Sieg der Vergangenheit

  03 Oktober 2016    Gelesen: 465
Sieg der Vergangenheit
Kolumbien stehen gefährliche Wochen bevor: Der Friedensvertrag mit den Farc-Rebellen ist von der Bevölkerung überraschend abgelehnt worden. Der Ausgang der Volksabstimmung wirft das südamerikanische Land um Jahre zurück.
Es war kurz nach 17.30 Uhr, die Wahllokale in Kolumbien hatten seit 90 Minuten geschlossen, da veröffentlichte die Wahlbehörde die entscheidende Hochrechnung. Sie bestätigte, was kaum jemand in dem Bürgerkriegsland für möglich gehalten hatte: Die Bevölkerung lehnte den bereits als historisch betitelten Friedensvertrag zwischen Regierung und den Revolutionären Streitkräften Kolumbiens (Farc) ab. 50,21 Prozent stimmten für Nein, 49,78 Prozent für Ja.

Für kurze Zeit fiel das Land in eine Schockstarre. Die einen konnten ihren unerwarteten Sieg nicht fassen, die anderen wollten die Niederlage nicht wahrhaben. Tränen flossen bei Siegern und Verlierern. 6,4 Millionen Kolumbianer hatten auf die Frage: "Unterstützen Sie das endgültige Abkommen zur Beendigung des Konflikts und den Aufbau eines stabilen und dauerhaften Friedens"? mit "No" geantwortet. 6,3 Millionen sagten "Si".

Keine Prognose hatte einen solchen Ausgang vorhergesehen. Alle Umfrageinstitute sagten eine Zweidrittelmehrheit für die Zustimmung zu den Übereinkommen von Havanna voraus, die über fast vier Jahre zwischen den Linksrebellen und der Regierung mit breiter internationaler Unterstützung ausgehandeltund am vergangenen Montag unterzeichnet worden waren.

Insgesamt sind gerade einmal 37 Prozent der Wahlberechtigten zur Abstimmung gegangen. Zwei Drittel der Menschen war es demnach egal, ob eines der größten Länder Lateinamerikas nach 52 Jahren Bürgerkrieg weiter auf den bewaffneten Konflikt setzt oder sich endlich dem Frieden öffnet. Bis zu 260.000 Menschen sind bisher in dem Konflikt ums Leben gekommen. Sieben Millionen Menschen wurden vertrieben.

"Uns stehen gefährliche Wochen bevor"

Der Ausgang des Volksentscheids ist ein Sieg der Vergangenheit über die Zukunft. "Es haben Wut und Rachsucht gesiegt", sagte ein Anhänger des "Si" in der Stadt Popayán im südwestlichen Departement Cauca, einer der vom Bürgerkrieg am härtesten getroffenen Regionen. "Wir sind nicht bereit, uns zu vergeben und nach vorne zu schauen." Eine Menschenrechtsaktivistin ergänzte unter Tränen: "Die Hälfte von uns will lieber Krieg als Frieden." León Valencia, Direktor der Stiftung Paz y Reconciliación (Frieden und Versöhnung), sagte SPIEGEL ONLINE: "Uns stehen gefährliche und völlig unsichere Wochen bevor."

Tatsächlich ist nun völlig unklar, wie es weitergeht. Die rund 7000 Farc-Rebellen befinden sich bereits in den vereinbarten 23 Rückzugsgebieten im ganzen Land und wollten am Montag unter Uno-Aufsicht beginnen, ihre Waffen abzugeben. Das ist nun vom Tisch. Auch alle Übereinkünfte zur Übergangsjustiz und zur politischen Beteiligung der Farc sind Makulatur. "Niemand hat einen Plan B, das Land steht vor einem totalen Chaos", sagte Alejo Vargas, Friedensforscher an der Nationalen Universität in Bogotá.

Präsident Juan Manuel Santos gab sich am Abend dennoch kämpferisch: "Ich werde nicht aufgeben und bis zum Ende meines Mandats für den Frieden kämpfen." Dann sagte er zwei wichtige Dinge:

Zum einen hält die Regierung an der Waffenruhe mit den Farc-Rebellen fest.
Zum anderen rief Santos für Montag alle politischen Kräfte zu Gesprächen zusammen, um einen Ausweg aus der Krise zu suchen.
Darüber hinaus sollen die Unterhändler der Regierung nach Havanna reisen, um mit den Rebellen das Ergebnis zu erörtern.
Auch der Chef der Guerilla, Rodrigo Londoño alias Timochenko, bekannte sich trotz des negativen Referendums zu dem Friedensvertrag: "Es bleibt dabei. Worte werden künftig unsere einzige Waffe sein." Die Farc hatten allerdings schon mehrfach gesagt, dass eine Neuverhandlung für sie ausgeschlossen sei. Insbesondere bei der Frage der juristischen Verantwortung sind sie hart, sie wollen für ihre Taten nicht ins Gefängnis. Präsident Santos aber wird nun gegenüber der rechten Opposition gerade in diesem Punkt Zugeständnisse machen müssen, wenn er den Friedensprozess retten will.

So forderte der rechte Ex-Präsident Álvaro Uribe am Sonntagabend einen "nationalen Pakt", in dem es keine Straffreiheit für die Rebellen geben dürfe. "Wir sind für Frieden, aber gegen diese Abkommen", hatte er in den vergangenen Wochen ständig wiederholt.

Weitreichende Straffreiheit der Rebellen stößt vielen auf

Der Friedensvertrag sieht für politische Straftaten bislang eine weitreichende Amnestie vor. Verbrechen gegen die Menschlichkeit und schwere Kriegsverbrechen werden hingegen mit Strafen zwischen fünf und acht Jahren geahndet, wenn die Täter geständig sind und die Opfer oder ihre Angehörigen entschädigen. Diese Strafen sollten aber nicht im Gefängnis, sondern durch eine Art gemeinnützige Arbeit abgegolten werden. Die weitgehende Straffreiheit dürfte ein Faktor für die Ablehnung des Friedensvertrags gewesen sein.

Zudem sollten die zur politischen Partei konvertierten Farc in einer Übergangsphase sichere Sitze im Parlament bekommen. Bei der Parlamentswahl 2018 hätten ihre Kandidaten fünf Plätze im Senat und fünf im Abgeordnetenhaus garantiert gehabt, sollten sie die Dreiprozenthürde nicht nehmen. Vor allem dagegen hatten Uribe und seine Partei Centro Democrático gewettert: "Demokratien werden nicht gestärkt, wenn die Farc für ihre Massaker und den Drogenhandel mit Mandaten und Straflosigkeit belohnt werden."

Friedensexperte Valencia ist skeptisch, dass die Farc große Konzessionen akzeptieren. Er hält es für möglich, dass die Guerilla sich mit der kleineren Gruppierung ELN verbündet und beide gemeinsam weiterkämpfen. Die ELN wollte eigentlich jetzt auch Friedensgespräche mit der Regierung beginnen. "Davon werden sie jetzt Abstand nehmen", ist sich Valencia sicher.

Quelle : spiegel.de

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