Die längste Zeit in ihrer Geschichte galt die Deutsche Bank als die Schaltzentrale der deutschen Wirtschaft. Doch nun stellt sich die deutsche Öffentlichkeit die Frage: Wann genau war eigentlich der Punkt, an dem die Deutsche Bank nicht mehr umdrehen konnte? War es der Einstieg in das angelsächsisch geprägte Kapitalmarktgeschäft, also das Investmentbanking, im Jahr 1989? Oder doch der Angriff auf den amerikanischen Markt zehn Jahre später mit der Übernahme von Bankers Trust? Möglicherweise ist der Punkt aber viele Jahre später, erst nach der Finanzkrise, überschritten worden.
Gigantische Wette
Es war die gigantische Wette von Anshu Jain, damals neben Jürgen Fitschen Ko-Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank. Während fast alle anderen europäischen Banken, aufgrund der strengeren Vorgaben der Aufsichtsbehörden, ihr Geschäft im Investmentbanking abbauten, steuerte Jain die Deutsche Bank in die andere Richtung: Sie sollte im Investmentbanking, als einzige europäische Adresse, den Wall-Street-Banken wie JP Morgan oder Goldman Sachs Konkurrenz machen. Diese Wette von Jain fand auch die Unterstützung des Aufsichtsratsvorsitzenden Paul Achleitner, der früher Deutschland-Chef von Goldman Sachs war.
Zwei Kapitalerhöhungen spülten zwischen Frühjahr 2013 und Sommer 2014 rund 11,5 Milliarden Euro in die Kassen der Deutschen Bank. Das Geld sollte den Frankfurtern wieder die Macht geben, Marktanteile in diesem schwierigen Umfeld zu gewinnen. Nur: Die Strafen und Rückstellungen für Rechtsstreitigkeiten fraßen das zusätzliche Kapital auf. Die Wette schlug auch an den Finanzmärkten fehl. Während die britische Barclays und die Schweizer UBS ihren Wertpapierhandel deutlich verkleinerten, hielt die Deutsche Bank daran fest. Das Urteil der Investoren fällt eindeutig aus: In den vergangenen drei Jahren hat der Aktienkurs fast zwei Drittel verloren. Die Anteilscheine von Barclays und UBS haben sich deutlich besser geschlagen. Die Kapitalerhöhung im Sommer 2014 sollte alle Sorgen um eine zu dünne Kapitaldecke aus der Welt schaffen. Und sie wäre auch eine gute Gelegenheit gewesen, den strategischen Kurs zu korrigieren und das Investmentbanking deutlich zu schrumpfen.
Doch das war nicht der Fall. Gut zwei Jahre später sind Jain und Fitschen nicht mehr in Amt und Würden. Die Deutsche Bank verliert im Investmentbanking Marktanteile und rangiert nicht mehr unter den Top 5. Der Aktienkurs lag vergangene Woche zeitweise unter 10 Euro, die gesamte Bank war zu dem Zeitpunkt nur noch 14 Milliarden Euro wert – nur ein Viertel des eigentlichen Buchwertes. Peanuts, verglichen mit den 241 Milliarden Dollar von JP Morgan Chase. Aber auch zu wenig im europäischen Vergleich: Die UBS wird an der Börse mit knapp 50 Milliarden Euro bewertet, die französische BNP Paribas oder die spanische Santander mit jeweils 57 Milliarden Euro. Die Deutsche Bank ist mit ihrem Börsenwert längst nicht mehr konkurrenzfähig.
Keine Wende in Sicht
Doch eine Wende ist nicht in Sicht, dazu ist das Umfeld gegenwärtig zu schwierig. Das Investmentbanking ist längst nicht mehr so ertragreich: niedrigere Handelsvolumina, härtere Kapitalanforderungen und eine zunehmende Dominanz der Wall-Street-Banken. Das Privatkundengeschäft leidet in Deutschland seit Jahren unter niedrigen Margen, hinzu kommt das Niedrigzinsumfeld. Die Kosten sind hoch. Dabei lauern im Hintergrund noch zahllose rechtliche Risiken in Milliardenhöhe. Aktuell hat die Bank noch etwa 7000 Klagen am Hals, zurückgestellt wurden dafür nur 5,5 Milliarden Euro. Allein die noch im Raum stehende Strafe wegen Hypothekengeschäften in Amerika überschreitet mit 14 Milliarden Dollar diesen Puffer. Aus dem Geldwäscheskandal in der Moskauer Filiale kann sich eine weitere Strafe ergeben, die im Milliardenbereich liegen kann. Denn die Transaktionen, mit denen Personen aus dem russischen Machtzirkel rund um den Präsidenten Wladimir Putin Rubel in Pfund oder Dollar tauschten, sollen 10 Milliarden Dollar ausgemacht haben.
Zinsmanipulationen, Tricksereien mit Wechselkursen, Geldwäsche oder Betrug mit ausfallgefährdeten Immobilienkrediten standen nicht auf der Agenda, als die Bank 1870 gegründet wurde. Stattdessen gab sie sich den Auftrag, den Handel zwischen Deutschland und anderen Ländern zu fördern. Das Ziel war, „eine große Bank zu schaffen, hauptsächlich für den überseeischen Handel, die uns unabhängig von England machen soll“, wie es Adelbert Delbrück, einer der Gründer, damals formulierte. Man tausche England mit Amerika und ist gar nicht so weit weg von jenen Zielen, welche die Deutsche Bank heute noch hat. Kurz nach der Gründung schon wurden internationale Vertretungen eröffnet: in London, in Schanghai, in Buenos Aires, in Moskau.
Nach dem Zweiten Weltkrieg konzentrierte man sich auf den heimischen Markt. Viel internationales Vertrauen ging damals verloren, weil die Deutsche Bank Hitlers Krieg finanzierte und abscheuliche Geschäfte mit gestohlenem jüdischem Gold machte. Auch dank der starken Rolle der Bank während des Wirtschaftswunders wurde Westdeutschland der wirtschaftlich stärkste Staat Europas.
Doch in den achtziger Jahren drehte sich der Wind. Jürgen Krumnow, damals im Vorstand für Controlling zuständig, sagte: „Europa soll für uns eines Tages zu dem werden, was heute die Bundesrepublik ist: nämlich unser Heimatmarkt.“ In diesen Jahren beschäftigte die Bank rund 40.000 Mitarbeiter, fast alle im Inland. Die Finanzmärkte in Großbritannien und den Vereinigten Staaten wurden in dieser Zeit dereguliert. Die Ambitionen in Übersee wurden daher überdacht und aufgefrischt. Internationaler sollte die Bank werden und sich von der Tradition des deutschen Bankbeamten verabschieden. Diese galt als verstaubt, war aber auch Ausdruck des Vertrauens der Deutschen in eine Bank.
Den ersten Schritt in die angelsächsische Welt der Investmentbanken machte die Deutsche Bank 1989 mit der Übernahme der britischen Morgan Grenfell für damals 2,7 Milliarden Mark. Das war der Startschuss: Statt Sparbüchern und Krediten an Mittelständler wollten die Frankfurter große Räder drehen. Übernahmen von Unternehmen und Wertpapierhandel an den Finanzplätzen New York oder London waren das Ziel. Gleichzeitig zog die angelsächsische, an fetten Erfolgsprämien ausgerichtete Kultur ein. Sie stand im Widerspruch zur Kultur des deutschen Bankiers. Seitdem lähmen die Auseinandersetzungen zwischen den Investmentbankern in London und den Traditionalisten in Frankfurt die Deutsche Bank: Kulturkampf statt Kulturwandel, den die Führung nach der Finanzkrise ausgerufen hatte. Die Investmentbank setzt auf kurze Entscheidungswege, um schnell handeln zu können. Dabei stehen Gewinn und Boni im Vordergrund. Für deutsche Traditionalisten rangiert dagegen das Kundenvertrauen als Grundlage für eine langfristige Geschäftsbeziehung ganz oben.
Ignorierte Warnsignale
Dabei gab es Warnsignale kurz nach der Übernahme von Morgan Grenfell. Dort zockte ein junger Fondsmanager und scheiterte. Die Bank musste ihre Kunden entschädigen. Trotzdem wurde der neue Kurs durchgezogen. Viel zu verführerisch waren die hohen Gewinne, die damit gemacht wurden. Schon 1998 lag der Konzerngewinn bei 1,7 Milliarden Euro. Zehn Jahre zuvor waren es 600 Millionen Euro. Die Investmentbanker im Hause wurden so stark, dass sie sämtliche Verankerungen im Heimatmarkt zu verhindern wussten. So scheiterte damals die Übernahme der Dresdner Bank an ihrem Widerstand.
Die Vorstandsvorsitzenden Hilmar Kopper und Rolf Breuer wollten nach New York. Die Deutsche Bank übernahm 1999 die amerikanische Investmentbank Bankers Trust. Das Institut hatte sich in Schwellenländern verspekuliert und zudem mit einem internen Finanzskandal zu kämpfen. Trotz der Risiken erschien die Aussicht, damit die begehrte Eintrittskarte für die Wall Street zu lösen, viel zu verlockend. Später stellte sich heraus, dass die Bank überteuert war und Milliarden abgeschrieben werden mussten. Ein führender deutscher Bankenaufseher hatte ein gutes Jahrzehnt später die Bankers-Trust-Übernahme als eine der verheerendsten Transaktionen in der deutschen Finanzgeschichte bezeichnet. Doch lange wähnte sich die Deutsche Bank auf dem richtigen Weg: Zur Jahrtausendwende ist sie eine der zehn größten Banken der Welt, von der Bilanzsumme her sogar die größte. Zu diesem Zeitpunkt arbeiten 100.000 Menschen dort, die Hälfte im Ausland.
Im Jahr 2002 übernimmt Josef Ackermann die Bank und treibt sie mehr und mehr zur Rendite. Legendär ist seine Forderung einer Eigenkapitalrendite von 25 Prozent. Davon sind inzwischen nicht nur die Deutsche Bank, sondern alle Konkurrenten Lichtjahre entfernt. Die schärferen Vorgaben der Aufsichtsbehörden in Reaktion auf die Finanzkrise drückt die Profitabilität aller Banken, insbesondere der Investmentbanken, deutlich. Ein Jahr vor dem Krisenausbruch hat die Bank ihren wirtschaftlichen Höhepunkt erreicht. Der Gewinn liegt bei 6,5 Milliarden Euro, 60 Prozent davon werden im Investmentbanking erwirtschaftet. Eine Aktie kostet mehr als 102 Euro.
Teure Rechtsstreitigkeiten
Ab diesem Zeitpunkt ging es steil bergab. Denn nach und nach kam heraus, welche Risiken sich die Bank aufgeladen hatte. Es waren vor allem verschachtelte Wertpapiere, in denen die Risiken aus ausfallgefährdeten Krediten gebündelt wurden. Sorge bereiten noch immer die Anlagen über 32 Milliarden Euro, die sich auf der Bilanz befinden, für die es aber keine Käufer mehr gibt. Denn Investoren meiden diese Papiere, weil sie ihnen zu riskant sind. Bei der Deutschen Bank machen sie die Hälfte des Eigenkapitals aus.
In den vergangenen vier Jahren hat die Deutsche Bank für Rechtsstreitigkeiten mehr als 12 Milliarden Euro aufwenden müssen. Das war mehr, als in diesem Zeitraum an Kapital aufgenommen wurde. Doch mit dem Hypothekenverfahren in Amerika und dem Geldwäscheskandal in Moskau stehen noch saftige Strafen aus. Was die Deutsche Bank schützt, ist ihr Ruf, die „gefährlichste Bank der Welt“ zu sein. Mit einem Derivatebuch von 35 Billionen Euro ist sie mit anderen Banken so stark vernetzt wie kaum ein anderes Institut in der Welt. Ihr Zusammenbruch würde ein Beben an den Börsen auslösen, das nicht im Interesse der amerikanischen Regierung sein kann.
Schmerzhafte Einschnitte unvermeidbar
Doch über kurz oder lang wird die Deutsche Bank nicht um schmerzhafte Einschnitte herumkommen. Das Investmentbanking, und hier vor allem der Wertpapierhandel, muss deutlich verkleinert werden. Es ist richtig, deutschen Unternehmen den Zugang zu den Kapitalmärkten in der ganzen Welt zu bieten. Doch dazu ist kein riesiger Wertpapierhandel nötig. Der Abbau von Handelsbeständen setzt dringend benötigtes Eigenkapital frei, weil er die Risiken reduziert. Zudem lockt die Bank nicht mehr die Zocker aus anderen Häusern an, die vor allem im Wertpapierhandel zu finden sind.
In Zeiten niedriger Zinsen steht das Privatkundengeschäft nachhaltig unter Druck. Es hat hohe Fixkosten wegen Personal und Filialen, während die Erträge sinken. Auch hier dürften weitere Sparmaßnahmen unumgänglich sein.
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