Zu wenig Expertise

  08 Oktober 2016    Gelesen: 920
Zu wenig Expertise
Die Operation der Prostata erfordert viel Erfahrung und sollte deshalb Spezialisten vorbehalten sein. Doch immer mehr Eingriffe werden an Kliniken ohne große Kompetenz vorgenommen - eine fatale Fehlentwicklung.
Die komplette Entfernung der Vorsteherdrüse beim Prostatakrebs ist eine anspruchsvolle Operation. Der Tumor muss nicht nur vollständig entfernt werden, sondern die Nerven sollten auch bestmöglich geschont werden, damit die Patienten später nicht an Inkontinenz oder Impotenz leiden. Viele Studien haben gezeigt, dass die klinischen Ergebnisse besser sind, wenn ein erfahrener Urologe den Eingriff vornimmt als ein Arzt, der nur hin und wieder eine Prostata komplett entfernt.

Das hat mit der langen Lernkurve zu tun. Man muss viele Operationen ausgeführt haben, um den Eingriff souverän und mit guten klinischen Ergebnissen meistern zu können. Die Deutsche Leitlinie zur Behandlung von Prostatakrebs empfiehlt daher, dass nur solche Kliniken den Eingriff vornehmen sollten, die mindestens fünfzig Operationen pro Jahr vorweisen können.

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Mediziner der Klinik und Poliklinik für Urologie am Universitätsklinikum Dresden haben untersucht, wie sich die radikale Entfernung der Prostata zwischen den Jahren 2006 und 2013 in Deutschland entwickelt hat, und haben dabei eine erhebliche Fehlentwicklung festgestellt. Wie Johannes Huber und seine Kollegen in der Fachzeitschrift „Prostate Cancer and Prostatic Diseases“ (doi: 10.1038/PCAN.2016.34) berichten, hat sich die Zahl der Krankenhäuser, die mehr als hundert Eingriffe pro Jahr vornehmen, während dieses Zeitraums von 89 auf 43 halbiert. Die Zahl der Kliniken, die weniger als fünfzig Eingriffe vorzuweisen haben, hat sich dagegen um ein knappes Drittel von 193 auf 280 erhöht.

Zahl der von unerfahrenen Ärzten operierten verdoppelt sich

Während im Jahr 2006 jeder sechste Patient in einer Klinik operiert wurde, die weniger als fünfzig Eingriffe pro Jahr nachweisen konnte, war das 2013 bei fast jedem dritten Patienten der Fall. Statt der gebotenen Zentralisierung der Eingriffe ist es nach Einschätzung von Huber und seinen Kollegen offenkundig zu einer Dezentralisierung gekommen. Die Versorgung hat sich bei der Prostata-Operation in Deutschland also immer weiter von der Empfehlung der Leitlinie entfernt.

Die Dresdner Urologen fordern Maßnahmen gegen diese Fehlentwicklung, beispielsweise die verbindliche Einführung einer „Mindestmenge an Operationen“. Bei einer Schwelle dürfen nur noch solche Kliniken die radikale Entfernung der Prostata zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen abrechnen, die diese verbindliche Mindestmenge auch tatsächlich erbringen. In Deutschland gibt es solche Regelungen bisher nur für sieben Operationen: für Leber-, Nieren- und Stammzelltransplantationen, für komplexe Eingriffe an der Bauchspeicheldrüse und der Speiseröhre sowie für operative Eingriffe an den Herzkrankgefäßen und für die Implantation einer Kniegelenk-Prothese.

„Die Radikaloperation der Prostata gehört nicht dazu“, sagt Johannes Huber. „Ohne verbindliche Mindestmenge sind die Kliniken nicht an die Empfehlungen der Prostatakrebs-Leitlinie gebunden. Offensichtlich hat der Rückgang bei der Gesamtzahl der Eingriffe die Dezentralisierung begünstigt“, so Huber weiter. „28 Prozent der Operationen erfolgen an Kliniken mit zu geringer Expertise. Das hat höchstwahrscheinlich beträchtliche Auswirkungen auf die Patientensicherheit und die Versorgungsqualität in Deutschland.“

Immer weniger Radikaloperationen

Die Zahl der Radikaloperationen ist seit dem Höchststand im Jahr 2007 um ein Drittel eingebrochen. Das hat zum einen damit zu tun, dass weniger Männer ihren PSA-Wert bestimmen lassen, weil sie keine Überbehandlung riskieren wollen, und zum anderen damit, dass mehr Patienten mit weniger aggressivem Prostatakrebs aktiv überwacht und nicht mehr operiert werden. Für die Kliniken ist die radikale Entfernung der Prostata eine rentable Operation. Der Eingriff wird gut bezahlt und ist somit für die ökonomische Situation der Kliniken von Vorteil. Für die Urologie gehört der Eingriff zum Selbstverständnis des Faches, weil nur Urologen diese Operation machen, keine anderen Disziplinen.

Die Stärke der Dresdner Studie besteht darin, dass Huber und seine Kollegen alle 221.000 Eingriffe während des Untersuchungszeitraums in Deutschland ausgewertet haben. „Unsere Daten sind vollständig und zeichnen den zeitlichen Verlauf über acht Jahre nach“, sagt der Urologe. „Allerdings können wir nichts zu den klinischen Ergebnissen sagen oder wie ausgedehnt der Tumor vor der radikalen Entfernung der Prostata gewesen ist.“ Huber und seine Kollegen haben die von den Krankenhäusern an das Statistische Bundesamt gemeldeten Abrechnungsdaten ausgewertet und mit Angaben zu deren Zertifizierung durch die Deutsche Krebsgesellschaft und zur Verfügbarkeit eines rund zwei Millionen Euro teuren Operationsroboters verknüpft.

Auch neues Verfahren mit Roboter bietet keine Sicherheit

Von den 415 Kliniken, die sich im Jahr 2013 an der operativen Entfernung der Prostata in Deutschland beteiligt hatten, sind 86 Kliniken von der Deutschen Krebsgesellschaft zertifiziert. 55 Kliniken arbeiteten mittlerweile mit einem Operationsroboter. Noch acht Jahre zuvor besaßen nur sechs deutsche Kliniken einen Operationsroboter. Im Jahr 2006 wurde nicht einmal eine von hundert radikalen Entfernungen der Prostata mit einem Automaten ausgeführt, 2013 war es bereits jede vierte.

Die Ärzte um Huber haben auch untersucht, welchen Einfluss die Zertifizierung und die Verfügbarkeit eines Operationsroboters auf die Eingriffszahlen haben. Den stärksten Effekt hat danach der Roboter. Kliniken mit einem Roboter führten statistisch gesehen siebenmal so viele Eingriffe durch wie eine vergleichbare Einrichtung ohne eine entsprechende Anlage. Die Zertifizierung als Prostatakarzinomzentrum hatte dagegen nur einen geringen Effekt. Die Frage, welche Operation zu den besseren klinischen Ergebnissen führt - der Eingriff mit dem Roboter oder die offene Entfernung der Prostata über einen Bauchschnitt -, lässt sich aus den bisher veröffentlichten Studiendaten nicht eindeutig beantworten. In der Hand eines erfahrenen Urologen gelten beide Verfahren als gleichwertig.


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