Deutsche Fluggesellschaften in der Krise Die Luft ist raus

  12 Oktober 2016    Gelesen: 662
Deutsche Fluggesellschaften in der Krise Die Luft ist raus
Die Krise von TUIfly ist nur ein Symptom: Deutschlands Luftfahrt steht vor einem massiven Umbruch. Wie erklärt sich der Abstieg einer Branche, die so lange für Luxus und Service stand?
Viel ist nicht mehr übrig, auf das Wettbewerber von Air Berlin neidisch sein könnten. Eine Sache allerdings ist geblieben, die selbst mancher Lufthansa-Hierarch stets anerkennend erwähnt, wenn es um den Pflegefall der deutschen Luftfahrtbranche geht: das rote Schokoladenherz, welches Passagiere am Ende der meisten Flüge in die Hand gedrückt bekommen. "Das werden die als allerletztes wegsparen", sagt ein Airline-Manager. "Wer schläfert schon sein bestes Pferd ein?"

Die Frage, was vom einstigen Glanz bleibt, beschränkt sich nicht auf Air Berlin Chart zeigen. Die deutsche Luftfahrtbranche steht vor gewaltigen Umbrüchen. "Eine Konsolidierung ist schon seit einiger Zeit zu beobachten", sagt Peter Berster vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln.

Ihr jüngstes Symptom war am vergangenen Freitag zu beobachten, als nahezu sämtliche Flüge des Ferienfliegers TUIfly ausfielen. Grund waren massenhafte Krankmeldungen von Crew-Mitgliedern, die damit auf ihre geplante Zusammenlegung mit Air Berlin reagierten. Erst nach tagelangen Ausfällen ist die Fluglinie nach eigenen Angaben nun zur Normalität zurückgekehrt. Nahezu zeitgleich mit ihrer Fusion war bekannt geworden, dass 40 Maschinen von Air Berlin künftig für Lufthansas Billigtochter Eurowings fliegen. In der Summe bedeutet das eine Halbierung der bisherigen Nummer zwei im deutschen Markt.

Krank melden könnte sich derzeit eigentlich die gesamte deutsche Branche. Im ersten Halbjahr 2016 schrumpfte das Geschäft von Lufthansa, Condor, Air Berlin, Condor und TUIfly nach Angaben des Bundesverbands der Deutschen Luftverkehrswirtschaft um 0,8 Prozent. Im gleichen Zeitraum wuchs der Verkehr weltweit um sechs Prozent, im Nahen Osten sogar um fast elf Prozent.

Verdammt lang her erscheinen angesichts solcher Krisenmeldungen deutsche Luftfahrt-Highlights wie der erste Flug einer Lufthansa-Boeing 747 nach New York im April 1970. Über eine Wendeltreppe ging es damals ins Oberdeck, wo eine Senator-Lounge mit Bar wartete. Besucher bekamen vielfältige Cocktails serviert, während sie sich auf bequemen Sitzmöbeln lümmelten. Die Passagiere sollten sich auf einer Ebene mit der Cockpit-Crew fühlen.

Heute bleiben die Crews von TUIfly zu Hause. Und ihre Fluggäste müssen sich belehren lassen, sie hätten nicht mal Anspruch auf Entschädigung.

Was ist nur mit der deutschen Luftfahrt los?

Deutsche Branchenvertreter verweisen bei dieser Frage gern auf vergleichsweise neue Probleme - etwa die Terroranschläge in Nordafrika im vergangenen Jahr. Tatsächlich gingen die Flüge dorthin deutlich zurück, ebenso wie in die Türkei nach dem Putschversuch. Doch die Suche nach der Wurzel der Probleme führt viel weiter zurück - in eine umfunktionierte Latrine des US Marine Corps in San Diego.

Hier verkaufte Pacific Southwest Airlines 1949 die ersten Tickets für günstige Flüge in andere kalifornische Städte. Das Prinzip Billigfluglinie war geboren. Einige Jahrzehnte später setzten es Unternehmen wie die irische Ryanair Chart zeigen und die britische Easyjet Chart zeigen auch auf dem mittlerweile liberalisierten europäischen Markt durch. Die Beinfreiheit wurde verringert, der Tomatensaft kostenpflichtig, das Fliegen wurde demokratisiert.

Wer heute der goldenen Zeit des Fliegens hinterhertrauert, gehört wahrscheinlich zu den Besserverdienenden. Noch vor 20 Jahren betrug der günstigste Preis für einen Lufthansa-Flug von Hamburg nach Lissabon laut einer Aufstellung der "Welt" rund 860 Euro. Heute ist dieselbe Strecke ab 40 Euro zu haben - von Ryanair.

Haben deutsche Airlines den Billigtrend schlichtweg verschlafen? Ganz so einfach ist es nicht. Schließlich packte Neckermann schon vor Jahrzehnten möglichst viele Menschen in Flugzeuge, die dann mit möglichst kurzen Pausen unterwegs waren. Nur verkauften solche Ferienflieger wenig Einzelplätze und seien damit stark von Reiseveranstaltern abhängig, sagt Berster. "Wenn dann ganze Urlaubsgebiete wegbrechen, zum Beispiel wegen möglicher Unsicherheiten in einem Land, buchen die Leute um". Klassische Billigflieger könnten in so einem Fall schneller reagieren.

Unbehagen beim Essen

Auch am anderen Ende der Preisskala geben längst andere den Ton an. Fünf-Sterne-Fluglinien wie Qatar Airways locken heute Geschäftsreisende mit schicken Bars in ihre A380. Der Blick auf die Lufthansa und das Jahr 1970 zeigt: alles schon mal da gewesen.

Das Problem deutscher Airlines ist weniger, dass sie weder billig noch Luxus könnten, sondern die unentschlossene Positionierung zwischen beiden Extremen. Als etwa Lufthansas Billigableger Eurowings noch unter dem Namen Germanwings das Geschäft mit dezentralen Verbindungen übernahm, wollte ausdrücklich niemand von einem Billigflieger sprechen. Der neue "Smart-Tarif" sollte mit dem bisherigen Economy-Service der Lufthansa vergleichbar sein.

Heute kostet das Feierabendbier bei Eurowings für alle außerhalb des "Best"-Tarifs. Und manche Reisende empfinden Unbehagen, wenn sie eine Minitüte Gummibärchen mit einem Schlückchen Plastikflaschen-Wasser und einem Käsebrot in einer zum Müllsack umfunktionierbaren Verpackung ausgehändigt bekommen, während der Sitznachbar qua Tarif leer ausgeht.

Geradezu zerrissen zwischen verschiedenen Geschäftsmodellen wurde Air Berlin. Nach einem erfolgreichen Start als Charterflieger verzettelte sich das Unternehmen mit einer zunehmend unübersichtlichen Expansion über verschiedene Distanzen und hat seine Existenzberechtigung inzwischen vor allem als Zubringer des Großaktionärs Etihad.

Vor diesem Hintergrund sind die Krankmeldungen bei TUIfly wenig verwunderlich. Angesichts der jüngeren Geschichte von Air Berlin fürchten Mitarbeiter, dass die Fusion nur der Auftakt zu weiteren Einschnitten ist. Mittelfristig, so die Sorge, könnten die Ferienflieger bei der österreichischen Air-Berlin-Tochter FlyNiki gebündelt werden, wo deutlich geringere Löhne gezahlt werden. Es wäre eine ähnliche Entwicklung wie bei der Lufthansa, deren Piloten bis heute gegen die zunehmende Verlagerung von Jobs zur deutlich schlechter zahlenden Eurowings kämpfen.

Die USA als Vorbild?

Auch wenn deutsche Airlines zunehmend die Gehälter ihrer Mitarbeiter drücken, kommen sie damit schwer gegen die Startvorteile klassischer Billigflieger an. "Sie sind mit schlanken Strukturen neu in den Markt hineingekommen und konnten so verschiedene mögliche Probleme von Anfang an vermeiden", so Berster. Zu den Vorteilen gehörten moderne Flotten, die einheitlich gewartet werden und weniger Kraftstoff verbrauchen.

Angesichts dieser starken Konkurrenz dürfte die Halbierung von Air Berlin eher der Anfang als das Ende eines Umbruchs sein. Lufthansa-Chef Carsten Spohr wies bei der letzten Hauptversammlung darauf hin, dass in den USA nach zahlreichen Zusammenschlüssen mittlerweile fünf Fluggesellschaften 80 Prozent des Marktes beherrschen, die Top fünf in Europa dagegen nur 40 Prozent kontrollierten. "Konsolidierung ist ein Teil dessen, was in Europa passieren muss", so Spohr.

Ob das am Ende auch den gebeutelten Passagieren zugutekommt, ist allerdings zweifelhaft. Die Entwicklung von US-Liniengesellschaften ist jedenfalls ähnlich traurig wie hierzulande. Lounges mit Namen wie "United Club" bieten kaum mehr als Käsewürfel. Und um die konkurriert der Reisende mancherorts sogar mit Mäusen, die über den abgeranzten Teppichboden huschen.

Quelle : spiegel.de

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