Reiner Burger
Autor: Reiner Burger, Politischer Korrespondent in Nordrhein-Westfalen.
Folgen:
Neben der Oberbürgermeisterin sitzt Jürgen Mathies. Der Kölner Polizeipräsident lächelt. Es ist im Wesentlichen sein Sicherheitskonzept, das die Oberbürgermeisterin so zuversichtlich macht. Zum Jahreswechsel 2016/17 wird es unter der Führung eines Polizeidirektors eine „Besondere Aufbauorganisation“ mit zehn Einsatzabschnitten und rund 1000 Polizisten in Köln geben – im vergangenen Jahr waren gerade mal 140 Polizisten im Einsatz. Jetzt kommen 130 Kräfte des Kölner Ordnungsamts und noch einmal 400 Mitarbeiter privater Sicherheitsdienste hinzu. Rund um den Kölner Dom soll es eine weit gespannte, mit hüfthohen Absperrgittern gesicherte Schutzzone geben. Es sei erforderlich, Passanten, das Weltkulturerbe und Besucher der Jahresschlussmesse vor Beschuss mit Feuerwerk zu schützen, heißt es in dem Konzept. Hinter das Absperrgitter darf deshalb nur, wer keine Böller oder Raketen dabeihat.
Mit den Böllern und Raketen nahm das Unheil an Silvester 2015 seinen Lauf. Obwohl das Abbrennen von Pyrotechnik im Umfeld von Krankenhäusern oder Kirchen schon seit Jahren strikt verboten ist, schritt die Polizei nicht ein, als der Dom schon am frühen Abend beschossen wurde. Es war ein fatales Signal. Wenig später geriet der alkoholisierte Mob junger Migranten, der sich auf dem Bahnhofsvorplatz versammelt hatte, völlig außer Rand und Band: Über Stunden hinweg kam es in diesem scheinbar rechtsfreien Raum im Schatten des Doms massenhaft zu Diebstählen und sexuellen Übergriffen auf Hunderte Frauen. Köln wurde national und international zum Symbol der Kehrseite der Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Merkel.
Schon seit Monaten arbeiten die Stadt und die Polizei an einem Plan, um solche Exzesse künftig zu verhindern. Im Mai kündigten die Behörden dann ein Sicherheitskonzept an. Doch obwohl Oberbürgermeisterin Reker nach ihrer Wahl vor einem Jahr versprochen hatte, ihrer Verwaltung Beine zu machen, schien auch dieses wichtige Projekt von den Kölner Verwaltungsmühlen zerrieben zu werden.
Verstärkte Polizeipräsenz
Derweil lief die Zeit davon. Mathies, der vom nordrhein-westfälischen Innenminister Ralf Jäger als Konsequenz aus dem Versagen der Kölner Polizei in der Silvesternacht im Januar zum Polizeipräsidenten ernannt worden war, machte das zunehmend nervös. Am 6. September schickte er Reker einen Brief, in dem er darauf drang, dass es „zeitnah“ zu einer Abstimmung komme. Zudem warb er für „dauerhafte Verbesserungen“ nicht nur an Silvester. „Ich möchte den Diskussionsprozess um den Schutz des Doms auch über die missbräuchliche Verwendung von Pyrotechnik hinaus konstruktiv unterstützen“, schrieb der Polizeipräsident und legte den Entwurf eines Sicherheitskonzepts bei. Es war der Versuch einer freundlichen, aber bestimmten Nachhilfe für die Stadtverwaltung. Sogar eine Art Präambel formulierten Mathies und sein Stab: „Die Hohe Domkirche St. Petrus zu Köln ist ‚das‘ Wahrzeichen der Stadt Köln und für die Bevölkerung – auch über die Stadtgrenzen hinaus – ein bedeutsames Identifikationsobjekt. Der Kölner Dom und sein Umfeld verdienen daher eine besondere Betrachtung und eine besondere Behandlung.“
Schon lange liegt rund um Deutschlands meistbesuchte Sehenswürdigkeit vieles im Argen. Noch vor einigen Jahren trafen sich Rauschgiftdealer und Süchtige sogar in der Krypta – bis die Kirche Videokameras einbauen ließ. Dank der verstärkten Polizeipräsenz seit Silvester hat sich die Drogenszene zwischen Hauptbahnhof und Dom weitgehend aufgelöst und an andere Orte der Stadt wie den Neumarkt verlagert. Die Domplatte, auf der viele arglose Touristen unterwegs sind, ist aber nach wie vor bei Taschendieben und bei Bettlern beliebt. Und in den Abend- und Nachtstunden urinieren viele männliche Partytouristen auf ihrem Weg zur Bahn noch einmal schnell an die Außenfassade des Doms. Über all das wurde in Köln immer viel geklagt, dennoch blieb alles, wie es immer war. Konsequenz zählt nicht zu den Kerntugenden der Kölner. Und so kam vielen die Einsicht, dass sich rund um den Dom grundlegend etwas ändern muss, erst nach Silvester 2015.
Verbotenes Verhalten eindämmen
In seinem Konzept listet Mathies detailliert auf, welches Verhalten künftig das ganze Jahr über rund um das Weltkulturerbe Dom verboten und auch nicht mehr toleriert werden soll. Dazu zählen Belästigungen und Pöbeleien, der Konsum von Drogen, Wildpinkeln und Wildcampen, aktives Betteln und das Vermüllen des Areals. „Mithin führen ordnungswidriges Verhalten und ordnungsstörende Zustände zwangsläufig zu einem Verlust an (öffentlicher) Sicherheit“, schreibt der Polizeipräsident. Mathies’ Konzept liest sich wie die kölsche Übersetzung der vor 25 Jahren in Amerika entwickelten „Broken-Windows“-Theorie. Sie besagt: Ein Gebäude, eine Gegend, ein Platz wird unweigerlich zum Schandfleck und schließlich zum bevorzugten Ort für Verbrechen, wenn nicht unmittelbar konsequent durchgegriffen wird, sobald erste Schäden entstanden sind.
Mathies’ Entwurf ist der Rahmen für ein umfassendes Innenstadtkonzept – eigentlich hätte die Kölner Verwaltung den Anstoß dafür selbst geben müssen. Immerhin hat sie die Vorschläge nun in die Neufassung der Kölner Stadtordnung aufgenommen, an der sie schon seit geraumer Zeit arbeitet. Ob die langwierige Abstimmung zwischen den vielen beteiligten Ämtern bald abgeschlossen und die Novelle noch rechtzeitig vor Silvester in den Rat kommt, lässt sich noch nicht absehen. Köln bleibt Köln.
So dreht sich die Diskussion im Hauptausschuss vor allem um die hüfthohen Absperrgitter. Längst gibt es in Köln Befürchtungen, durch die Schutzzone um den Dom könnte ein „klinisch reiner Raum, eine Art Hochsicherheitstrakt“ entstehen, wie Martin Börschel formuliert. „Wir müssen also diesen Raum füllen, sonst geht da niemand hin“, mahnt der Vorsitzende der SPD-Ratsfraktion. Die Verwaltung habe zwar schon ganz stolz angekündigt, ein internationales Pressezentrum einzurichten, nun müsse sie auch endlich die vielen Vorschläge aus der Bürgerschaft für ein Kulturprogramm koordinieren. „Oder sollen die Medien aus aller Welt an Silvester über gähnende Leere rund um den Dom berichten?“ Tatsächlich gibt es mittlerweile viele Ideen, wie man die „Schutzzone“ bespielen könnte. Börschel selbst schlägt eine künstlerisch anspruchsvolle Beleuchtung des Gotteshauses vor. Der Kölner Schauspiel-Chef möchte zwischen 23 Uhr 30 und 0 Uhr 30 das Gürzenichorchester und den Opernchor auf der Treppe am Bahnhofsplatz auftreten lassen. Die Opernintendantin will die Domplatte mit Musikerinnen, Komponistinnen und Autorinnen aus aller Welt in Erinnerung an die Auswüchse vor einem Jahr zu einer „Bühne für starke Frauen“ machen – und die Absperrgitter am liebsten dazu nutzen, Männern den Zutritt zu verwehren.
Barbara Schock-Werner sitzt am Panoramafenster ihrer Wohnung am Roncalliplatz. Von dort aus hat die frühere Dombaumeisterin einen spektakulären Blick auf Licht und Schatten rund um die Kathedrale. Ein bisschen merkwürdig finde sie all die Überlegungen für ein Kulturprogramm, sagt die Kunsthistorikerin. „Wenn es richtig kalt ist, hat dazu eh keiner Bock.“ Außerdem müsse man Silvester doch gar nicht „bespielen“. „Die Leute sollen ihr eigenes Silvester feiern. Polizei und Ordnungsdienste sollen den Dom und den Bahnhof besser bewachen.“ Die Dombaumeisterin glaubt ohnehin, dass es vor allem darum geht, längst bestehendes Recht durchzusetzen. Wie jedes Jahr war sie auch 2015 in der Silvestermesse im Dom. „Die ganze Zeit über wurde das Gotteshaus vom Bahnhofsvorplatz aus mit Feuerwerksköpern und Böllern beschossen. Ständig leuchteten die Fenster von den Raketen rot auf und der Donner der Böller hallte durch das Kirchenschiff.“ Zum Fürchten sei das gewesen. „Ich dachte bei mir: Das ist doch verboten, warum geht niemand dagegen vor?“ Schock-Werner ist sich sicher: Wenn die Polizei das erste Alarmzeichen am Silvesterabend ernst genommen hätte, dann hätten auch die Exzesse auf dem Bahnhofsvorplatz vermieden werden können.
Tags: