genossen zum großen Krampf werden.

Die beiden größten und mächtigsten Landesverbände sind sich uneinig darüber, wer die Partei im kommenden Jahr in den Wahlkampf führen soll. Die NRW-SPD spricht sich für Gabriel aus. Norbert Römer, Fraktionschef im Landtag und enger Vertrauter von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, sagt im Interview mit n-tv.de: Gabriel sei "selbstverständlich" der richtige Kanzlerkandidat. "Er ist direkt und duckt sich nicht weg. Gabriel ist unsere Nummer eins", sagt er. "Ich bin auch davon überzeugt, dass er der nächste Kanzler sein wird."

Ein starkes und wichtiges Signal für Gabriel. Aber ausgerechnet dessen Heimatverband hadert mit dessen Nominierung. Wie die "Süddeutsche Zeitung" berichtet, äußerten viele niedersächsische Bundestagsabgeordnete in einer internen Sitzung am Donnerstag Vorbehalte gegen eine Kandidatur des SPD-Vorsitzenden. Sie haben Bedenken, dass sich die Wahl mit dem in der Bevölkerung nicht unbedingt beliebten Gabriel gewinnen lasse. Die Skepsis ist nicht unbegründet. In Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Forsa würden sich nur 17 Prozent für Gabriel als Kanzler entscheiden, 44 Prozent für Angela Merkel.

"Ich bin dafür, dass wir schnell Klarheit schaffen"

Und nun? Gabriel selbst äußert sich nur zurückhaltend zum Thema. Als Vorsitzender hat er das erste Zugriffsrecht. Viele in der Partei rechnen damit, dass er entschlossen ist. Aber der umstrittene Vorsitzende weiß um die Risiken, wenn er die Kandidatur zu autoritär an sich reißen würde. Und er weiß, wie ausweglos es wäre, wenn er die SPD nicht hinter sich weiß. Nur ein Jahr vor der Wahl bleibt nicht mehr viel Zeit, um die Entscheidung weiter vor sich herzuschieben. Bisher nannten Sozialdemokraten und auch Gabriel meist den Frühjahr 2017 als Zeitpunkt. Fraktionschef Thomas Oppermann erklärte jedoch zuletzt: "Wir werden diese Frage Anfang nächsten Jahres entscheiden – vielleicht auch schon ein bisschen früher."

Auch Norbert Römer will nicht mehr zu lange warten. "Ich bin dafür, dass wir schnell Klarheit schaffen", sagt der SPD-Fraktionschef im NRW-Landtag. Römer will die Kandidatenfrage mit nötigem Abstand zum Mai 2017 geklärt haben. Im selben Monat wird im größten deutschen Bundesland gewählt. Nach den jetzigen Umfragen muss Ministerpräsidentin und Parteivizechefin Kraft um ihre Wiederwahl zittern. Auch deshalb macht ihr Umfeld nun Druck. Aber andere Sozialdemokraten wollen lieber nichts überstürzen. Genau damit hat die Partei nämlich keine guten Erfahrungen gemacht.

Vor vier Jahren hob die Partei kurzerhand Peer Steinbrück aufs Kandidatenschild. Neben Gabriel und Frank-Walter Steinmeier galt er damals als Favorit. Dennoch war die Kür eine Sturzgeburt. Steinbrück kämpfte vor allem zu Beginn des Wahlkampfes mit zwei Schwierigkeiten. Er war in der Partei umstritten und es gab kein Drehbuch für seine Kampagne. Das soll diesmal eigentlich anders werden. Mehr Plan, weniger Chaos. Aber ausgerechnet in der Schwächephase von Kanzlerin Merkel und der Union droht sich die SPD im Gezerre um die Kandidatenfrage in Selbstbeschäftigung zu verheddern.

Eine Alternative

Zum Dilemma der Sozialdemokraten gehört dabei die Tatsache, dass es kaum eine Alternative zu Gabriel gibt. In den letzten Monaten fielen in diesem Zusammenhang nur zwei weitere Namen. Olaf Scholz müsste sein Amt als Erster Bürgermeister von Hamburg opfern und gilt daher als wenig realistisch. Anders ist die Situation bei EU-Parlamentspräsident Martin Schulz. Der sagte im Mai zwar: "Mein Platz ist in Brüssel" und: "Ich unterstütze Sigmar Gabriel mit Haut und Haaren." Aber Schulz muss sein EU-Amt zum Jahreswechsel wahrscheinlich abgeben.

Angeblich liebäugelt der 60-Jährige mit einem Wechsel in die Bundespolitik. Der "Spiegel" berichtete zuletzt, dass er bei der Bundestagswahl auf Listenplatz 1 in NRW kandidieren soll. Schulz wäre dann vielseitig einsetzbar: auch als Minister in einer neuen Großen Koalition oder eben als Kanzlerkandidat. Gabriel brachte in der Vergangenheit die Möglichkeit ins Gespräch, dass die Partei in einem Mitgliederentscheid über den Kandidaten entscheiden könne. Das setzt jedoch voraus, dass es mehrere Bewerber gibt. Dass Schulz gegen Gabriel antritt, ist unwahrscheinlich. Wenn der SPD-Chef aber nicht kandidieren will oder darf, hätte der Rheinländer wohl die besten Chancen.

In einer Umfrage von Infratest Dimap sprachen sich im Mai 31 Prozent der Deutschen für Gabriel und 26 Prozent als Kanzlerkandidaten aus. Am beliebtesten schneidet mit 58 Prozent aber ein anderer Sozialdemokrat ab: Frank-Walter Steinmeier.

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